Bei Aldi-Süd gibt es immer mehr Angebote, die auch bei Aldi-Nord ausliegen.
Bei Aldi-Süd gibt es immer mehr Angebote, die auch bei Aldi-Nord ausliegen.

Deutschland ist ein geteiltes Land. Rund 660 Kilometer weit schlängelt sich eine Trennlinie quer durch die Republik. Der Anfang liegt in Nordrhein-Westfalen, im Grenzgebiet zu den Niederlanden. Das Ende wiederum findet sich tief im Osten, genauer gesagt im südlichen Sachsen, wo Deutschland und die Tschechische Republik aufeinandertreffen. Auseinandergehalten werden von dieser Markierung zwei gigantische Imperien von jeweils großer wirtschaftlicher Stärke: die Verkaufsgebiete von Aldi Süd und Aldi Nord. Aldi-Äquator wird die Grenze zwischen den beiden selbstständig agierenden Schwesterunternehmen umgangssprachlich genannt.

Nun sah es kurzzeitig danach aus, als sei diese Aufspaltung Vergangenheit. Das „Manager Magazin“ jedenfalls berichtet von Geheimprotokollen über Treffen ranghoher Konzernvertreter, in denen eine Verschmelzung der beiden Aldis nicht ausgeschlossen wird. Ganz so weit allerdings scheint der schon länger voranschreitende Friedensprozess zwischen den beiden Händler-Reichen dann doch noch nicht zu sein.

Eine Fusion sei weder geplant noch beabsichtigt, lassen Aldi Süd und Aldi Nord in einer gemeinsamen Erklärung wissen. Gleichwohl bündeln die beiden Unternehmen ihre Kräfte, zum Beispiel im Einkauf oder im Marketing, wie es weiter heißt. „Durch die ständige Optimierung von Gemeinsamkeiten verfolgen wir das Ziel, unsere Marktposition weiter zu festigen.“

Und das scheint auch nötig. Denn die Verbraucher in Deutschland strömen wieder vermehrt in die klassischen Supermärkte. Günstige Preise nämlich sind Marktforschern zufolge längst nicht mehr das wichtigste Argument beim Lebensmitteleinkauf. „Der Handel spiegelt gesellschaftliche Entwicklungen wieder und spaltet sich zunehmend auf in ein Segment für Routineeinkäufe mit den Discountern und zunehmend auch Online-Anbietern sowie in sinnliche, erlebnisorientierte Geschäfte der neuesten Generation“, beschreibt Boris Planer, der Deutschland-Chef vom Handelsinformationsdienst Planet Retail.

Der Zeitgeist setzt Aldi unter Druck

Um die anspruchsvollen Kunden nicht zu verlieren, investieren daher auch die Discounter in schönere Läden, mehr Service und ein vielfältigeres Angebot. Und wie: Aldi Süd steckt bis 2019 rund 3,5 Milliarden Euro in die Modernisierung seiner knapp 1900 Filialen, bei Aldi Nord sind es sogar fünf Milliarden Euro, damit die 2300 Märkte ein helleres und freundlicheres Aussehen bekommen und die Sortimente weiter ausgebaut werden.

Zwar versteht sich Aldi weiterhin als Discounter. „Der Zeitgeist zwingt das Unternehmen aber dazu, seine Filialen zu modernisieren“, sagt Planer. „Das, sowie die anstehende digitale Transformation, kosten viel Geld.“ Also müsse an anderer Stelle eingespart werden. „Und dafür bietet sich eine verstärkte Zusammenarbeit in etlichen Bereichen an.“

Tatsächlich findet diese Kooperation auch schon statt, etwa im Einkauf von Non-Food-Artikeln, also den Wühltisch-Sortimenten, die üblicherweise in der Mitte der Filialen Platz finden. Außerdem setzen die beiden Aldis seit 2016 auf eine gemeinsame Fernseh-Kampagne. Vor einigen Monaten haben sie gemeinschaftlich beschlossen, in Zukunft auf Plastiktüten zu verzichten.

Der Aldi-Äquator geht quer durch Deutschland.Und auch eine Milch mit Tierschutzlabel findet sich seit vergangenen Herbst in beiden Schwesterunternehmen. „Aldi Nord und Aldi Süd haben nicht nur dieselben Wurzeln und Namen, sondern auch identische Geschäftskonzepte und -strategien“, heißt es dazu von Aldi selbst. Selbstverständlich würden daher Kooperationen etabliert und gepflegt. „Diesen laufenden Prozess intensivieren wir seit Jahren.“

Handelsexperten indes geht das noch nicht weit genug. „Es drängt sich der Verdacht auf, dass es noch viel größere Synergien gibt, wenn man nur eins statt zwei Unternehmen hat“, sagt zum Beispiel Thomas Harms, der Leiter des Bereichs Handel & Konsumgüter bei der Beratungsgesellschaft EY.

Ähnlich sieht es auch Mirko Warschun. „Aktuell leisten sich die Unternehmen noch Doppelstrukturen, die aus Kunden- und Effizienzgründen gar nicht nötig sind“, sagt der Handelsexperte der Unternehmensberatung AT Kearney. „Ökonomisch macht ein Zusammenschluss der beiden Aldis daher Sinn.“ Und eine Verschmelzung sei auch relativ einfach, weil Konzept und Strategie sich stark gleichen und es dazu keine räumlichen Überschneidungen gibt.“

Auch Kartellrechtsexperten haben deswegen keine Bedenken. „Die Absatzmärkte für den Lebensmitteleinzelhandel werden in Deutschland nach ständiger Entscheidungspraxis des Bundeskartellamts regional abgegrenzt. Daher sind Aldi Nord und Aldi Süd bis heute in Deutschland nicht als Wettbewerber, sondern allenfalls als potenzielle Wettbewerber zueinander tätig“, sagt Rechtsanwalt Maximilian Kleine von Norton Rose Fulbright aus Hamburg.

„Mit einer Vollfusion von Aldi Nord und Süd wären diese Diskussionen beendet, da ein fusioniertes Unternehmen vom sogenannten Konzernprivileg profitieren würde. Das Kartellrecht fände damit normativ keine Anwendung mehr.“ Die Gründung eines reinen Einkaufs-Gemeinschaftsunternehmens dagegen sei kartellrechtlich anders zu bewerten und müsse geprüft werden.

Verteidigung des Status Quo

Fest steht indes, dass sich bei Aldi etwas bewegen muss. „Durch die Einlistung von Markenprodukten ist Aldi vergleichbarer geworden und damit auch angreifbarer“, analysiert Boris Planer. „Für sein Konzept braucht das Unternehmen aber die Preishoheit. Um die behalten zu können, muss nun die Effizienz in anderen Bereichen gesteigert werden.“

Dass Aldi aufgrund von Einsparungen die Preise senkt, hält er dementsprechend für unwahrscheinlich. Vielmehr geht es um die Verteidigung des Status Quo. „Das eingesparte Geld kann und muss für Investitionen genutzt werden. Es geht Aldi darum, seine Preisführerschaft trotz des verbesserten Einkaufserlebnisses zu verteidigen.“ Der Zeitpunkt eines Zusammenschlusses ist für den Planet-Retail-Experten dabei nachrangig. „Was zählt, sind effizientere Prozesse, und die sind zunächst auch ohne Fusion umsetzbar.“

Denn die ökonomische Seite einer Verschmelzung ist das eine, familiäre Animositäten sind das andere. Die Trennung von Albrecht-Discount, wofür die Abkürzung Aldi eigentlich steht, geht schließlich auf einen Streit zwischen den Brüdern Theo und Karl zurück.

Anfang der 1960er-Jahre stritten sich die beiden Gerüchten zufolge über die Aufnahme von Zigaretten und Tabak ins Sortiment: Theo war dafür, Karl dagegen. Und weil sich der Zwist nicht auflösen ließ, wurde Aldi kurzerhand in Nord und Süd geteilt mit den beiden nur wenige Kilometer voneinander entfernten Konzernzentralen Essen für den Norden und Mülheim für den Süden.

Kulturunterschiede werden Stück für Stück geringer

Mittlerweile sind die handelnden Personen zwar andere. Die Auseinandersetzungen und Vorurteile der Vergangenheit scheinen jedenfalls ausgeräumt, berichten Beobachter. Noch dazu haben externe Manager das Sagen und dabei einen unverkrampften Blick auf die Gemengelage, wie es heißt.

Selbst die Kulturunterschiede scheinen Stück für Stück geringer zu werden. Noch vor einigen Jahren galt Aldi Nord als konservativ und wenig innovativ. „Dort wurde erst etwas verändert, wenn es gar nicht mehr anders ging“, sagt ein Branchenexperte. Mittlerweile aber gibt es auch beim Unternehmen mit dem blau-roten Logo massive Investitionen und eine große Offenheit gegenüber Neuerungen. „Man ist sich viel ähnlicher geworden.“

Abschreckend wirkt aber offenbar der Machtkampf zwischen den Gesellschaftern von Aldi Nord. Regelmäßig treffen sich die Albrecht-Nachkommen vor Gericht und streiten um Macht und Einfluss. „Da stellt sich für die Macher im Süden natürlich die Frage, ob sie sich diese Unruhe ins Haus holen“, sagt ein Kenner.

Dieser Text erschien zuerst auf welt.de.

Bild: Getty Images / Ralph Orlowski / Stringer, Grafik: DIe WELT