Karsten Schaal betreibt den Online-Supermarkt Food.de
Karsten Schaal ist Seriengründer, leidenschaftlicher Skater und Geschäftsführer von Food.de.

„Wir wollten kein Wachstum auf Teufel komm raus“, sagt Karsten Schaal, Gründer des Online-Supermarkts Food.de. Als die Corona-Pandemie sich in Deutschland ausbreitete, änderte sich das über Nacht. Die Nachfrage nach Lebensmittel-Lieferungen überstieg die Kapazitäten bei fast allen Anbietern. Auch Schaal wurde überrannt: „Auf einmal hatten wir 25-mal so viele Anmeldungen wie sonst. Innerhalb von drei Tagen hatten wir den Umsatz von zwei Wochen.“

Die Lebensmittel-Branche gilt traditionell als verschlossen; wie es hinter den Kulissen läuft, verrät fast niemand. Schaal äußert sich offener – auch, weil Food.de eine eigenständige Firma ist und keine Konzerne als Gesellschafter hat. Hinter dem Online-Supermarkt steht die Food Direkt GmbH, die Schaal 2011 gemeinsam mit Christian Fickert in Leipzig gründete. Laut Schaal wollte anfangs ein Investor einsteigen – doch der sprang ab und die Gründer finanzierten das Unternehmen selbst.

Die einzige externe Finanzierung erhielt Food Direkt 2012 von der IBB und einem privaten Geldgeber, insgesamt 650.000 Euro flossen dabei. 2013 sei es beinahe zum Verkauf an eine große Einzelhandelskette gekommen, sagt Schaal. Doch der Exit sei wenige Tage vor Vertragsunterzeichnung geplatzt. Danach stieg Fickert aus, Schaal blieb und entschied sich für organisches Wachstum. Der Plan ging auf: 2019 habe die Firma vor einem zweistelligen Millionenumsatz gestanden, so Schaal. 2020 werde es wegen des Corona-Ansturms wohl deutlich mehr werden. Konkrete Summen nennt jedoch auch er nicht, auch zur Zahl der Kundinnen und Kunden hält er sich bedeckt. 

Krise als Chance

Als es zu Beginn der Corona-Krise zu Engpässen im lokalen Einzelhandel kam, schwenkten viele Personen auf Online-Supermärkte um. Wegen der Bestellflut mussten Anbieter wie Amazon Fresh und Rewe Online neue Kundenanmeldungen zeitweise sogar ablehnen. Food Direkt hingegen habe Neukunden auch weiterhin beliefert: „Unser Fokus war ausliefern, egal ob wir etwas dran verdienen“, sagt Schaal. 

Zeitgleich mit dem Umsatz seien nämlich die Kosten gestiegen, berichtet der Gründer. Er habe in Vorleistung gehen und die sonst schlanke Logistik aufstocken müssen. Das hieß auch, neues Personal einzustellen: „Am Anfang habe ich nur noch Bewerbungsgespräche geführt, jetzt habe ich das auf zwei Tage pro Woche gebündelt“, so Schaal. Vor der Krise konnte Food Direkt nach Angaben des Gründers mit 20 Fahrzeugen und 35 Fahrern taggleiche Direktlieferungen in 32 deutsche Städte anbieten. Das heißt: Bestellungen werden am selben Tag persönlich an die Kunden überreicht. Nun beschäftige das Unternehmen dreimal so viele Mitarbeiter wie vorher. Nach der Pandemie sollen es aber wieder weniger werden, sagt Schaal.

Da Food Direkt die Lebensmittel beim Transport durch spezielle Verpackungen kühlt (sogenannte Passivkühlung), konnten schnell Transporter angemietet und in die Lieferkette eingebunden werden. Zum Vergleich: Rewe etwa betreibt fünf aktiv gekühlte Transporter pro Stadt und bietet erst seit 2019 taggleiche Direktlieferungen an. Andere große Anbieter wie Bringmeister und Hello Fresh lagern ihre Logistik auf externe Dienstleister wie Liefery aus, wodurch sie sich gegenseitig Kapazitäten wegnehmen.

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Food Direkt konnte die Logistik auch so schnell aufstocken, weil die Firma diesen Fall schon durchgespielt hatte: Vor der Gründung entwickelten Schaal und Fickert eine Software, die ihren Online-Supermarkt digital simulierte – im zehnfachen Maßstab: „Wir haben so getan, als hätten wir schon hundert Millionen Euro Umsatz und neunzig Fahrzeuge“, erklärt Schaal. So hätten sie das Geschäft optimiert, bis es sich auch mit einer kleineren Flotte rechnete. Diese Software steuert noch heute automatisiert die Logistik.

Bestellmengen jenseits aller Vernunft

Das erhöhte Kundenaufkommen konnte Food Direkt durch die Software bewältigen. Womit der 44-jährige Schaal jedoch nicht gerechnet hatte, waren die Bestellmengen: „Die Warenkörbe waren so voll, als würde morgen der Krieg ausbrechen und jeder müsste zwölf Monate überleben.“ Der durchschnittliche Einkaufswert sei ständig überschritten worden, mit Bestellungen von bis zu 600 Euro. Bei einer vierköpfigen Familie sei das ein Vorrat für vier Wochen.

Durch diese Nachfrage seien die 40 Lager des Cash & Carry-Anbieters, von dem Food.de die Lebensmittel bezieht, geleert gewesen. Die Produktlieferanten hätten nicht schnell genug aufstocken können. Zusätzlich sei der Cash & Carry-Anbieter selbst ein Supermarkt für Unternehmen, wodurch die Nachfrage doppelt so groß gewesen sei, sagt Schaal. Zwischenzeitlich habe sich die Wartezeit für Food-Direkt-Lieferungen auf zwei Wochen gesteigert. 

Inzwischen normalisiere sich der Kundenzustrom zwar etwas, aber das Auftragsvolumen sei dauerhaft größer als vor der Krise. „Wir wachsen wie verrückt. Es wird auch nicht abnehmen“, glaubt Schaal. Das läge auch daran, dass viele Kunden sich jetzt an die Online-Bestellung von Lebensmitteln gewöhnen würden: „Man merkt, dass da langsam eine neue Einkaufskultur entsteht. Ich glaube nicht, dass der klassische Lebensmittelhandel sich davon die Anteile wieder zurückholt.“ Vor der Krise galt der Onlinehandel mit Lebensmitteln jahrelang als nicht tragfähig.

Bild: Food Direkt

Ein Supermarkt mit leeren Regalen. Viele Kunden bestellten dann im Online-Supermarkt.
Nachdem der stationäre Handel ausverkauft war, bestellten viele Kunden im Online-Supermarkt.

Es ist nicht selbstverständlich, dass Food Direkt bis zur Corona-Krise durchgehalten hat. Selbst große Händler konnten jahrelang die „harte Nuss Lebensmittel-Onlinehandel“ nicht knacken, wie Schaal den Markt beschreibt. Für viele Unternehmen sei etwa die Zustellung unter Einhaltung der Kühlkette problematisch. Anfangs verschickten fast alle Händler die Lebensmittel per Paketdienst, anstatt sie mit eigenen Fahrzeugen zu liefern. Laut des Food-Direkt-Gründers nahezu unmöglich: „Man kann nicht drei Klimazonen in ein Paket packen und denken, das käme beim Kunden ordentlich an.“

Auch Schaal gelang es erst beim zweiten Versuch, einen Online-Supermarkt aufzubauen. 2001 scheiterte der erste Anlauf, als die Dotcom-Blase platzte. Durch Rückschläge wie diesen galt das Konzept jahrelang in Deutschland als nicht tragfähig. Auch Schaal wandte sich anderen Projekten zu: Der gelernte Multimedia-Designer baute Onlineshops und investierte in die Crowdfunding-Plattform Seedmatch. Zusätzlich gründete er eigene Startups, darunter den ehemaligen Sponsoren-Vermittler Mysponsor.net und den Maßkonfektionär De Scale. 

Ohne neues Geld wird es schwierig 

Als Schaal 2010 beschloss, Food Direkt neu zu starten, glaubte noch immer fast niemand an einen funktionierenden Online-Lebensmittelhandel. „Jeder Analyst und jeder Investor hat uns gesagt, dass Lebensmittel online irrelevant sind. Gleichzeitig hab ich in der Schweiz und in London gesehen, dass das funktioniert.“ Der Gründer erhielt anfangs nur finanzielle Unterstützung von seiner Familie. Externen Geldgebern habe der Proof of Concept gefehlt oder ihnen sei die Wachstumskurve zu klein gewesen.

Inzwischen gehören die Lkw verschiedener Online-Supermärkte gerade in Großstädten zum Straßenbild. Neben Food.de beliefern unter anderem Rewe, Edeka (Bringmeister), Real, Picnic und Getnow Kunden mit Lebensmitteln. Im Mainstream sei das Konzept aber noch nicht angekommen, meint Schaal. Für denjenigen Händler, der den deutschen Markt gewinnt, seien Jahresumsätze von bis zu 400 Millionen Euro möglich, prognostiziert er. 

Doch um die durch Corona gestiegene Nachfrage langfristig bedienen zu können, müsste Food Direkt auf 80 Lieferfahrzeuge aufstocken. Dazu bräuchte Schaal eine Millionensumme, sagt er. Da das Unternehmen noch nicht profitabel wirtschafte, sei es für eine so hohe Investition auf externe Geldgeber angewiesen. Wie weit der Gründer seinen Online-Supermarkt jetzt ausbauen kann, hängt also davon ab, ob das Unternehmen einen entsprechenden Kredit bekommt – oder doch noch den richtigen Investor findet: „Wenn ein passender Partner käme, hätte ich nichts dagegen. Die Chance, die wir jetzt gerade in dem Markt haben, ist einmalig.“

 

Bild: Getty Images / Smith Collection/Gado / Kontributor