Drei Unternehmen haben im Mai 2019 eine Erlaubnis für den legalen Anbau von Medizinalcannabis in Deutschland erhalten. Ihr Geschäft läuft durch die Pandemie nicht gut.

Auf dem alten Schlachthof bei Dresden geht es in diesen Tagen ruhiger zu, als es den Demecan-Gründern lieb ist. Hinter den Mauern sollte um diese Jahreszeit eigentlich schon das erste medizinische Cannabis „Made in Germany“ – doch die Corona-Krise hat dem Berliner Startup einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Die erste Ernte wird in diesem Jahr nicht mehr möglich sein. Wir planen momentan eine Ernte im ersten Quartal 2021– allerdings unter dem Vorbehalt, dass es keine zweite Welle gibt“, sagt Adrian Fischer, Geschäftsführer von Demecan. Grund für den Aufschub seien die Bauarbeiten, die unter Corona-Bedingungen langsamer als gedacht voranschreiten würden.

Demecan ist eines von drei Unternehmen, das im Mai 2019 eine Erlaubnis für den legalen Anbau von Medizinalcannabis in Deutschland erhalten hat. Seit Monaten baut das Startup den Schlachthof in eine knapp 5.000 Quadratmeter große Cannabis-Plantage um, deren Sicherheitsbestimmungen an Fort Knox erinnern. Die behördlichen Vorgaben umfassen unter anderem den Bau von 24 Zentimeter dicken Wände aus Stahlbeton, vergitterten Fenster und Körperschallmelder – und das dauert. Bisher ist die Anlage noch nicht abgenommen.

Verzögerungen bei deutscher Cannabis-Ernte

Die Corona-Krise hat die gesamte Branche in eine Art Sommerschlaf versetzt – vom Anbau über die Lieferungen bis hin zur Abgabe an die Patienten. Auch Demecans kanadischer Konkurrent Aphria, der eine Anlage in Neumünster baut, hat offenbar mit Verzögerungen bei der Ernte zu kämpfen. Aphria plant laut einem Medienbericht, die ersten Setzlinge im Herbst zu pflanzen. Der anvisierte Erntetermin Ende dieses Jahrs würde damit eine knappe Sache. Mit der staatlichen Cannabisagentur haben die Unternehmen einen Start der Lieferungen bis Mitte Oktober beziehungsweise Mitte November 2020 vertraglich vereinbart. Aphria äußerte sich dazu auf Anfrage von Business Insider nicht.

Klar ist: Selbst die Bundesregierung geht offenbar von Ernteausfällen aus. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Folgen der Pandemie „einen zeitverzögernden Einfluss auf den Beginn der Lieferungen in 2020 haben könnten“, heißt es in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP.

Lieferketten stehen still

Die Corona-Krise lähmt nicht nur die lokale Produktion. Auch bei Importen aus dem Ausland – vornehmlich Kanada, Niederlande und Portugal – kommt es zu Komplikationen. Die rund 60 Cannabis-Großhändler in Deutschland können derzeit keine neuen Zulieferer zertifizieren lassen. Für die Zertifizierung müssen die deutschen Behörden die Anlagen vor Ort kontrollieren – die Mitarbeiter dürfen derzeit aber keine Flugreisen ins Ausland antreten.

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„Die paar Unternehmen, die schon vor der Corona-Pandemie eine funktionierende Lieferkette aufgebaut haben, sind jetzt im Vorteil“, sagt David Henn, Chef des Kölner Startups Cannamedical. Sein Unternehmen zählt er selbst dazu. Im August habe er so viel Medizinalcannabis abgesetzt wie noch nie – rund 80 Kilogramm.

Weniger Verschreibungen

Mit den Absätzen im Sommer habe sein Unternehmen die Einbußen des Lockdowns wieder wett machen können. Die Monate April und Mai habe die Branche jedoch hart getroffen. „Wir haben den Effekt gesehen, dass die Leute aus Angst vor Ansteckungen nicht mehr zum Arzt gehen“, sagt Henn. In der Folge seien weniger Rezepte ausgestellt und damit weniger Cannabis abgesetzt worden.

Der Verband der Cannabiswirtschaft (BvCW) will zudem noch ein ganz anderes Problem bemerkt haben. „Uns wurde berichtet, dass erste Cannabispatienten in Apotheken Ihre Medikamente (Cannabisblüten) nicht mehr erhalten, da die Apotheken nicht über ausreichend Schutzkleidung und Ausrüstung verfügen“, warnte BvCW-Präsident Stefan Meyer zu Beginn der Krise in einem Brief an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Im Nachhinein hat sich diese Sorge offenbar in der Fläche nicht bewahrheitet. „Wir haben bisher keine Versorgungsengpässe bemerkt“, sagt Daniela Joachim vom Verband der Cannabis versorgenden Apotheken.

Noch scheinen die Lager der Cannabis-Startups gefüllt zu sein. Insgesamt 16.100 Kilogramm dürfen die Unternehmen 2020 importieren. Hinzu kommen 2.600 Kilogramm pro Jahr aus der inländischen Produktion, die aber voraussichtlich erst ab 2021 auf den Markt kommen. Ob das zur Versorgung ausreicht, ist umstritten.

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Nachfrage nach medizinischem Cannabis steigt

Wie sich die Nachfrage nach medizinische Cannabis in den Corona-Monaten verändert hat, ist schwer zu sagen. Verlässliche Patientendaten dazu gibt es nicht. Eine Befragung des Branchendiensts Prohibition Partners unter knapp 2.200 Personen legt nahe, dass die Menschen in der Lockdown-Isolation tendenziell mehr konsumiert haben. Repräsentativ ist die Studie allerdings nicht.

Vor der Corona-Krise war die Nachfrage nach Medizinalcannabis seit der Legalisierung im März 2017 kontinuierlich gestiegen, auch wenn eine heilende Wirkung noch nicht wissenschaftlich belegt ist. Laut dem GKV-Spitzenverband, der die Interessen der gesetzlichen Krankenkassen vertritt, setzte die Branche 2018 rund 73,7 Millionen Euro mit Cannabisblüten und cannabinoidhaltigen Arzneimitteln um. Im Jahr 2019 waren es, Stand September, schon 86,4 Millionen Euro. Dabei sind die Rezepte von Privatversicherten und Selbstzahlern noch nicht eingerechnet.

Analysten prognostizieren, dass der deutsche Cannabis-Markt bei günstigen Voraussetzungen bis 2028 rund acht Milliarden Euro wert sein könnte. Der Wachstumsmarkt zieht inzwischen viele renommierte Investoren an. Die junge Branche professionalisiert sich. Die Kapitalflut äußert sich auch daran, dass neue Lobbyverbände aus dem Boden sprießen. Neben dem Verband der Cannabiswirtschaft gibt es seit dieser Woche auch den Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen. Erklärtes Ziel des Vereins ist die Verbesserung der Anbau- und Versorgungsstruktur von medizinischem Cannabis in Deutschland. Ein Vorhaben, das auch ohne Corona-Krise schwierig sein dürfte. Die Offenheit für das Thema in der Großen Koalition gilt als mäßig – aber nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr werden die Karten neu gemischt.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Business Insider Deutschland.
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Bild: Esteban Lopez / Unsplash