Das sieht doch schon ganz digital aus: Der erste Marijuana-Shop in Aurora, Colorado.
Das sieht doch schon ganz digital aus: Der erste Marijuana-Shop in Aurora, Colorado.

Die Innenstädte veröden, weil jeder nur noch im Internet einkauft – derartige Horrorszenarien hört man nur allzu oft. Doch vielleicht ist der stationäre Handel nicht tot, sondern muss sich „nur“ neu erfinden? Das US-amerikanische Forschungsinstitut CB Insights hat analysiert, auf welchen Wegen der Einzelhandel die Digitalisierung für sich nutzen kann und auf welche gesellschaftlichen Entwicklung er reagieren muss. Die Studie ist zwar auf den US-Markt und nicht im Speziellen auf den Lebensmitteleinzelhandel gemünzt. Dennoch könnten einige der Punkte auch für die Lebensmittelbranche in Deutschland wichtig werden.

  • Technik im Laden einsetzen

„Jeder redet über Amazon Go“, heißt es in dem Report. Doch es gibt auch zahlreiche Startups, die es Händlern ermöglichen, mit dem kassenlosen Supermarkt des Internetriesen Schritt zu halten. So bieten etwa die Unternehmen Standard Cognition und AiFi ebenfalls Techniken für kassenloses Bezahlen an. Beide Startups arbeiten mit Künstlicher Intelligenz, Sensoren und Kameras, wodurch die Einkäufe der Kunden in einer App abgerechnet werden. 

Zudem werden der Studie zufolge vermehrt Roboter eingesetzt, um Kunden bei der Orientierung im Laden zu helfen. Walmart hat beispielsweise angekündigt, bald einen Roboter namens Bossa Nova in 50 Märkten einzusetzen. Der smarte Einkaufshelfer unterstützt Kunden bei der Suche nach bestimmten Produkten, indem er die Regale nacheinander abscannt. Auch das Startup Fellow Robot entwickelt Roboter, die die richtigen Lebensmittel im Markt finden sollen. Zudem soll KI dabei helfen, verdorbenes Obst von gutem zu trennen. Der Bericht von CB Insights nennt hier das Programm Eden von Walmart, in Deutschland ist ähnliche Technik des Unternehmens Blue Yonder bereits im Einsatz.

  • Daten sammeln und Angebot personalisieren

Die in den Geschäften eingesetzten Überwachungskameras bieten laut dem Report noch weiteres Potential. Denn sie sammeln Daten. Filialen könnten ihr Angebot damit noch viel stärker personalisieren, schlussfolgert der Bericht. So wisse wohl kein Supermarkt so gut wie Amazon Go, welche Bedürfnisse seine Kunden beim Gang durch den Laden haben. Händler, die nicht auf solche Daten zurückgreifen können, haben dennoch die Möglichkeit, ihre Kundenansprache im Geschäft zu verbessern – mithilfe der Daten aus dem Onlineshop. Als Beispiel wird Tumi genannt, ein Händler für Luxus-Handtaschen und Gepäck. Hier würden die Kunden-Daten aus dem Onlineshop so ausgewertet und aufbereitet, dass das Personal in den Filialen den Kunden sehr viel passgenauere Angeboten machen könne.

Als positives Exempel für digitalen Kundensupport wird die App Boxed genannt, die die US-Supermarktkette Target zuletzt gekauft hat. Boxed bietet dem Kunden einen KI-gestützten Chatbot, der auf Kundenbedürfnisse eingeht soll beim Einkauf Tipps geben kann. 

Auch spielerische Aktivitäten in den Geschäften würden die Kundenbindung erhöhen. Als positive Beispiele werden etwa die Apple-Stores genannt, deren Besuch für viele Kunden geradezu ein Erlebnis ist. Niketown, wo Kunden beispielsweise Basketball spielen können, wird ebenso erwähnt wie das Spielwarengeschäft Built-A-Bear, in dem Kinder sich ihren individuellen Teddybär zusammenstellen können. Deutsche Supermärkte experimentieren mit derartigen Möglichkeiten kaum, denkbar wären sie jedoch auch hier. 

  • Die letzte Meile verbessern

Der Online-Handel mit Lebensmittel scheint in den USA einen größeren Stellenwert einzunehmen als in Deutschland und wird in der Studie ganz selbstverständlich als Absatzkanal von Supermärkten dargestellt. Für alle Anbieter ist hier die letzte Meile die größte Herausforderung. Amazon setzt der Studie zufolge auch hier Maßstäbe für eine sichere Kühlkette. Erst jüngst habe das Unternehmen ein Patent für ein Logistikzentrum für Drohnen angemeldet, das einem riesigen Bienenstock ähnelt und in Großstädten platziert werden soll. 

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Supermarktketten wird in der Studie die Kooperation mit Liefer-Startups nahe gelegt. So setze Target auf Shipt, Aldi und Kroger auf Instacart. Es werden mit CommonSense, Darkstore, and Takeoff Technologies zudem noch weitere Startups genannt, die für die letzte Meile Lösungen anbieten. 

  • Eigenmarken etablieren

Dass der Lebensmitteleinzelhandel auf Eigenmarken setzt, ist nicht neu. Jedoch hat diese Entwicklung zuletzt an Fahrt aufgenommen. In den USA gilt Aldi mit seiner Vielzahl an Handelsmarken als eines der Vorbilder. Die Studie sagt aus, dass sich US-Märkte wie Walmart und Kroger an dem deutschen Discounter orientieren. Auch in Deutschland ist die Fokussierung auf Eigenmarken zuletzt mehr und mehr zu einer Gefahr für etablierte Marken und Startups geworden. 

Amazon hat weitgehend unbemerkt ein Imperium an Eigenmarken aufgebaut, die auf der Webseite des Internetriesen nicht als Amazon-Produkt zu erkennen sind. Der Bericht geht davon aus, dass Amazon die Anzahl der Food-Handelsmarken in den kommenden Jahren drastisch erhöhen wird, sobald klar ist, wie genau Whole Foods in die Strategie von Amazon integriert wird. 

  • Zielgruppen klar definieren

Den Experten von CB Insights zufolge werden sich die Verbraucherbedürfnisse weiter differenzieren. Sowohl die Zahl der Kunden, die nach höherpreisigen Angeboten suchen, soll wachsen. Als auch die Gruppe an Verbrauchern, die niedrigpreisige Produkte verlangt. Unternehmen, deren Angebot sich im Raum dazwischen befindet, sollen demnach Probleme bekommen. 

Vermutlich wird sich die soziale Schere in Deutschland nicht so sehr öffnen, wie es in den USA angenommen wird. Doch auch hier lässt sich dieser Konflikt an der wechselnden Positionierung der Discounter ablesen. In den vergangenen Jahren schwankte deren Strategie zwischen einer Annäherung an Supermarktketten wie Rewe und Edeka – und damit einhergehend einem hochwertigerem Sortiment – und der eigentlichen Grundidee – nämlich einfach möglichst günstig zu sein. Dem Bericht zufolge wäre hier eine klare Abgrenzung zu den Supermärkten von Nöten.

Bild: Getty Images / Kathryn Scott Osler / Contributor