Im niederländischen Amersfoort hat Picnic den E-Food-Markt schon erobert.
Im niederländischen Amersfoort hat Picnic den E-Food-Markt schon erobert.

Bei der Expansion in Deutschland gibt das holländische Liefer-Startup Picnic Gas: Kaum vier Monate nach dem Start seiner deutschen Aktivitäten im Raum Neuss und Teilen der Stadt Düsseldorf weitet die Firma ihren Lieferdienst auf die Stadt Mönchengladbach aus, kündigte Frederic Knaudt, Mitbegründer des deutschen Ablegers, an. „Es ist denkbar, dass wir in diesem Jahr noch einen weiteren Expansionsschritt vornehmen“, so Knaudt. 

Das Konzept des Newcomers beruht vor allem auf einer ausgefeilten Datenverarbeitung. Kunden bestellen über eine spezielle App Obst, Gemüse, Fleisch oder Backwaren, wobei das Angebot nach Firmenangaben dem eines normalen Supermarkts entspricht. Den Käufern werden dann mehrere Zeitfenster für die Lieferung zur Auswahl angeboten, wobei die jeweiligen Zeitfenster maximal 20 Minuten betragen sollen.

Nach kurzer Zeit, so das Konzept, stellt sich eine gewisse Regelmäßigkeit ein – etwa ein bestimmter Liefertermin pro Woche –, die den Lieferzeitpunkt weiter präzisieren soll. Die Konsumenten können über die App den Weg des Zustellfahrzeugs feststellen und erhalten darüber auch den Namen und ein Foto des Fahrers übermittelt – Picnic spricht vom „Milchmann-Prinzip“.

Zur Milchmann-Idee gehört auch ein Verzicht auf eine eigens ausgewiesene Liefergebühr. Kostenmäßig gilt dies in der Branche als gewagtes Unterfangen. De facto fallen pro Lieferung nach Angaben von Rewe, Marktführer beim E-Commerce mit frischem Gemüse, Milchprodukten und Tiefgekühltem, mindestens fünf Euro Kosten an.

Ob sich das Geschäftsmodell trägt, muss noch zeigen

Knaudt beruft sich jedoch darauf, dass die Kosten für sein Unternehmen vergleichsweise niedrig seien. Neben festen Lieferzeiten gibt das System den Fahrern – im Firmenjargon „Runner“ genannt – auch feste Routen vor, die nach Effizienzgesichtspunkten von einem Algorithmus ausgerechnet werden.

Nach Einschätzung von Experten haben die Niederländer die Kosten besser im Griff als viele Wettbewerber, gerade auf der als Kostentreiber gefürchteten „letzten Meile“ vor der Haustür des Verbrauchers. Dazu trage auch bei, dass die Fahrer in ihren Elektro-Lieferwagen vom Typ Goupil überwiegend von einer Zeitarbeitsfirma angeheuerte Studenten sind.

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Doch ob das Geschäftsmodell auf Dauer trägt, muss sich trotzdem erst noch zeigen. Wie bei jungen Online-Firmen üblich, muss zunächst jeder Euro in das Wachstum gesteckt werden, um eine gewisse Marktbedeutung zu erreichen. Edeka Rhein/Ruhr – eine der sieben Regionalgesellschaften des größten deutschen Lebensmittelhändlers – spielt dabei eine Schlüsselrolle. Von den zehn Lieferpartnern ist Edeka der mit Abstand bedeutendste.

„Edeka Rhein-Ruhr ist für uns wichtig, weil wir dadurch Zugang zu einer großen Produktpalette und zu den Marken haben“, sagt Knaudt. Als Logistik-Knotenpunkt dient zudem ein Teil eines Lebensmittellagers in Viersen, das Edeka bei der Übernahme der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann quasi als Dreingabe mit in die Hände gefallen war.

Am deutschen Picnic-Ableger hat die genossenschaftliche Gruppe einen Anteil von 20 Prozent übernommen. Der Deal ist intern nicht unumstritten. „Edeka-Kaufleute sehen die Kooperation teilweise auch kritisch“, hieß es im Fachblatt „Lebensmittelzeitung“.

Sie fürchteten, dass der eigene Großhändler ihnen mit der neuen Beteiligung hausintern Konkurrenz bereite und Kunden abspenstig mache. Zudem verfügt die Edeka-Zentrale mit dem Lieferdienst Bringmeister bereits über eine E-Commerce-Tochter, die ebenfalls aus dem Erbe von Kaiser’s-Tengelmann stammt.

Picnic tritt gegen große Wettbewerber wie Amazon und Rewe an. Vier Gründer hatten das Unternehmen vor drei Jahren in Amersfoort auf die Schiene gesetzt und von vornherein als reiner Online-Anbieter konzipiert. In einer Finanzierungsrunde im März vergangenen Jahres steckte eine Handvoll niederländischer Investoren – überwiegend vermögende Händler-Familien – 100 Millionen Euro in die Firma.

Hohe Marktdurchdringung notwendig

Die Flächenausweitung im Stammland läuft zügig. Inzwischen liefert Picnic in 55 niederländischen Gemeinden Lebensmittel aus, darunter in allen größeren Städten wie Utrecht, Amsterdam oder Den Haag. Insgesamt sind nach eigenen Angaben 175.000 Kunden registriert, zudem bestehe eine Warteliste mit 50.000 Namen. Zu Wartezeiten zwischen einigen Tagen und wenigen Wochen könne es kommen, weil die Lager- und Logistik-Kapazitäten erst Schritt für Schritt angepasst würden.

„Da, wo wir sind, legen wir Wert auf eine hohe Marktdurchdringung“, sagte Knaudt. Dies habe Vorrang vor einer schnellen Ausweitung des Liefergebiets und sei im Interesse geringer Kosten pro Lieferung notwendig.

In dem vergleichsweise engen bisherigen Tätigkeitsgebiet verfügt Picnic nach Knaudts Angaben wenige Monate nach dem Start bereits über 5000 Kunden. „Das ist in diesem Raum ein Vielfaches der Kundenzahl aller anderen Wettbewerber zusammen“, so Knaudt.

Inzwischen beschäftigt Picnic in Nordrhein-Westfalen rund 100 Mitarbeiter. Mit Mönchengladbach, wo zunächst für einige Wochen die Routen durch Testläufe optimiert werden sollen, kommen 110.000 Haushalte als potenzielle Käufer hinzu. Die Flotte der Elektro-Vans wächst von 25 auf 40.

Dieser Text erschien zuerst bei WELT.

Bild: Picnic, Grafiken: WELT