In Berlin wird Deliveroo auch weiterhin aktiv sein.
In Berlin wird Deliveroo auch weiterhin aktiv sein.

„Uuuuh, ganz schön groß“, sagt die ältere, rundliche Dame. Dabei schaut sie eben nicht auf die frische Pizza, die der Essensbote ihr präsentiert, sondern ein Stück tiefer. Der Bote steckt in einem engen roten Kostüm. Mit Schnurrbart und Stiefelchen sieht er aus wie eine Kreuzung zwischen Spiderman und dem jüngst wiederbelebten TV-Serienhelden Magnum, und er lächelt – ja, wie? Maliziös vielleicht. Oder debil. Oder beides. 

Damit ist der Inhalt eines TV-Spots des Essensvermittlers Lieferheld.de schon erzählt. Ein „Held zum Anbeißen“ soll der Schauspieler Guy Combes in dem Werbefilmchen sein, in dem er die männliche Hauptrolle spielt. So zumindest hat es sich die Lieferheld-Marketingabteilung gedacht. Konkurrent Lieferando wiederum quält Zuschauer mit Wortspielen jenseits der Schmerzschwelle normalen Sprachgefühls. Etwa: „Isch bin Dir Farfalle“ oder „Dönerteller Versace“.

Die Essenslieferanten brauchen die Aufmerksamkeit der Konsumenten. Fast jedes Mittel scheint ihnen recht. Die Irritation durch schräge Sprüche und Situationen soll dafür sorgen, dass die jeweiligen Markennamen sich so tief wie möglich im Gedächtnis der potenziellen Kunden einprägen. Denn wenn sie hungrig werden, suchen sie dann nicht mehr lange im Internet nach Anbietern, sondern gehen direkt auf die eine Restaurant-Plattform, die ihnen im Kopf hängen geblieben ist. Andere haben da kaum noch eine Chance.

Amerikaner könnten zu spät kommen

Dieser so simple wie effektive Mechanismus führt zu einem extrem harten Wettbewerb. Experten taxieren den Markt für die Lieferung von Essen aus Restaurants nach Hause auf weltweit rund 60 Milliarden Euro. Unternehmen, die beim Rennen um den Spitzenplatz mithalten wollen, sind zu gewaltigen Werbeausgaben gezwungen. Zumal E-Commerce-Riesen wie Amazon und Uber an Konzepten arbeiten, um auch in den lukrativen deutschen Markt drängen zu können.

Nur könnte es sein, dass die Amerikaner zu spät kommen. Auf dem deutschen Markt ist ein Zweikampf zwischen zwei börsennotierten Unternehmen entbrannt. Das zeigt eine neue Studie der Marketingberatungsfirma Ebiquity, die Welt am Sonntag vorliegt. Danach liefern sich die niederländische Lieferando-Mutterfirma Take-away und das Berliner Startup Delivery Hero mit seinen Marken Lieferheld, Pizza.de und Foodora eine teure Werbeschlacht. Die Werbeausgaben von Lieferando im vergangenen Jahr betrugen 93,4 Millionen Euro. Im Jahr davor waren es 89,5 Millionen Euro. Und wenn sich die Entwicklung der vergangenen Monate fortsetzt, werden es 2018 an die 100 Millionen sein.

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Exorbitante Summen sind das. Delivery Hero verdoppelte sein Werbebudget laut Ebiquity im vergangenen Jahr sogar und gab 78 Millionen Euro aus. Tendenz vermutlich steigend. „Online-Lieferdienste haben in einer kurzen Zeitspanne innerhalb der letzten Jahre einen enormen Werbedruck und Relevanz aufgebaut“, sagt Ebiquity-Manager Hellmut Fischer. Auffällig sei, dass beide Firmen fast ausschließlich auf Spots in den privaten Fernsehsendern ProSiebenSat1 und – in geringerem Umfang – RTL setzten. Womöglich werde ein Teil der Werbeleistungen über Unternehmensanteile bezahlt, mutmaßt Fischer.

Deliveroo beschränkt sich auf wenige Städte

Das Ringen der beiden Rivalen um die Marktführerschaft in Deutschland lässt Wettbewerbern wenig Raum. Deliveroo beispielsweise, ein britischer Lieferant, verkündet zwar potenziellen Bestellern auf seiner Website: „Wir erweitern ständig!“ Die Realität aber sieht anders aus. Erst vor wenigen Tagen hat das Unternehmen seinen Rückzug aus Düsseldorf, Leipzig, Stuttgart und sieben weiteren Großstädten bekannt gegeben, wie Gründerszene und NGIN Food exklusiv berichteten.

Nur in den fünf größten deutschen Metropolen will es künftig aktiv sein. Die Selbstbeschränkung kommt nicht von ungefähr. Ganze vier Millionen Euro hat Deliveroo nach Daten von Ebiquity seit 2011 in Deutschland für Werbung ausgegeben – viel zu wenig, um genügend Konsumenten im entscheidenden Jetzt-brauch-ich-was-zu-essen-Moment in den Sinn zu kommen.

Lieferando zum Beispiel steckte im gleichen Zeitraum 304 Millionen Euro in Werbung, Delivery Hero mit 279 Millionen kaum weniger. Viel Geld ist das für ein Geschäft, in dem es vor allem um die Auslieferung von Fast Food geht.

Dem Gewinner winken hohe Margen

Der Markennamen ist die wichtigste Investition in den eigenen Erfolg. Dem Gewinner winken hohe Margen auf der Basis eines eher schlichten Geschäftsmodells. Die Dienste arbeiten als Plattformen, die Tausende von Restaurants mit Verbrauchern zusammenbringen, die gerade Lust auf Pizza, Nudeln, Sushi oder Gyros haben. Für ihre Vermittlerdienste kassieren die Dienste eine Provision.

Neben der Plattform-Funktion bauen sie zum Teil eigene Flotten von Fahrrad-Boten auf, die beispielsweise ganz in Pink (Foodora), Türkis (Deloveroo) oder Gelb (Lieferando) gehüllt die eilige Fracht möglichst abliefert, bevor sie erkaltet. So ähnlich läuft es seit jeher bei zahllosen Pizzabäckern und ihren Pizza-Taxis – bloß, dass immer mehr Verbraucher über das Internet bestellen, anstatt zum Telefon zu greifen.

Das nötige Geld für die millionenschweren Ausgaben haben sich die Firmen über die Börse besorgt. Takeaway, zur Jahrtausendwende von dem Niederländer Jitse Groen gegründet, übernahm Lieferando 2014 und ging zwei Jahre darauf in Amsterdam an den Aktienmarkt. Der Schwede Niklas Östberg, der Delivery Hero 2011 gründete und heute Chef der Firma ist, sammelte im vergangenen Jahr beim Börsengang in Deutschland rund eine Milliarde Euro ein. Damit finanziert er auch die weitere Internationalisierung. Derzeit ist das Unternehmen in 43 Ländern überall auf der Welt aktiv. 

Gut 56 Prozent der Aktien sind im Besitz von Kleinaktionären. Sie alle hoffen darauf, dass die Wette auf den Sieg im Rennen um die Marktführung in möglichst vielen Ländern für sie aufgeht. Der Optimismus ist groß. Für Takeaway-Aktien werden heute rund 63 Euro gezahlt, fast das Dreifache des Ausgabekurses. Der Börsenwert beläuft sich auf über 2,7 Milliarden Euro.

Schlechte Meldungen ruinieren die Laune nicht

Delivery Hero wird an der Börse mit mehr als acht Milliarden Euro bewertet. Nicht einmal Östbergs Ankündigung von Anfang August, die Gewinnschwelle werde leider dieses Jahr nicht mehr erreicht, tat der guten Laune der Anleger nachhaltig Abbruch. Zwar bröckelte der Kurs gegenüber dem im Juli erreichten Höchststand von knapp 52 Euro etwas ab, doch die jetzt erreichten rund 47 Euro stellen immer noch nahezu eine Verdopplung gegenüber dem ursprünglichen Ausgabekurs dar.

Erstaunliche Zahlen sind das für eine Branche im Aufbruch. Schmerzschwellen werden denn auch sichtbar. Groen überraschte zu Jahresbeginn mit Andeutungen, er könne sich einen Zusammenschluss mit dem Konkurrenten aus Berlin vorstellen. Doch daraus dürfte so bald nichts werden. Zum einen würde das Kartellamt genau hinschauen, wenn aus einem Duopol ein Monopol würde. Zum anderen winkt Östberg ab. „Wir wollen unser Wachstum in Deutschland durch erhöhte Investitionen in Lieferheld, Pizza.de und Foodora weiter beschleunigen“, unterstrich er in der Welt am Sonntag den Willen zum Wachstum aus eigener Kraft.

Das Muster kommt vielen bekannt vor. Amazon, sagte Östberg denn auch einmal in einem Interview, sei für ihn Vorbild. Motto: Investieren, bis die Spitze erreicht ist, und dann absahnen. Noch allerdings ist dieses Rennen in Deutschland offen.

Dieser Text erschien zuerst bei WELT

Bild: Getty Images / Sean Gallup / Staff