Ihr Geschäftsplan umfasst 1.000 Seiten: die Trade-Republic-Gründer Marco Cancellieri Christian Hecker und Thomas Pischke (von links).
Ihr Geschäftsplan umfasst 1.000 Seiten: die Trade-Republic-Gründer Marco Cancellieri, Christian Hecker und Thomas Pischke (von links).

Mitten in Prenzlauer Berg, auf der Kastanienallee und umgeben von Falafel-Läden und Hipster-Geschäften, liegt das Büro von Trade Republic. Die Hausnummer 32 ist ein unsanierter Altbau, die Tür im zweiten Stock, hinter der das millionenfinanzierte Fintech sitzt, eher ein Metallverschlag.

Doch dahinter: ein strahlend weißes Loft. Aufgeräumte Schreibtische mit viel Platz dazwischen, verglaste Meetingräume, an den Wänden Bildschirme mit Aktienkursen, eine offene Küchenzeile. Trade-Republic-Mitgründer Marco Cancellieri bedient gerade eine Siebträger-Kaffeemaschine – „er ist Italiener, das liegt ihm im Blut“, erklärt ein Mitarbeiter. Daneben, an der Wand, hängt eingerahmt die Banklizenz von Trade Republic, ausgestellt im Dezember 2018.

Diese Lizenz brauchte das Startup für sein Produkt: Seit drei Monaten ist es mit einer App auf dem Markt, über die Nutzer in Aktien, ETFs und Derivate investieren können. Dazu kooperiert es mit der Handelsplattform LS Exchange und der Bank HSBC. Das Besondere: Nutzer zahlen fürs Traden keine Provision, wie es bei anderen Anbietern üblich ist. Stattdessen fällt eine fixe Gebühr von einem Euro je Handel an. Der Trading-Prozess soll mit der App des Startups außerdem besonders schnell gehen. Die Kontoeröffnung dauere weniger als zehn Minuten, das Kaufen oder Verkaufen von Aktien benötige nur drei Klicks.

Mitte Juli sammelte Trade Republic zehn Millionen Euro von den bekannten Investoren Creandum und Project A ein. Aber wie ist das Geschäft überhaupt angelaufen? Wie will sich die Firma ohne Provisionszahlungen finanzieren – und wie ist sie an eine Banklizenz gekommen? Wir haben 29-jährigen Gründer Christian Hecker in seinem Büro zum Gespräch getroffen. 

Christian, Trade Republic ist im Mai offiziell gestartet. Seid ihr mit den ersten Monaten zufrieden?

Ja, wir sind sehr zufrieden. Als junges Fintech standen wir vor der großen Hürde, ein Produkt aufzubauen, dem die Menschen ihr Geld anvertrauen. Das ist uns gelungen. Unsere Kunden kommen aus allen Altersklassen und Vermögensstufen, vom Studenten mit wenigen Hundert Euro im Depot bis zum Richter, der einen sechsstelligen Betrag bei uns führt.

Wie viele Nutzer habt ihr?

Ich sage nur soviel: Bisher wurde eine fünfstellige Zahl an Depots eröffnet. 

Ihr habt euer Startup 2015 gegründet, aber erst 2019 ein Produkt auf den Markt gebracht. Was habt ihr die Jahre davor gemacht?

Eine Bank zu gründen ist ein komplexes Vorhaben. Man geht durch viele Höhen und Tiefen. Für mich ist Gründen ist ein bisschen wie sich verlieben. Man hat eine Idee, die auf den ersten Blick wenig Sinn macht, ist davon aber so überzeugt, dass man sie trotzdem verfolgt. Was wir machen wollten, war uns schnell klar: den Wertpapierhandel mobil, transparent und günstig machen. Aber der Weg dahin war weit. Es gab für uns drei große Themen, an denen wir intensiv arbeiten mussten: den Aufbau einer eigenen Technologie, Partnerschaften mit Großbanken und eine eigene Banklizenz.

Wusstet ihr direkt, wie ihr dieses Großprojekt angehen sollt?

Meine Mitgründer kommen aus der IT-Entwicklung, ich war vorher im Investmentbanking. Daher hatten wir eine recht konkrete Vorstellung davon, wie wir unsere Idee realisieren können. Auf Veranstaltungen wie Hackathons und Kongressen haben wir uns außerdem mit Banken und anderen Partnern vernetzt und unseren Plan weiterentwickelt. Zu der Zeit haben wir noch alles aus eigener Tasche finanziert.

Hattet ihr von Anfang an ein Team?

Nein, wir waren nur zu dritt. Um unser Produkt zu testen, haben wir es 2018 als Börsenspiel gestartet. Das lief sehr gut. Auf dieser Basis haben wir das erste Seed-Investment von der Sino AG erhalten, einem Broker für spezialisierte Anleger. Mit dem Geld konnten wir ein Team aufbauen und das wichtige Thema Banklizenz vorantreiben.

Starten konntet ihr ja erst, als ihr eine Banklizenz hattet. Die habt ihr Ende 2018 bekommen, eine „Teilbanklizenz“. Was ist das?

Wir verfügen über eine Banklizenz als Wertpapierhandelsbank. Dementsprechend werden wir von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) und der Bundesbank beaufsichtigt. Wir bieten aber nicht sämtliche Bankgeschäfte an, Kredite beispielsweise nicht – daher sind wir keine Vollbank.

Wie bekommt man eine Banklizenz?

Sich mit Mitte 20 hinzustellen und zu sagen „Ich will eine Bank gründen“, ist natürlich ein riesiges Vorhaben. Um das wirklich umzusetzen, muss man einen belastbaren Geschäftsplan darlegen, der sicherstellt, wie Kunden und Technik geschützt werden. Den prüfen Bafin und Bundesbank dann ausführlich. Bei uns sind in diesem Prozess mehr als 1.000 Seiten Papier entstanden. Nach einem Jahr kam dann der langersehnte Brief mit der Lizenz.

In eurer Trading-App können Nutzer provisionsfrei Aktien, ETFs und Derivate handeln. Stiftung Warentest bezeichnet euch als „besonders günstig“. Wie könnt ihr so preiswert sein?

Wer zu einer großen Bank geht und darüber eine Investition tätigt, zahlt der Bank meist fünf bis 20 Euro Provision. Das liegt daran, dass für die klassischen Banken hohe interne Kosten anfallen: Sie nutzen für die Transaktionen oft Systeme aus dem vergangenen Jahrhundert, die sehr teuer im Unterhalt sind. Wir haben es geschafft, die Kosten durch neue Technologien so weit zu senken, dass die Abwicklung nur noch Centbeträge kostet. Das heißt, wir können die Provisionszahlung ersatzlos streichen.

Wie finanziert ihr euch stattdessen?

Wir kooperieren mit zwei Handelsplattformen: Lang und Schwarz für Aktien und ETFs und HSBC für Derivate. Für jede vermittelte Order bekommen wir eine Rückvergütung von den Plattformen. Das sind ein paar Cent pro angelegten Hundert Euro, die genaue Höhe variiert je nach Handelszeit und Marktlage. Diese Rückvergütung erhalten alle Broker.

Für eure Kunden gibt es pro Trade aber noch Kosten von einem Euro. Wozu?

Das ist die Fremdkostenpauschale. Will man in Deutschland eine Order ausführen, fallen Infrastruktur- und regulatorische Kosten an. An dem Euro verdienen wir also nichts, wir decken damit lediglich Kosten für die Ausführung der Order.

Wie viel legt der durchschnittliche Nutzer bei euch an?

Es gibt eine breite Range. Teils probieren Nutzer die App mit ganz kleinen Beträgen aus, teils investieren sie fünfstellige Beträge pro Order.

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Die Nutzer fragen sich sicher, was mit ihren Anlagen passiert, wenn ihr scheitert – wie es ja bei neun von zehn Startups passiert.

Bei Wertpapieren handelt es sich um sogenanntes Sondervermögen, die sind im Insolvenzfall komplett geschützt. Außerdem sind die Gelder unserer Kunden bis zu 100.000 Euro über die gesetzliche Einlagensicherung geschützt. Wir werden genauso wie jede Bank von der Bafin und Bundesbank kontrolliert, da gibt es keinen Fintech-Bonus. Insofern ist auch die Sicherheit die gleiche wie bei anderen deutschen Banken.

Ihr habt kürzlich zehn Millionen Euro von Creandum und Project A bekommen. Was macht ihr mit dem Geld?

Wir wollen in den weiteren europäischen Raum expandieren und das Angebot in der Trade-Republic-App ausweiten. Das nächste große Thema sind zum Beispiel Sparpläne, die für langfristige Anleger interessant sind. Und wir werden das Team weiter ausbauen. Mittelfristig müssen wir dann auch wieder das Büro wechseln, weil es zu klein werden wird.

Wie habt ihr diese Räume hier eigentlich gefunden? Der Büromarkt in Berlin gilt ja als schwierig.

Wir haben das Büro ganz analog über eine Zeitungsanzeige gefunden. Hier wohnte seit zig Jahren ein ehemaliger DDR-Fotograf. Wir haben dann ganz viel selbst umgebaut und versucht, eine Symbiose aus Startup-Kultur und Bank hinzukriegen. Also offen und cool, aber auch strukturiert. Witzigerweise klingeln ab und zu auch Kunden hier. Einfach, um mal „Hallo“ zu sagen.

Bild: Trade Republic