Junge Menschen trinken immer weniger Wein – auch weil Flaschen zu schwer und unhandlich sind, glaubt das Startup Finest Food Factory.

Ingo Nassau gibt nicht auf. Dutzende Male ist der 54-Jährige bei den Einkaufsmanagern von Supermärkten und Discountern in Deutschland schon abgeblitzt. „So ein Quatsch, das kauft doch keiner“, bekommt der Vertriebsexperte aus dem Ruhrgebiet regelmäßig zu hören. Und dazu den Ratschlag, dass er sich endlich mal ein richtiges Produkt ausdenken soll. 

„Dabei habe ich ein richtiges Produkt“, sagt Nassau trotzig. „Und mittlerweile auch eine richtige Erfolgsgeschichte“, findet der Geschäftsführer des Startups Finest Food Factory aus Bochum mit Verweis auf zunehmend große Absatzmengen seiner Ware in Amerika und Asien. Der Unternehmer wird daher weiterhin versuchen, Regalfläche auch im deutschen Handel zu bekommen – und zwar für Dosenwein.

Wine+ heißt das Produkt, das Nassau deutschen Handelsketten anbietet wie Sauerbier. Dahinter verbirgt sich Wein der Rebsorten Merlot, Riesling und Dornfelder, abgefüllt in schwarzen Viertelliterdosen mit sogenanntem Soft-Touch-Feeling für einen weichen und rutschfesten Griff.

Steigende Verkaufszahlen in den USA

Der Inhalt kommt von verschiedenen Winzern aus Rheinhessen, abgefüllt wird beim mehr als 150 Jahre alten Weingut Bermes in Wörrstadt im Landkreis Alzey-Worms. „Das ist kein Château Lafite-Rothschild, den wir hier abfüllen“, gibt Nassau im Welt-Gespräch am Rande der weltgrößten Branchenmesse Prowein in Düsseldorf zu. Es sei aber auch keine Plörre. „Unsere Dosen können mit einem Flaschenwein locker mithalten.“

Auf offene Ohren trifft diese Behauptung vor allem in Amerika. Dort scheint das Thema Dosenwein, den es Experten zufolge schon seit 1936 gibt, nach vielen Jahrzehnten aus der Nische herauszuwachsen. Die Konsumforscher von Nielsen jedenfalls melden sprunghaft steigende Verkaufszahlen in den USA, wo neben Wine+ unter anderem auch die Weinfirma von US-Filmregisseur Francis Ford Coppola oder die Union Wine Company mit der Marke Underwood am Markt vertreten sind, dazu Anbieter aus Chile und Australien. 2017 zum Beispiel lag das Plus bei mehr als 50 Prozent und damit höher als bei jeder anderen alternativen Weinverpackung. Und auch 2018 gab es offenbar wieder Zuwächse im deutlich zweistelligen Prozentbereich.

 

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Nun räumen die großen Händler in den USA Regalfläche frei für Wein aus der Dose, melden Branchenbeobachter. Noch dazu steigt das Verkaufsfernsehen ein. „QVC will in Zukunft unsere Produkte anbieten“, sagt Wine+-Gründer Nassau. Erst kürzlich sei er zu Verhandlungen in der Zentrale des TV-Senders gewesen. Das Ergebnis: Wine+ wird bald in einer auf Lebensmittel und Getränke spezialisierten Show vorgestellt, die immer mittwochabends läuft und im Schnitt 22 Millionen Verbraucher vor den Fernseher lockt.

Generation Y ist die Zielgruppe

Das Startup Finest Food Factory, das unter dem Namen Secco+ Schaumwein in Dosen verkauft, stockt daher sein Lager in den USA kräftig auf. Zumal Nassau den Durchbruch nun geschafft sieht. „In Amerika hat sich die Dose als Gebinde für Wein mittlerweile durchgesetzt“, glaubt der Unternehmer, der nun auf Abstrahleffekte für Europa und insbesondere auf ein Umdenken im deutschen Handel hofft. 

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Zuspruch kommt von den Experten von Nielsen. „Amerika ist beim Thema Getränke oft ein Trendsetter“, sagt Christiane Stuck, die für das Konsumforschungsunternehmen den Weinmarkt beobachtet. Es sei daher nicht auszuschließen, dass Wein in Dosen als Szenegetränk auch nach Deutschland kommen könnte.

Bild: Hinterhaus Productions / Getty Images

Das Startup Finest Food Factory will, dass junge Menschen zu Dosenwein statt Flaschen greifen.

Aktuell spiele dieses Thema im Lebensmitteleinzelhandel hierzulande noch keine Rolle. „Bei Prosecco und weinhaltigen Getränken wie Hugos und Cocktails sieht das aber anders aus. Das kann also eine logische Weiterentwicklung sein“, meint Stuck. „Zielgruppe dürften dabei vor allem junge Leute sein.“ 

Ähnlich sieht es auch Stuart Pigott, der zu den bekanntesten Weinkritikern in Deutschland gehört. Er sieht großes Potenzial in der Kombination Dose und Generation Y. „Diese Altersklasse ist mehr an Komfort und Coolness interessiert als an Dünkel – und öffnet damit die Tür zu alternativen Marketing- und Verpackungsmethoden“, schreibt der Experte in einem Marktkommentar anlässlich der Prowein, der mit der Überschrift „Yes, We Can: Der Aufstieg des Dosenweins“ überschrieben ist. Den Winzern rät er darin zu mehr Offenheit, allein schon aus Selbstschutz. „Immer mehr Produzenten wird klar, dass Wein zugänglicher und integrativer sein muss, um auch für ein jüngeres Publikum noch attraktiv zu sein.

Winzer wollen Wein unkomplizierter machen

Ansonsten kann Wein auf absehbare Zeit ein Demografieproblem bekommen. Denn die Käuferschaft wird hierzulande immer älter. „Wer viel und guten Wein trinkt, ist meist schon über 50“, sagt Monika Reule, die Geschäftsführerin des Deutschen Weininstituts (DWI), der Marketingorganisation der heimischen Winzer. Auch sie steht dem Thema Dosenwein offen gegenüber. „Ich würde das nicht schlechtreden. Im Gegenteil: Wir wären dumm, solche Verpackungen nicht mal auszuprobieren.“

Den klassischen Weintrinker werde man damit zwar nicht erreichen, gesteht Reule ein. „Es kann aber eine Möglichkeit sein, auch jüngere Konsumenten für Wein zu begeistern und einen Zugang zu dieser wichtigen Käufergruppe zu finden.“ Den klassischen Weintrinker hat zum Beispiel Wine+ ohnehin nicht im Visier. „Wir sind kein Wettbewerb für die namhaften Winzer. Unsere Kernzielgruppe sind 20- bis 39-jährige Weinkonsumenten in der Stadt, allen voran Frauen“, sagt Unternehmer Nassau. Geschmacklich gehe es dabei um den Mainstream. „Wein in der Dose hat einen ganz anderen Charakter als Wein in der Flasche – und auch eine ganz andere Funktion.“ 

Praktisch, transportabel, nachhaltig und cool – so charakterisiert Experte Pigott Wein aus der Dose, der meist mit auffälligen Etiketten daherkommt, weil dort bei der Auswahl das Auge die Aufgabe der Nase übernehmen muss. Was er meint: Flaschen sind viel schwerer und umständlicher zu transportieren, noch dazu werden immer auch Gläser benötigt und meistens ein Korkenzieher. 

Eine Dose dagegen passt in jede Handtasche und zerbricht dort auch nicht. Darüber hinaus sind die Portionsgrößen der Dosen für viele Konsumenten deutlich angenehmer. Easy-to-Drink nennen Marktforscher diese Kategorie. „Gerade im Weinbereich gibt es derzeit nur sehr wenige kleine Gebinde. Vorstellbar sind daher vor allem kleine Dosen“, sagt Konsumforscherin Stuck.

Dosenwein hat ein Imageproblem

Das aber ist nur ganz bestimmten Weinen vorbehalten. Denn üblicherweise bieten Dosen nur für ein bis zwei Jahre eine stabile Umgebung, sagen Experten. Dosenweine sollten also nicht gelagert, sondern sofort getrunken werden. Abgefüllt werden daher auch meist nur Rebsäfte, die von den Herstellern als „frisch, knackig und klar“ charakterisiert werden, sagt Stuart Pigott. „Allen voran klassische Terrassenweine oder Weiß- und Roséweine aus kühlen Klimazonen mit geringem Alkoholgehalt, die erfrischend spritzig sind.“ Es darf also kein Wein sein, bei dem es auf die Feinheiten ankommt. Das zeigt auch die Tatsache, dass bei den Coppola-Dosen gleich ein Strohhalm mitgeliefert wird.

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Das Imageproblem von Wein aus Dosen dürfte die Hersteller trotz aller Euphorie also weiter beschäftigen. Worte wie „Tankstellengesöff“ bekommt Wine+-Manager Nassau jedenfalls oft genug zu hören, auch wenn die Sorten Riesling und Rosé kürzlich eine Silbermedaille der amerikanischen Händlerorganisation Wine & Spirits Wholesalers of America (WSWA) erhalten haben.

Solange das in Deutschland so bleibt, will er seine Hausaufgaben woanders machen. In Asien zum Beispiel, aber auch in Osteuropa, wo es erste Kunden in Tschechien und der Slowakei gibt. Zudem spricht der Manager gezielt Fluglinien und Hotels an, die das Produkt für ihre Minibars gebrauchen können.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Welt.de.

Bild: Hinterhaus Productions / Getty Images