Nest-Copenhagen

„Wenn du nach Hause kommst und einen scheiß Tag hattest, dann verstehen dich die Leute hier“

Entrepreneure unter einem Dach: Im April dieses Jahres öffnete Dänemarks erster Co-Living-Space im Herzen von Kopenhagen seine Pforten. Inspiriert vom Stockholmer Hus24 und der temporären Wohngemeinschaft des Silicon-Valley-Accelerators Blackbox feilten die beiden Initiatoren Morten Krarup Kristensen und Marius Klausen seit Anfang 2013 an einem passenden Konzept für ein Gründer-Haus. Der Plan: Im Gegensatz zur Blackbox Mansion sollten sich die Bewohner aus der Startup-Szene im Kopenhagener Co-Living-Space dauerhaft niederlassen können, die Grenzen zwischen Arbeitsplatz und Lebensraum sollten anders als im Hus24 in Stockholm nicht verschwimmen.

Inzwischen beherbergt das Kopenhagener Nest 20 Gründerinnen und Gründer auf einer Gesamtfläche von rund 900 Quadratmetern. Die Bewohner des Hauses teilen sich auf vier Wohnungen auf und blättern für ihre Zimmer umgerechnet zwischen 600 und 1.100 Euro hin. Mit Gründerszene hat Morten Krarup Kristensen, COO des Kopenhagener Ablegers des Accelerators Startupbootcamp, über das Leben in der Gründer-Kommune geredet und durchsickern lassen, dass der ein oder andere Liter Wein im Startup-Alltag unverzichtbar ist.

Ihr sagt, dass es sogar für Gründer ein Leben außerhalb der Arbeit gibt. Baut das Kopenhagener Nest auf diesem Leitgedanken auf?

Die Nest-Bewohner brauchen keinen zweiten Arbeitsplatz. Sie arbeiten viel und sind sehr fokussiert auf das, was sie tun. Das Nest soll ein Ort sein, an dem man sich nach getaner Arbeit entspannen kann. Hier können wir mit Gleichgesinnten ganz normale Dinge besprechen. Also machen wir viel gemeinsam: Trainieren, Filme schauen oder Kochen. Trotzdem sprechen wir natürlich über Business-Themen.

Gibt es so etwas wie feste Gruppentreffen?

Die Bewohner in den einzelnen Wohnungen essen jeden Mittwoch gemeinsam zu Abend. Jeden zweiten Sonntag trifft sich die ganze Nest-Crew zum Abendessen. Dann besprechen wir die neuesten Neuigkeiten aus der Startup-Welt und trinken Wein. Dazwischen finden immer mal wieder „Nest Talks“ statt, die von ausgewiesenen Experten aus den Reihen der Bewohner geführt werden. Erst kürzlich gab es einen Vortrag über Bitcoins.

Wie ist die Idee zu Nest entstanden?

Die Idee kam Marius Klausen und mir an einem Abend vor eineinhalb Jahren bei gutem Essen und Rotwein. Davor hatte ich die Blackbox Mansion im Silicon Valley besucht und wir kannten die Erfahrungsberichte von Gründern, die in kleinen Gruppen zusammenwohnten. Das hat uns dazu inspiriert, etwas ähnliches zu starten. Es sollte aber etwas Langfristiges werden, etwas Größeres als ein kleines Apartment für eine Handvoll Leute. Nach besagtem Abend kamen Dan Nielsen, Kristoffer Dorph, Peter Trydemann und Maria Flyvbjerg an Bord und wir haben uns auf die Suche nach einer geeigneten Immobilie gemacht.

Wie würdest Du die Atmosphäre in den Wohnungen beschreiben?

Wenn du alleine lebst, dann musst du selbst zusehen, dass du unter die Leute kommst. Wir wollten einen Raum schaffen, an dem man ganz automatisch und zufällig mit anderen in Kontakt kommt. Und genau das haben wir geschafft. Wenn du willst, musst du dich nur alleine in ein Gemeinschaftszimmer setzen und schon schließen sich andere an – einfach so. Außerdem geht es im Nest darum, sich gegenseitig zu helfen. Einer der Bewohner, der Betreiber einer E-Commerce-Seite, war gerade auf der Suche nach einem neuen Logistik-Unternehmen. Als er sich mit einem anderen Gründer darüber unterhielt, konnte der ihm Empfehlungen geben – und der E-Commerce-Macher sparte über 10.000 Euro.

Welche Startups sind im Nest vertreten?

Einige Nest-Bewohner haben Online- oder Tech-Startups gegründet, andere betreiben E-Commerce-Seiten. Viele Bewohner haben gerade ihr erstes Kapital aufgenommen. Es gibt auch ein Offline-Startup in unserem Portfolio: Nordic Race des Dänen Jonas Elming. Nordic Race organisiert Hindernisparcours die von Militärtrainings inspiriert sind. Das Startup hat sich durch die größte je in Skandinavien eingesammelte Crowdfunding-Summe finanziert.

Auf Eurer Webseite kündigt Ihr an, dass zum 1. Oktober ein Zimmer frei wird. Welche Schritte durchläuft ein Bewerber im Auswahlverfahren?

Zunächst muss jeder Bewerber einige Fragen zu sich beantworten. Im nächsten Schritt gibt es ein persönliches Gespräch zwischen dem Bewerber und einer Person aus dem eigens dafür eingerichteten Auswahl-Komitee. Darauf folgt ein Vorstellungsgespräch mit zwei weiteren Nest-Bewohnern. Dabei wollen wir herausfinden, ob der Kandidat Entrepreneur-Qualitäten hat. Es geht aber nicht nur um unternehmerische Leistungen. Wir müssen die Person natürlich auch persönlich mögen.

Wie muss der Lebenslauf eines Entrepreneurs also aussehen?

Die Kandidaten müssen nicht zwingend Gründer sein. Aber sie sollten zeigen können, dass sie in ihrem Leben etwas erreicht haben. Ein Nest-Bewohner etwa hatte in Schweden ein wöchentliches Treffen für Neuankömmlinge und ältere Leute organisiert. Die Nicht-Schweden kamen so mit Einheimischen in Kontakt, lernten die Sprache – und die Senioren hatten Gesellschaft. Wir sind also auf der Suche nach Machern, Menschen die Dinge angehen, anstatt nur über sie nachzudenken.

Wer vom Nest-Konzept hört, denkt zunächst vielleicht an wilde Uni-Wohngemeinschaften. Was ist dran?

Wir hatten gerade erst eine große Einweihungsparty mit 200 oder 300 Leuten. Die ganze Sache war total verrückt. Normalerweise verbringen wir die Abende aber in ruhiger Atmosphäre bei Bier oder Wein.

Was ist der Unterschied zwischen einer normalen Wohngemeinschaft und der Gründer-WG?

Ehrlich gesagt habe ich vorher nie in einer WG gelebt. Viele Nester aber schon. Sie sagen, dass sie mit ihren früheren Mitbewohnern nie richtig über ihren Tag sprechen konnten, weil diese den Gründer-Alltag einfach nicht nachvollziehen konnten. Die Leute im Nest leben für ihre Projekte und wollen sich nicht rechtfertigen müssen, wenn sie mal 70 Stunden die Woche arbeiten. Wenn du nach Hause kommst und einen scheiß Tag hattest, dann verstehen dich die Leute hier.

Auf Eurer Homepage sind einige „Ambassadors“ aufgelistet. Wer steckt dahinter?

Diese Leute haben unser Projekt von Anfang an unterstützt. Das sind alles erfahrene Unternehmer und Gründer, die zugesichert haben, uns bei Problemen unter die Arme zu greifen. Auch die Gründerin des Kreativ-Marktplatzes 12Designer zählen wir zu unseren Botschaftern.

Was macht Kopenhagen zu einer idealen Stadt für Startups?

Die Kopenhagener Startup-Szene ist sehr weit entwickelt, obwohl sie vergleichsweise klein ist. Im Vergleich zu Stockholm bietet Kopenhagen eine deutlich gesündere Startup-Infrastruktur, denn es gibt relativ viele Accelerator-Programme, Inkubatoren und viele etablierte Unternehmen. Für Startups ist Stockholm sicherlich eine sehr interessante Stadt, aber dort fehlt es beispielsweise an Beschleunigern oder Coworking Spaces.

Was sind Eure Pläne für die Zukunft?

Es wäre klasse, wenn wir weitere Nester außerhalb von Dänemark schaffen könnten, denn es gibt in ganz Europa Menschen, die dasselbe machen wie wir. Wir sind begeistert von der Idee, das Konzept und die Marke Nest zu verbreiten. In Berlin und Barcelona haben wir uns schon nach potentiellen Startup-Bleiben umgeschaut.


Das Kopenhagener Nest in Bildern

Wo die Kopenhagener Startup-Szene brütet

Artikelbild: Nest