Die Cannabisbranche boomt: Auch in Bier ist die Zutat mittlerweile enthalten.

Peter Böck musste nicht lange überlegen. „Die Testtrinker waren sofort überzeugt“, berichtet der Marketing- und Vertriebsgeschäftsführer der bayerischen Billig-Brauerei Oettinger. Für ihn sei daher klar gewesen: „Diese Idee hat Potenzial, da bleiben wir dran.“ Gemeint ist mit dieser Idee Hanfkiss, ein Biermischgetränk mit ausgesuchten Hanf-, Grüntee- und Kräuter-Extrakten, das zusätzlich zum Alkoholgehalt von 2,5 Prozent auch noch 0,2 Prozent THC enthält. Also die psychoaktive Substanz der Hanfpflanze, der eine berauschende Wirkung zugeschrieben wird. Erstmals erhältlich ist Hanfkiss in Kürze auf dem Festival Wuzdog Open Air im bayerischen Dornstadt, im Juli und August kommt das Cannabis-Bier aber auch in den Handel. 

Mit dem neuen Mixgetränk will Oettinger vom aktuellen Biermisch-Boom in Deutschland profitieren. Um über zehn Prozent ist der Absatz im Jahr 2018 gestiegen, meldet das Statistische Bundesamt – und das noch ohne die alkoholfreien Varianten von Radler und Co., die in eine andere Statistik einfließen. Zum Vergleich: Der Bierverbrauch insgesamt legte im Vorjahr um gerade mal 0,5 Prozent zu.

Das haben auch Startups erkannt: Die Hamburger Jungbrauerei Joybräu beispielsweise hat ein alkoholfreies Proteinbier entwickelt. Das DHDL-Startup Babo Blue mischt Beerenaroma in seine Biergetränke.

Unter dem Strich haben die Brauereien in Deutschland 2018 rund 4,4 Millionen Hektoliter Biermischgetränke verkauft, die Marktforscher von Nielsen sehen den Anteil am Gesamtabsatz damit bei rund sieben Prozent. Im Sortenranking reiht sich die Kategorie damit auf Platz drei ein, wie eine aktuelle Nielsen-Auswertung zeigt: hinter Pils und Weizen und noch vor Hellem, Alkoholfrei und dem untergärigen Export-Bier.

„Wir sehen derzeit das Comeback von Biermix“

Und 2019 läuft es weiterhin gut. Zwischen Januar und März lag der Absatz von Biermischgetränken im Vergleich zum ersten Quartal des Vorjahres stattliche 16,7 Prozent im Plus, meldet das Statistische Bundesamt. „Wir sehen derzeit das Comeback von Biermix“, sagt daher Herbert Sollich, der Marketing-Direktor der Brauerei Veltins, die mit der Marke V+ zu den größten Anbietern von Biermischgetränken in Deutschland gehört. Der Marktanteil nähere sich jedenfalls wieder den bisherigen Spitzenwerten aus den Jahren 2009 bis 2011. Wichtigster Treiber ist dabei Sollich zufolge Radler, allen voran das sogenannte Naturradler.

Biermischgetränken enthalten im Vergleich zum Vollbier meist nur halb so viel Alkohol. „Die Ernährungsgewohnheiten der Deutschen wandeln sich. Bier mit wenig Alkohol liegt damit ebenso im Trend wie die alkoholfreien Varianten.“ Angesprochen würden also sowohl die klassischen Biertrinker als auch Kunden, die sonst vor allem alkoholfreie Getränke kaufen. 

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Kaum verwunderlich also, dass die Mix-Vielfalt in den Getränke- und Supermärkten zuletzt deutlich gestiegen ist. „In keinem Biersegment gibt es so viele Innovationen“, weiß Experte Sollich. Das Hanf-Experiment von Oettinger ist trotzdem eher die Ausnahme. Die Mehrzahl der Brauereien konzentriert sich auf immer neue Ausprägungen von klassischen Mix-Themen wie Grapefruit, Lemon und vor allem Radler. „Herbe Früchte passen vom Geschmacksprofil noch immer am besten zum Bier“, erklärt Brauer-Präsident Lehmann, der im Hauptberuf Chef der Paulaner Brauerei-Gruppe aus München ist. Tatsächlich ist Radler – beziehungsweise Alsterwasser wie es in Nordwestdeutschland heißt – das mit Abstand beliebteste Getränk im Biermixmarkt. Mehr als die Hälfte des Absatzes entfällt auf diese Sorte – auch weil Radler mittlerweile vielschichtig ist.

Wachsendes Bewusstsein für natürliche Lebensmittel

Rund 330 verschiedene Radler-Produkte kennt der Markt, sagen Experten. Dazu kommen weitere 60 Angebote bei alkoholfreiem Radler. Zwar gibt es das Mischen von Bier und Zitronenlimonade schon seit den 1920er-Jahren. Trotzdem ist die Dynamik aktuell größer denn je. Nielsen jedenfalls weist für 2018 ein Wachstum von 21 Prozent für das klassische Radler aus, dazu 25 Prozent bei alkoholfreiem Radler, zu dem auch die neuen 0,0%-Varianten verschiedener Brauereien gehören. Die größten Sprünge aber macht derzeit das sogenannte Naturradler. 

So sieht das Hanfkiss-Bier von Oettinger aus.

Platz für Neueinsteiger bietet der Markt. Das jedenfalls glaubt Marcus Strobl, der Biermarkt-Spezialist bei Nielsen. „Dieser Trend wird uns noch weiter begleiten“, ist Strobl überzeugt. „Auch weil es an die Entwicklung zu naturtrüben regionalen Bierspezialitäten anknüpft, die wir schon länger beobachten.“ Und weil das Bewusstsein der Konsumenten in Bezug auf natürliche Lebensmittel so stark steige wie nie zuvor. Noch dazu sei der Geschmack von Naturradler massentauglich. „Das mag fast jeder.“ Wobei die Käufer aktuell überdurchschnittlich jung sind: fast 40 Prozent sind nicht mal 40 Jahre alt. Beim klassischen Radler liegt der Anteil der entsprechenden Altersgruppe bei lediglich 30 Prozent. 

„Im Grunde ist Radler mittlerweile aber ein Ganzjahresprodukt“, sagt Sollich mit Verweis auf eigene Marktbeobachtungen. In Köln betreibt Veltins seit einigen Jahren ein sogenanntes Trendbüro. Fünf junge Mitarbeiter kümmern sich dort um das Marketing für die Mix-Marke V+ – und gehen darüber hinaus als Trendscouts in die Kneipen und Restaurants der Stadt oder auf Festivals und Grillwiesen. „Die Kollegen beobachten sehr genau das Verhalten der Konsumenten: also was die Leute trinken, wie viel, zu welcher Zeit, aus welchem Gebinde, wie lange sie bleiben und so weiter.“ Der Biermix-Trend habe sich dabei frühzeitig abgezeichnet. Veltins hat daher im Frühjahr 2018 ein Naturradler unter der Landbier-Marke Grevensteiner auf den Markt gebracht und dementsprechend profitiert.

Biermischgetränke verkaufen sich ohne Rabatt

„Selbstdreher“ werden derlei Getränke in der Branche genannt – weil sie von den Kunden auch ohne Preiszugeständnisse gekauft werden. Hinzu kommt, dass Radler und die anderen Mischungen üblicherweise als Sixpack im Einkaufswagen landen – was den Preis nochmal zusätzlich treibt. Im Gebindevergleich jedenfalls ist die klassische Drittelliterflasche mit einem Anteil von 49 Prozent die beliebteste Verzehrgröße, wie die Nielsen-Zahlen zeigen. Und der Großteil davon gehe als Sixpack über die Ladentheke.

Hanfkiss von Oettinger hingegen wird nicht in die klassischen Glasflaschen abgefüllt. Das Cannabis-Bier kommt als Halbliter-Plastikpulle mit Schraubverschluss in den Handel – was aus Sicht von Experten angesichts der hochkochenden Diskussionen um Plastikmüll noch zum Problem werden kann. Das Getränk muss aber ohnehin die hohen Erwartungen erst noch bestätigen. „Fakt ist, dass die Lebenszyklen sehr exotischer Biermischgetränke in der Regel sehr kurz und die Absatzerwartungen eher übersichtlich sind“, berichtet zum Beispiel Kulmbacher-Mann Eßer von eigenen Erfahrungen im Biermischmarkt. Oettinger hat sein Experiment aber abgesichert. Zumindest haben die Bayern, die wie jeder Billig-Brauer schnell auf vielversprechende Trends aufspringen, längst ein Naturradler auf den Markt gebracht – in der 0,33-Liter-Steinie-Glasflasche.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Welt.de.

Bild: Matej Divizna / Getty Images