Wirecard-Chef Markus Braun sieht sein Unternehmen als Betrugsopfer.
Wirecard-Chef Markus Braun sieht sein Unternehmen als Betrugsopfer.

Wirecard-Chef Markus Braun steht vor einem Trümmerhaufen: Das Unternehmen, das er in den vergangenen zwei Jahrzehnten vom Startup zum globalen Zahlungsabwickler aufgebaut hat, ist in Not geraten. Wirtschaftsprüfer fanden Hinweise auf aufgeblähte Bilanzen, wie Wirecard am Donnerstag mitteilte. Der Dax-Konzern sieht sich selbst als Betrugsopfer. Weil es nun erst einmal keinen Jahresabschluss 2019 geben wird, können Banken in den nächsten Tagen Kredite in Milliardenhöhe fällig stellen. An der Börse herrschte regelrechte Panik – die Aktien brachen zeitweise um 67 Prozent auf 35 Euro ein. 

„Alle Beteiligten sind um schnellstmögliche Aufklärung bemüht“, sagte Braun. „Ob betrügerische Vorgänge zum Nachteil der Wirecard AG vorliegen, ist derzeit unklar.“ Der Konzern werde noch heute Anzeige gegen unbekannt erstatten. Konkret geht es darum, dass Wirtschaftsprüfer von EY, die die Bilanzzahlen des vergangenen Jahres geprüft hatten, keine Hinweise auf die Existenz von Guthaben über 1,9 Milliarden Euro bei zwei asiatischen Banken gefunden haben, wie Wirecard mitteilte. Die Summe entspreche einem Viertel der Bilanzsumme. Es gebe Hinweise, dass dem Abschlussprüfer von einem Treuhänder beziehungsweise von Banken, die die Treuhandkonten führten, falsche Saldenbestätigungen zu Täuschungszwecken vorgelegt worden seien, teilte Wirecard mit. Damit solle ein falsches Bild erzeugt worden sein über das Vorhandensein der Guthaben.

Der Konzern aus dem Münchener Vorort Aschheim steuert nicht nur das bargeldlose Bezahlen via Smartphone oder Kreditkarte an der Ladenkasse und in Onlineshops, sondern übernimmt auch für Händler das Ausfallrisiko von Zahlungen. Zur Absicherung dieser Geschäfte zahlt Wirecard Gelder auf Treuhandkonten ein, die nach erfolgreichem Abschluss wieder zurückfließen. 2019 hatte Wirecard den Treuhänder gewechselt. Die beiden Banken, mit denen dieser zusammenarbeite und die nun im Fokus stehen, verfügten über gute Ratings und hätten auch zahlreiche andere Mandate in Asien, erklärte Wirecard.

„Es kann noch schlimmer werden für Wirecard“

Die Fondsgesellschaft Deka, einer der Großinvestoren des Konzerns, erneuerte ihre Forderung nach einem Rücktritt Brauns. „Wir sind fassungslos“, sagte Ingo Speich, Leiter des Bereichs Corporate Governance bei der Deka. „Ein personeller Neuanfang ist dringender denn je.“ Es bleibe zu hoffen, dass der erneute Vertrauensentzug am Kapitalmarkt nicht auch noch Auswirkungen auf das operative Geschäft habe. Davor warnte auch Chefanalyst Robert Halver von der Baader Bank. „Es muss endlich Klarheit her, sonst wird das Unternehmen großen Schaden nehmen. Es kann noch schlimmer werden für Wirecard, wenn jetzt die Kunden abspringen.“

Probleme könnte Wirecard nun mit seinen Banken bekommen. Wenn ein testierter Jahres- und Konzernabschluss nicht bis zum 19. Juni vorgelegt werde, könnten Darlehen in Höhe von circa zwei Milliarden Euro gekündigt werden, erklärte der Konzern. Ein neuer Termin für die Vorlage des Jahresabschlusses stehe noch nicht fest. Eigentlich hätte der Geschäftsbericht bereits im April vorgelegt werden sollen.

Wirecard wurde in Medienberichten in den vergangenen Jahren immer wieder Bilanzfälschung vorgeworfen. Der Konzern hat das stets bestritten. Eine vom Aufsichtsrat in Auftrag gegebene Sonderprüfung durch KPMG sollte die Vorwürfe aus dem Weg räumen, die Prüfer konnten aber einige der Vorwürfe nicht entkräften. Darüber hinaus ermittelt die Staatsanwaltschaft München gegen Braun und seine drei Vorstandskollegen wegen des Verdachts auf Marktmanipulation. Die Finanzaufsicht Bafin prüft mögliche weitere Vergehen. Beide Behörden wollen die aktuellen Entwicklungen in ihre Untersuchungen einfließen lassen, wie Sprecherinnen von Bafin und Staatsanwaltschaft sagten.

Bild: Getty Images / CHRISTOF STACHE