Tengelmann-Chef Karl Erivan Haub ist in den Schweizer Alpen verschollen.
Tengelmann-Chef Karl Erivan Haub ist in den Schweizer Alpen verschollen.

Wenn in den vergangenen Tagen vom Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub die Rede war, hatten die meisten Menschen wohl spontan eine angestaubte Supermarktkette vor Augen. Eine zumal, die über die Jahre so unwirtschaftlich geworden war, dass die stationären Geschäfte von Kaiser’s-Tengelmann Ende 2016 an die Konkurrenten Edeka und Rewe verkauft wurden.

Seit über einer Woche gilt Haub als vermisst. Er war am 10. April allein zu einer Skitour am Klein Matterhorn aufgebrochen und anschließend nicht wie verabredet ins Hotel in Zermatt zurückgekehrt. Seine Familie hat die Suche in den Schweizer Alpen inzwischen aufgegeben.

Update vom 18. April 2018: Elf Tage nachdem Karl-Erivan Haub verschwunden ist, übernimmt sein Bruder Christian Haub die Führung von Tengelmann. Mit sofortiger Wirkung leite der 53-jährige Christian Haub als alleiniger Geschäftsführer das Familienunternehmen, teilte die Handelsgruppe mit. „Der Verlust unseres Bruders ist für unsere Familie eine Tragödie. Aber sie gefährdet nicht den Weiterbestand unseres Familienunternehmens“, sagte Christian Haub zu seiner neuen Position.

Den Unternehmer nur mit einer zerschlagenen Supermarktkette in Verbindung zu bringen, wird ihm allerdings in keiner Weise gerecht. Haub ist einer der wichtigsten Förderer der Startup-Szene geworden und hat sein Familienunternehmen zu einem der größten Wagniskaptialgeber Deutschlands gemacht. Im Rückblick erscheinen einige seiner Entscheidungen geradezu visionär.

„Papi, das kannst du auch im Internet bestellen“

Wie so oft waren es die eigenen Kinder, die Haub den entscheidenden Anstoß gaben, sich mit den neuen Möglichkeiten der Internetwirtschaft zu beschäftigen. Im Jahr 2006, so hat Haub es erzählt, gaben ihm seine Kinder in der Weihnachtszeit einen Wunschzettel. Fünf Wünsche standen auf dem Zettel. Und ganz unten ein Hinweis: „Liebe Mami, lieber Papi, das könnt ihr auch alles ganz leicht über das Internet bestellen.“ 

Ein einschneidendes Erlebnis, wie der technologiebegeisterte Tesla-Fahrer später erzählte. In der Folge begann er, auch sein unternehmerisches Handeln auf das Internet hin auszurichten und vermehrt junge Firmen zu beobachten.

Für erstes Aufsehen sorgte er damit im Jahr 2009. Damals investierte Haub 20 Millionen Euro in eine Berliner Firma, die damals noch vergleichsweise unbekannt war – Zalando. In der Welt der Corporates damals eine ungewöhnliche Maßnahme, für Haub nur ein natürlicher und notwendiger Schritt ins 21. Jahrhundert. „Wir lernen wahnsinnig viel aus diesen Beteiligungen“, sagte er mit Blick auf seine Investitionen im E-Commerce einst der Berliner Morgenpost. „Wenn wir die nicht hätten, wäre uns die wahre Dynamik, mit der das Online-Geschäft den Einzelhandel gegenwärtig verändert, wahrscheinlich bis heute nicht ganz klar.“ Von Zalando habe er vor allem gelernt, dass man Veränderungen annehmen muss. „Ob man will oder nicht.” Seitdem sah er es als seine Hauptaufgabe, „den Eintritt des Unternehmens in die digitale Welt zu begleiten“.

Noch im gleichen Jahr legte er den firmeneigenen VC-Fonds Tengelmann Ventures auf. Über die Jahre investierte Haub so in dutzende Startups: vom Essens-Lieferdienstvermittler Delivery Hero, über den Mobilitätsdienst Uber, bis zum Online-Shop Babymarkt.de. Tengelmann Ventures entwickelte sich zu einem der größten Risikokapitalgeber Deutschlands. 2016 kürte der Branchendienst CV Insights die Beteiligungsgesellschaft zur aktivsten Risikokapitalsparte deutscher Konzerne. Damals standen für die fünf bis zehn neuen Beteiligungen im Jahr rund 50 Millionen Euro zur Verfügung, 2017 waren es schon 75 Millionen Euro. Aktuell gehören Namen wie Ottonova, Coffee Circle oder Klarna zum Portfolio.

Keine Zeit für Bedenkenträger

Jedes Jahr im Frühling lud Haub zudem zum eDay am Firmenstammsitz im Mülheim. Die Veranstaltung für Jungunternehmer, Investoren und sonstige Player der E-Commerce-Szene wurde zu einem beliebten Termin der Startup-Szene. Auch Rocket-Internet-Gründer Oliver Samwer stand dort schon auf der Bühne. Der möge solche Auftritte eigentlich nicht, sagte er damals. „Aber ich schulde der Familie Haub etwas“, fügte er mit Blick auf Haubs Zalando-Investment von 2009 an.  

Haub war dafür bekannt, dass er nicht nur Geld gab, sondern Gründern auch mit Rat und Tat zur Seite stand. Schätzungen zufolge machten die Investments in Startups im vergangenen Jahr rund ein Viertel des Familienvermögens von 4,2 Milliarden Euro aus. Eine Zahl, die zeigt, dass die Beschäftigung mit der Digitalwirtschaft für Haub keine Spielerei war, sondern rational betrachtet der einzig vernünftige unternehmerische Weg.

„Wer jetzt nicht dabei ist, kann nun mal später nicht zu den Marktführern zählen“, sagte er anlässlich seines Zalando-Investments. „Viele dieser jungen Firmengründer versuchen, mit sehr viel Power und Kreativität herkömmliche Anbieter vom Markt zu fegen. Darauf legen sie es regelrecht an, das macht ihnen Spaß.“ Die Digitaliserung verglich er mit einem Tsunami, der alles Alte auslösche. Es sei eine „Zeit für Abenteurer, nicht Bedenkenträger“. Damit meinte er nicht nur seine Beteiligungen, sondern auch die etablierten Ketten unter dem Dach von Tengelmann. Erst im vergangenen Sommer hatte er angekündigt, in den kommenden fünf Jahren 1,5 Milliarden Euro in die Digitalisierung der Bauhauskette Obi, den Textildiscounter Kik und den Heimausstatter Tedi zu stecken. 

Annäherung zwischen Old und New Economy

Unabhängig von seinem Schicksal hinterlässt Karl-Erivan Haub der Startup-Szene ein Vermächtnis. Eines, das weit über die Millionen, mit denen er junge Unternehmen gefördert hat, hinaus geht. Haub, der an der Schweizer Elite-Universität St. Gallen studierte und bei Nestlé und McKinsey seine Karriere begann, entdeckte als einer der ersten das Potential der Gründerszene, die Möglichkeiten des E-Commerce – und die damit verbundenen Gefahren für den etablierten Einzelhandel. Auf diesem Weg hat er so viel zur Annäherung von New und Old Economy beigetragen, wie nur wenige in Deutschland. 

Angesprochen auf den Verkauf von Kaiser’s-Tengelmann sagte er einmal: „Wenn man der Familie einen Fehler vorhalten könne, dann den, zu lange an den Supermärkten festgehalten zu haben.“ Es ist genau dieser Spirit, dieser Glaube an das Neue, der Haub von den meisten Managern seiner Generation abhebt. Der Startup-Szene hat er damit einen großen Dienst erwiesen. 

Bild: Tengelmann