Ein neuer zwielichtiger ICO bewegt die Kryptoszene: der Fall der Envion AG. Bei dem Schweizer Unternehmen streiten sich die Gesellschafter darüber, wo Millionen aus dem ICO verblieben sind. Der CEO beschuldigt die Gründer – und andersherum. Was ist geschehen?

Anfang des Jahres gab die Envion AG bekannt, mehr als 100 Millionen US-Dollar mit ihrem ICO eingesammelt zu haben. Damit wollte das Unternehmen das Energieproblem der Kryptowährungsbranche angehen: Die Herstellung von Bitcoin und Co. frisst riesige Mengen an Strom. Das sogenannte Mining sollte daher in mobile Container verlegt werden, die an Kraftwerke angeschlossen werden können.

Jetzt wirft CEO Matthias Woestmann den Envion-Gründern vor, Millionen aus dem ICO beiseite geschafft zu haben. Deswegen hat er in Berlin Strafanzeige erstattet, wie das Handelsblatt berichtet. „Ich habe so etwas noch nie erlebt“, sagte Woestmann der Zeitung. Demnach sei der zweite Verwaltungsrat zurückgetreten und die PwC-Wirtschaftsprüfer hätten ihren Auftrag niedergelegt.

Laut Woestmann hat eine Untersuchung gezeigt, dass Envion bei dem ICO mehr Tokens – also anteilähnliche Instrumente – ausgegeben hat als angekündigt: 127 Millionen statt 103 Millionen. Wo diese überschüssigen Tokens gelandet sind, ist unklar. Laut Handelsblatt heißt es in der Strafanzeige, sie seien „an unbekannte Personen verteilt“ worden. Die Täter hätten die Spuren verwischt und dafür die Tokens auf viele Adressen in der Blockchain verteilt.

CEO Woestmann hält das Gründerteam um Michael Luckow für die Schuldigen. Luckow allerdings sieht das Ganze völlig anders – und ist enttäuscht, wie er in einem Video erklärt. Dem Handelsblatt sagte er: „Wir standen in der Vergangenheit im regelmäßigen Austausch mit Matthias Woestmann. Entsprechend seinen Anweisungen wurden mehr Tokens erstellt als benötigt.“ Die seien für einen Investor gedacht gewesen, der sich später gegen eine Beteiligung entschieden habe. Luckow erklärt weiter, er habe Woestmann danach schriftlich aufgefordert, die betroffenen Tokens zu vernichten. „Darauf hat er nicht geantwortet.“

Die Gründer wollen sich juristisch wehren

Im Gegenzug unternimmt das Gründerteam nun nach eigenen Angaben ebenfalls juristische Schritte gegen Matthias Woestmann. Dabei geht es um die Eigentümerstruktur des Unternehmens: Die Gründer hielten ursprünglich über die Trado GmbH 81 Prozent an Envion, gaben ihre Stimmrechte aber an Woestmann ab. Der verwässerte die Anteile der Gründer bei einer Finanzierungsrunde auf 33 Prozent. Ungefragt, so Luckow. „Die Envion AG gehört dem Gründerteam. Woestmann [hat] uns die Firma rechtswidrig entwendet.“

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Der wiederum will nun laut Handelsblatt den Handel mit den Tokens von Envion anhalten. Die Eigner sollen ihre Tokens umtauschen. Dabei würden die Besitzer der überschüssig ausgegebenen Token leer ausgehen und müssten sich mit ihren Ansprüchen an die Gründer wenden, so Woestmann zur Zeitung. Damit das möglich wird, muss aber die Schweizer Finanzaufsichtsbehörde zustimmen.

Laut Unternehmensplan sollte bereits für die energiesparenden Mining-Container eingekauft und die Hardware weiterentwickelt werden. Die Streitigkeiten aber haben das Unternehmen lahmgelegt. Nicht nur steht das Geschäft still – auch verlieren die Investoren gerade viel Geld. Die Tokens wurden während des ICOs noch für etwa einen US-Dollar pro Stück verkauft. Während sie gestern noch knapp 30 Cent wert waren, brach ihr Preis nun um mehr als 40 Prozent ein und liegt nur noch bei 15 Cent.

Bild: Envion