In Berlin gehören die pinken Boxen des Essenslieferdienstes mittlerweile zum Stadtbild.

Ein Haarreif mit lila Hasenohren, wallender Rock, die pinke Lieferkiste auf dem Rad. Die Foodora-Fahrerin mag es knallig. Und sie mag ihren Job: Mit dem Fahrrad in Berlin Essen ausliefern – bei Wind und Wetter. Doch mit dem Rest ist sie nicht so zufrieden, sagt die 26-jährige Studentin, die ihren richtigen Namen nicht öffentlich lesen will und deshalb fortan Milena heißen soll, weil sie um ihren Job fürchtet.

So wie Milena geht es vielen. Neben ihr sind rund 80 Kuriere zum Lausitzer Platz gekommen, die im Auftrag von Foodora und Deliveroo Gerichte für Restaurants ohne eigenen Lieferdienst ausliefern.  

Mit einer Fahrrad-Demo wollen sie an diesem Donnerstagnachmittag unter dem Motto „Deliverunion – Riders Unite“ auf sich aufmerksam machen. Ihre Route führt durch die Straßen ihrer wichtigsten Liefergebiete: Vom Lausitzer über den Boxhagener (Friedrichshain) bis zum Rosenthaler Platz (Mitte), anschließend in die Ackerstraße (Gesundbrunnen).

Milena
„Milena“ macht ihren Job eigentlich gerne.

Das Ziel der Demo seien bessere Arbeitsbedingungen, sagt Milena. Konkret fordern die Fahrer unter anderem: einen höheren Stundenlohn, mehr Planbarkeit bei der Schichtverteilung und eine Übernahme der Fixkosten – wie die Reparatur der Fahrräder oder ein Smartphone für die Kurierdienst-App – durch Foodora und Deliveroo.

Milena teilt den Ärger. Sie selbst musste sich beim letzten Foodora-App-Update auf eigene Kosten ein neues Handy mit einer neueren Android-Version kaufen, weil sie sonst ihren Job nicht mehr hätte ausüben können. Und sie kennt noch mehr Beispiele. Sie erzählt: Ein Freund könne seinen Job nicht mehr machen, weil sein Fahrrad kaputt sei – wegen Verschleiß, wie Milena sagt. Dabei sei er Vollzeit bei dem Lieferservice beschäftigt.

Beide Lieferdienste, Foodora und Deliveroo, sind in letzter Zeit stark gewachsen, der Konkurrenzdruck ist hoch. Für Deliveroo sind nach eigenen Angaben derzeit in Deutschland rund 1.000 Kuriere unterwegs, für Foodora doppelt so viele. Laut Brancheninsidern sind die Fahrer der größte Kostenfaktor für Foodora und Deliveroo. Welcher Dienst sich auf dem hart umkämpften Markt am Ende durchsetzt, hängt demnach stark von der optimierten Auslastung und den Routen der Fahrer ab.

In letzter Zeit werden immer mehr Kurierfahrer angestellt, berichtet Foodora-Mitarbeiter Leo, der seine Nervosität bei der Demo mit Kettenrauchen bekämpft. Das sei ein Grund, warum er und viele seiner Kollegen um ihren Job zittern. „In manchen Wochen bekomme ich einfach keine Schichten”, sagt der Berliner, der seit mehr als einem Jahr für den Lieferdienst Foodora unterwegs ist. „Dann denke ich: Scheiße, du musst dir einen neuen Job suchen.” Die von den Firmen angepriesene Flexibilität gehe auf die Kosten der Fahrer, kritisiert Leo. Er bestreite seinen Lebensunterhalt von dem Geld, dass er bei Foodora verdient.

„Riders Unite“ lautet das Motto der Fahrradkurier-Demo.

Dass immer mehr Fahrer angestellt werden, ohne dass die Schichten dabei ausgelastet sind, hat einen Grund. Bei einer der großen Lieferdienst-Plattformen würden an einem Sonntag zeitweise 30.000 Bestellungen in einer Stunde reinkommen. „Wenn man davon ausgeht, dass ein Fahrer von Deliveroo oder Foodora drei Fahrten in der Stunde macht, brauchen sie 10.000 Fahrer”, sagte ein Brancheninsider bereits 2015 im Interview mit Gründerszene. Wegen regionaler Schwankungen müssten sogar noch mehr in Bereitschaft sein.

Je mehr Mitarbeiter eingestellt werden, desto lauter werden auch deren Beschwerden. Seit Kurzem organisieren sich die Fahrer in der Gewerkschaft FAU, bis dahin gab es nur eine inoffizielle Whatsapp-Gruppe. FAU ist nicht nur in Deutschland aktiv, sondern ebenfalls in anderen europäischen Ländern. Die Gewerkschaft will den Zusammenschluss der verschiedenen Gruppen organisieren. Viele der Foodora- und Deliveroo-Mitarbeiter sind Ausländer, außerdem existieren unterschiedliche Verträge zwischen den Lieferdiensten und ihren Fahrern: Festangestellte, Freelancer, Mini-Jobber und Co.

Wie viele Lieferdienst-Mitarbeiter die Gewerkschaft genau vertritt, will FAU auf Anfrage von Gründerszene nicht sagen. Nur so viel: Die Betriebsgruppen in beiden Unternehmen wüchsen, man sei „sehr zufrieden“ mit dem Zulauf. Mit der Demonstration habe man Präsenz zeigen wollen. Denn bislang sei weder ein Gespräch mit Deliveroo noch mit Foodora zustande gekommen. Jedoch hätten beide Unternehmen schon vor den Protesten mit einer Stellungnahme reagiert, sagt FAU-Sprecher Clemens Melter gegenüber Gründerszene, „und mit den Zusagen an uns, in Zukunft teilweise Kosten für Arbeitsmittel zu übernehmen“.

Ein Foodora-Sprecher bestätigt auf Anfrage von Gründerszene, derzeit werde geprüft, inwiefern eine anteilige Kostenübernahme für Betriebsmittel“ möglich sei. Zudem kündigte er eine weitere Automatisierung der Schichtplanung an, sodass die Fahrer dafür weniger Zeit aufwenden müssten als bisher. Damit einhergehend solle künftig sichergestellt werden, dass „die vorhandenen ausreichenden und auch vertraglich vereinbarten Schichten unseren Ridern automatisch zugewiesen und generell so erreicht werden können.“

Die Demonstranten wollen gehört werden.

Intern nimmt die Nervosität allerdings zu. Das geht aus einem internen E-Mail-Wechsel beim Foodora-Mutterkonzern Delivery Hero hervor, der Gründerszene vorliegt. Darin weist ein Foodora-Manager seine Kollegen an, die Proteste gegenüber der Presse herunterzuspielen: Jetzt gelte es den Journalisten einigermaßen diplomatisch klar zu machen, dass die FAU nicht ernst zu nehmen sei, bevor sie medial weiter aufgebaut werde, und am Ende wirklich zu einem relevanten Player heranwachse.

Auch Deliveroo plädiert gegenüber Gründerszene auf den direkten Austausch mit den Fahrern. Man sei offen für Feedback, heißt es in einer Stellungnahme vom Freitag. Bei Sorgen oder Anliegen könnten und sollten sich die Fahrer jederzeit an ihren Arbeitgeber wenden.

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Ob die Lieferdienste mit ihrer Strategie Erfolg haben, bleibt abzuwarten. Bei den Fahrern dürfte diese Form des Krisenmanagements nicht gut ankommen. „Die Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen zeigen doch vor allem eines”, sagt Milena. „Wir wünschen uns mehr Wertschätzung durch unseren Arbeitgeber.“ Milena findet: Anstatt immer mehr Geld ins Marketing zu stecken, sollte das Geld lieber in die Fahrer investiert werden. Dann hätte das Geschäftsmodell auch Zukunft, ist sie überzeugt. Denn eigentlich macht die Studentin ihren Job gerne. Seitdem sie als eine der „1st Riders“, wie sich die Fahrer intern nennen, vor knapp zwei Jahren bei Foodora angefangen hat, findet sie das Konzept „ökologisch sauber im eigenen Kiez Essen auszutragen, und dabei noch Geld zu verdienen einfach super”. Daran habe sich bis heute nichts geändert.

Bild: Jana Kugoth / Gründerszene