Steht der Mensch einer neuen Supermacht gegenüber?

Die Entwicklung Künstlicher Intelligenz ist der „größte Moment in der Geschichte der Menschheit und womöglich auch der letzte“. So düster prophezeite Wissenschaftsmessias Stephen Hawking unsere Zukunft in einem offenen Brief, der bereits 2014 im britischen Independent erschien. Zusammen mit Physik-Nobelpreisträgern und KI-Experten warnte er: Wir dürfen die Entwicklungspotenziale Künstlicher Intelligenz nicht unterschätzen, sonst überholt sie uns.

 

KI unterstützt seit Jahren die Produktion in Fabriken, sie analysiert unser Browser-Verhalten und entscheidet über Spam oder nicht Spam. Die Technologie soll Fahrfreudige bald vom Steuer des geliebten Autos verdrängen und Chirurgen bei komplizierten Eingriffen ersetzen. Was kommt noch auf uns zu? Werden die Maschinen unser Leben von Grund auf neu ordnen? Werden wir privat und beruflich durch überlegene Digitalwesen ausgetauscht? Entstehen sogar neue Rechtsformen und Gesellschaftsklassen?

Viele Experten spekulieren derzeit über den Einfluss Künstlicher Intelligenz auf unser Arbeits- und Privatleben. In diesen drei Bereichen sehen sie Veränderungen, die Grundlegendes vollkommen neu definieren könnten.

1. KI und Arbeit

Kollege oder Konkurrent – wie wird KI das Berufsleben verändern?

Ein mögliches Zukunftsszenario. Ein Patient wacht im Krankenhaus auf, geweckt vom Piepen und Brummen des Analyse-Roboters, der um sein Bett fährt und Vitalwerte misst. Erst auf den zweiten Blick erkennt er, dass auch die freundliche Krankenpflegerin ein Cyborg ist. Nur die Ärzte seien noch menschlich und würden sich bald um ihn kümmern, sagt sie. So erzählt es Wissenschafts- und Technikautor Ulrich Eberl in seinem Hörbuch „Smarte Maschinen: Wie Künstliche Intelligenz unser Leben verändert“ – eine Mischung aus Roman und Fachliteratur.

Doch wie realistisch ist dieses Szenario? Und werden Maschinen wie diese unsere berufliche Zukunft bereichern oder gefährden?

Die Studie „Future of jobs 2018“1 beschreibt die Entwicklung des Arbeitsmarktes bis 2022 – also eine sehr absehbare Zeit – und prognostiziert Schlechtes: Durch die Digitalisierung entstehen zwar knapp 58 Millionen neue Jobs, dafür fallen aber 78 Millionen Stellen weg. KI löst ganze Berufsgruppen ab, betroffen sind hier vor allem hoch komplizierte, routinierte oder körperlich anstrengende Jobs. Berufe, die eine hohe soziale Kompetenz erfordern, müssen jedoch nicht um künstlichen Ersatz bangen: Laut einer Studie der Welt2 sind beispielsweise Erzieher und Führungskräfte kaum gefährdet.

Müssen wir uns also doch weniger Sorgen machen?

Fest steht für KI-Experten Eberl, dass Maschinen beinahe jeden Beruf verändern werden. Wird eine Berufsgruppe nicht vollkommen nutzlos, werden sich zumindest die Arbeitsabläufe stark verändern. In welchem Maße das geschehen wird, vermag auch er noch nicht zu sagen.

 


Noch mehr Zukunftsmusik gefällig? In seinem Hörbuch „Life 3.0 – Being Human in the Age of Artificial Intelligence“ beschreibt Max Tegmark beinahe alle mögliche Szenarien, die durch KI entstehen können – von technischen Gottheiten bis zu menschlicher Revolution. Jetzt reinhören!


2. KI und Soziales

Wird KI durch Biotech soziale Ungerechtigkeit stiften?

Menschen haben laut dem israelischen Historiker und Bestsellerautor Yuval Noah Harari nur eine Möglichkeit, sich vor Maschinen zu schützen: Sie dürfen nicht mehr auf ihre natürlichen Fähigkeiten vertrauen, sondern Körper und Geist aufrüsten – und zwar durch Biotechnologie, Cyborg-Technologie oder die Erzeugung nicht-organischer Lebewesen. Welche Ausmaße das haben kann, beschreibt er in seinem Hörbuch „Homo Deus“: Dort skizziert er eine Welt, in der sich die Menschen durch Biotechnologie zu Göttern machen.

Der menschliche Geist reagiert Harari zufolge auf Errungenschaften nicht mit Zufriedenheit, sondern mit dem Verlangen nach Mehr. Können wir unser Streben nach immer größeren Biotech-Fortschritten zügeln? Harari meint: nein. Laut Experten werden wir im späten 21. Jahrhundert bereits durchschnittlich 150 Jahre alt, unsere Körper werden immer gesünder und jünger. Doch dieses „Upgrade“ bekommen nur diejenigen, die es sich leisten können. Viele Wissenschaftler befürchten, dass biologische Kasten entstehen, die Reiche und Gesunde von Armen und Kranken trennen.

Und es geht noch weiter.

Bewahrheitet sich Hararis These, werden Ende des 21. Jahrhunderts alle wirtschaftlich relevanten Berufe durch effektive Roboter abgedeckt. Der weniger zuverlässige Mensch, der auch mal durch Krankheit ausfallen könnte, wird für die Erhaltung der Wirtschaft unwichtiger. Eine mögliche Konsequenz: Krankenkassen könnten der Vergangenheit angehören, da sie die Arbeitsfähigkeit der Menschen nicht mehr gewährleisten müssen.

 

3. KI und Politik

Macht KI aus Demokratien Überwachungsstaaten?

Investigativ-Reporter Kai Schlieter befürchtet in seinem Hörbuch „Die Herrschaftsformel, dass Künstliche Intelligenz die Demokratie ablösen könnte. Grundlegend hierfür: Big Data. Denn je mehr Daten Algorithmen über uns sammeln, desto stärker beeinflussen sie uns.

Schlieter und Kollegen wie Tim O’Reilly (Silicon-Valley-Urgestein und Erschaffer des Ausdrucks „Web 2.0“) bezeichnen die Demokratie sogar als „veraltete Technologie“, die nur verzögert auf neue Anforderungen reagieren kann, da Beschlüsse bis zur Verabschiedung einen zu langen Weg gehen. Durch KI könnte sich die Politik selbst regulieren und stärker automatisieren. Gesetze würden auf Basis von algorithmischen Analysen verabschiedet oder gekippt – und das wesentlich schneller als bisher. Das gewährleistet deutlich dynamischere Regierungsformen.

Doch genau davor warnen die Wissenschaftler.

Denn durch Big Data getriebene Algorithmen lassen schnell den Anschein entstehen, dass die Regierung endlich unseren Wünschen nachgeht. Dabei vergessen aber viele Menschen, dass für einen solch allumfassenden Algorithmus wirklich jeder Datenschnipsel der Bevölkerung analysiert werden muss – der Mensch wird also gläsern und totalitäre Überwachungsstaaten drohen.


Künstliche Intelligenz verstehen? Autorin Manuela Lenzen zeigt, was KI heute schon kann – und was noch auf uns zukommt! 


KI: Gefährliche Zukunft oder goldenes Zeitalter?

Noch scheint es, als würden sich diese technologischen Dystophien im Nebel der Zukunft verstecken. Selbst das schon seit Jahren krampfhaft vorangetriebene autonome Fahren muss noch unzählige Kurven nehmen, um wirklich ans Ziel zu kommen. Doch wie können wir all die Vorteile von KI nutzen, ohne uns irgendwann von ihr instrumentalisieren zu lassen?

Hawking forderte in seinem offenen Brief die Internetkonzerne zu mehr Umsicht auf: Sie sollen Systeme entwickeln, die gar nicht die Möglichkeit haben, autonom zu handeln. Eberl und andere Kollegen sehen jeden Einzelnen in der Pflicht – die Menschen müssen sich weiterbilden und die Technik beinahe besser kennenlernen als sich selbst, um am Ende gemeinsam agieren zu können. Der Big-Data-Dschungel muss durchdringbarer und regulierbarer werden. Mehr Experten müssen geschult werden, um kluge Entwicklungen voranzutreiben und KI zu verstehen.

Mit diesen und unzähligen weiteren Maßnahmen machen Wirtschaft, Wissenschaft und Bevölkerung eine friedliche Koexistenz vielleicht möglich. Der Anfang ist also gemacht, doch die Experten warnen: Beginnen wir nicht jetzt damit, die Künstliche Intelligenz zu verstehen, landen wir schnell auf dem Abstellgleis. 

1: Studie 
2: Studie 
Artikelbild: eyeem