Die Adjust-Gründer Christian Henschel, Paul Müller und Manuel Kniep (von links)

Fast jeder ist schon einmal mit seiner Technik in Berührung gekommen. Doch den Namen des Startups dahinter kennt so gut wie kein Smartphone-Nutzer. Die Codes von Adjust verstecken sich in unzähligen Apps. Zum Beispiel bei MyTaxi, Uber, Angry Birds oder Spotify. Für die Unternehmen analysiert das Startup, wie sich die Nutzer in ihren Apps verhalten. Etwa, wo sie das Programm entdeckt haben – oder wie viel Geld sie ausgeben.

Bis vor Kurzem waren die Berliner auch in der deutschen Startup-Szene eher unbekannt. Es war immer ein Teil des Plans, etwas „unter dem Radar“ zu fliegen, erzählt Christian Henschel. Dem Adjust-Mitgründer geht es um ein gutes Produkt, Zurückhaltung und ein angenehmes Arbeitsklima. Mit diesem Rezept hat sich das Ad-Tech-Startup im Geschäft mit der Analysetechnik einen guten Stand erarbeitet.

Adjust ist einer der Hidden Champions aus dem deutschen Startup-Kosmos. Von diesen versteckten Gewinnern ist eigentlich eher die Rede, wenn es um Mittelständler geht. Das sind dann meist Unternehmen aus dem Stuttgarter Raum, die es in ihrem Fachgebiet zum Weltmarktführer gebracht haben. Doch auch in der Startup-Szene werkeln einige Tech-Buden ohne viel Publicity an der Marktführerschaft. Und im Falle von Adjust sind die Parallelen zwischen dem Stuttgarter Umland und Berlin-Mitte, zwischen Maschinenbau und Software stärker, als man denkt.

Gefunden haben sich Paul Müller und Christian Henschel, zwei der insgesamt drei Gründer, als Henschel noch bei der der Digitalagentur Madvertise arbeitete. Müller entwickelte damals schon Apps. Ende 2011 konnte er mit seinen kleinen Programmen zehn Millionen Downloads verzeichnen. Für die Zeit eine beachtliche Zahl. Eine App zum Malen ist etwa dabei – eine ganze Community sei daraus entstanden. Die Tracking-Software für die Apps von Müllers Unternehmen war nicht sonderlich ausgereift. Und so überlegten sich die beiden, ob sie daraus nicht etwas machen könnten. In einer kleinen Wohnung im Berliner Stadtteil Pankow fingen sie an zu tüfteln. Der Dritte im Bunde – Manuel Kniep – arbeitete damals noch als CTO bei einem anderen Startup. „Soll ich denn jetzt kündigen?“, soll Kniep bei einem der Treffen Ende 2011 gefragt haben. Gesagt, getan.

Computer gaukeln Downloads vor

In den ersten Monaten konzentrierten sich die drei auf das Thema Betrug, denn in der mobilen Welt laden nicht nur Menschen Apps herunter, sondern Computer gaukeln die Downloads nur vor. Für ihre Software erhielten die Gründer bereits erstes Geld von Investoren, richtig abheben wollte die Firma aber nicht. Denn die potenziellen Kunden waren nicht interessiert.

Es folgte eine Krisensitzung der Gründer. „Wir standen vor der Entscheidung, den Laden wieder dichtzumachen“, erzählt Henschel im Rückblick. „Wir hatten bereits zwei Sales-Leute eingestellt und wussten nicht, was wir mit denen machen sollten.“ Wieder entlassen? Also rissen sie sich zusammen – und konzentrierten sich auf eine Analyse-Software. „Der berühmte Pivot“, wie Henschel mit einem Lächeln hinzufügt. Siehe da, nach wenigen Monaten kamen die ersten Kunden.

Auf das richtige Pferd gesetzt

Um zu verstehen, was Adjust eigentlich macht, muss man ein grundsätzliches Problem der Werbebranche verstehen. Christian Henschel kramt dafür ein Zitat von Henry Ford hervor: „Wenn ich einen Dollar in Werbung stecke, weiß ich, dass 50 Cent funktionieren – aber ich weiß nicht welche.” Aus diesem Problem hat Adjust nun ein Geschäft gemacht.

Vereinfacht gesagt geht es darum zu messen, wie erfolgreich Werbung für die Apps wirklich ist. Sieht ein Nutzer etwa eine Anzeige für die Zalando-App auf Twitter und lädt sie herunter, kann Zalando nicht nur tracken, dass der Kunde aus dem sozialen Netzwerk kommt, sondern ist auch in der Lage zu analysieren, wie aktiv der Nutzer ist. Und am Ende lässt sich herausfinden, für welche Summen er einkauft.

Ende 2011 hatten die drei damit gerade auf das richtige Pferd gesetzt, die Zahl der Smartphone-Nutzer stieg immer rasanter. Mittlerweile komme beim Modehändler Zalando die Hälfte der Shopbesuche über mobile Endgeräte. Und auch bei vielen anderen Unternehmen spielen die Smartphone-Programme eine zentrale Rolle. 1.700 Kunden zählt das Startup mittlerweile. Abgesprungen seien in dieser Zeit nur sehr wenige Kunden, sagen die Gründer. Viele der deutschen und internationalen Verlage wie Axel Springer und Burda sind beispielsweise Kunden, und auch Rocket Internet lässt mit Adjust zahlreiche seiner Apps überall auf der Welt monitoren.

Gleich über dem Büro von Adjust sitzt eines der Rocket-Startups. HelloFresh ist eines der Vorzeige-Ventures der Internetschmiede. Ihre App lassen sie ebenfalls durch die Software von Adjust tracken. Trotz der räumlichen Nähe trennt HelloFresh und Adjust etwas Grundsätzliches: etwa die Lautstärke des Unternehmens. Da laute Auftritte auf Konferenzen, eine Marketinglawine – und hier bislang Stille.

Hier geht es zur 2. Seite: „Die Investoren sind bei der letzten Runde auf uns zugekommen“

Das hier sind die Top Ten Startups aus dem Gründerszene-Ranking, die in den vergangenen drei Jahren am schnellsten gewachsen sind:

Das Gründerszene-Ranking: Die Top Ten


Gründerszene-Redakteur Caspar Schlenk mit den drei Adjust-Gründern Christian Henschel, Paul Müller und Manuel Kniep (von links)

Die drei Gründer von Adjust sehen sich eher in der Tradition von Sociomantic. Es ist ein Name, der unter Berliner Ad-Tech-Gründern immer wieder fällt – mit Bewunderung in der Stimme. Das Startup beschäftigt sich ebenfalls mit Werbetechnik. Vor etwa einem Jahr verkauften die Gründer dann an den britischen Big-Data-Spezialisten Dunnhumby. Für einige hundert Millionen Dollar. „Vor ihrem Exit waren die in Berlin kaum sichtbar, fast keiner wusste, dass es sie gibt“, sagt Henschel. „Nur ein paar Leute aus der Szene kannten die Jungs und wussten, die gehen gerade tierisch durch die Decke.“

Die Technologie spielt die Hauptrolle

Auch die drei Adjust-Gründer wollen diesen Stil leben. Ohne Facebook-Fotos vom Motocrossfahren oder aus der Firstclass. Henschel spielt damit indirekt auf Startup-Köpfe wie Sebastian Diemer an. Der Gründer von Kreditech ist in der Vergangenheit immer wieder durch seinen extravaganten Lebensstil aufgefallen.

Stattdessen arbeitet Adjust eher etwas zurückgezogen in einem gemütlichen Büro in der Nähe des Alexanderplatzes in Berlins Mitte. 50 Mitarbeiter sitzen hier. Gleich am Eingang hat das Tech-Team seinen Platz. Das ist ein Statement: Die Technologie spielt bei uns die Hauptrolle. Die Mitarbeiter können in einer offenen Küche ihr Mittagessen zubereiten oder sich auf einer der Couches zwischendurch schlafen legen. So muss Mitgründer Manuel Kniep für das gemeinsame Foto erst mal aus einem Powernap in einer Sofaecke geweckt werden.

Dieses Wohlfühlklima soll dem Unternehmen in seiner Wachstumsphase helfen. Denn die Zeichen stehen auf Wandel. Weg von dem kleinen Startup. Insgesamt 70 Leute arbeiten für Adjust in Berlin, San Francisco, Istanbul, Peking, Shanghai, Tokio und Sydney. „Du vereinst an dieser Stelle im Grunde genommen die Herausforderung aus beiden Welten: Die hohe Geschwindigkeit eines Startups ist noch da – und die langsamen Strukturen eines normalen Corporate gehen gerade los“, sagt Henschel.

Es ist eine Phase im Unternehmen, in der die Gründer und einzelne Mitarbeiter nicht mehr die größte Rolle spielen. Henschel findet dafür ein sehr plastisches Beispiel: „In der Anfangszeit geht es oftmals zu wie auf dem Bolzplatz. Es gibt keine klar abgegrenzten Aufgabenverteilungen und wirkt oft chaotisch, wenn alle Spieler versuchen, den Ball möglichst schnell ins Tor zu bringen.“ Für die nächste Liga sei für einige Mitarbeiter der Wechsel auf die Trainerbank nötig. Nicht nur das eine Spiel will das Unternehmen gewinnen, sondern die Meisterschaft.

Eine Woche Urlaub für die ganze Mannschaft

Bei dem rasanten Wachstum den Spirit zu bewahren, das sei gerade die entscheidende Aufgabe. Dafür nimmt das Startup viel Geld in die Hand. Für 150.000 Euro finanziert Henschel eine Woche Urlaub für die ganze Mannschaft. Im ersten Jahr – noch ohne viel Geld – ging es an die Ostsee, dann folgten die Türkei und Mexiko. Es komme ihn günstiger, dieses Geld auszugeben – so könnte er die guten Leute halten, sagte Henschel kürzlich in einem Interview, und müsse nicht für relativ viel Geld über einen Headhunter neue suchen. Sie arbeiten in der Urlaubswoche an den gemeinsamen Zielen. „Wenn der Country Manager aus Sydney und der Vertriebsmitarbeiter aus Berlin zusammen im Meer schnorcheln und persönlich miteinander zu tun haben, verbessert das eindeutig die Kommunikation“, sagte Henschel.

Auch die Urlaubstage sind nicht genau festgelegt. Feste Ziele für die Projekte gebe es natürlich, aber wann das erledigt wird, überlässt Adjust seinen Mitarbeitern selbst. Es sind erste Zeichen für die Extras, die man aus dem Silicon Valley kennt – Geld allein reicht nicht mehr, um die besten Köpfe anzuziehen. Henschel sagt, bislang hätten erst sehr wenige Leute das Unternehmen wieder verlassen. Ein Zeichen für die gesunde Unternehmenskultur.

Ein großes Verantwortungsgefühl für die Mitarbeiter kennt man auch von einigen der familiengeführten Unternehmen aus dem Süden. Es ist gepaart mit einer finanziellen Bodenständigkeit, die sich auch bei Adjust findet. Seit diesem Jahr arbeitet das Unternehmen profitabel. Und hat trotzdem gerade 15 Millionen Euro eingesammelt. Wie passt das zusammen?

Schon vor der aktuellen Finanzierungsrunde lag die Hälfte der alten noch auf der Bank. Insgesamt 26,6 Millionen Euro sind seit dem Beginn vor dreieinhalb Jahren in das Unternehmen geflossen. „Die Investoren sind bei der letzten Runde auf uns zugekommen“, sagt Henschel. „Wir hatten absolut keinen Druck.“ Mit dem Wagniskapitalgeber Highland haben sie sich jetzt einen US-amerikanischen Partner mit in die Firma geholt. Die Kriegskasse ist also gefüllt – mit einem Teil suchen sie gerade kleinere Unternehmen, bei denen sich eine Übernahme lohnen würde.

Vorausschauende Personalpolitik

Doch der Weg zum finanziellen Gleichgewicht lässt sich durch ihr Geschäftsmodell und die Sparsamkeit erklären. „Bei einem Produkt, das eine Software-as-a-Service anbietet, ist das natürlich praktisch – es kommen immer mehr Kunden dazu, die alle Geld reinbringen“, sagt Henschel. Und da die Unternehmen auch für die Datenmenge zahlen, steigt auch der Umsatz durch die bestehenden Kunden – weil mobile Apps von Jahr zu Jahr mehr Traffic erzeugen.

Hinzu kommt eine vorausschauende Personalpolitik. „Andere Startups stellen jede Woche zwei neue Leute ein, um zu zeigen, wie schnell sie wachsen“, erzählt Henschel. Das sei Schwachsinn. Stattdessen hätte Adjust nicht einfach Leute „auf ein Problem draufgeworfen“, sondern geschaut, dass die Kurven des Umsatzes und des Mitarbeiterwachstums parallel verlaufen. Als Software-Unternehmen könne man nicht einfach mit neuen Mitarbeitern Wachstum erkaufen – wie es vielleicht bei einer Tischlerei funktioniere.

Und da ist noch eine Sache, Henschel denkt nach. „Wir haben uns einfach ganz genau überlegt, wofür wir unser Geld ausgeben.“ So wollte sichkürzlich ein Startup-CEO mit ihm zum Lunch treffen. Er bat Henschel, einen Termin mit seiner Assistentin auszumachen. Henschel regt so was auf: „Auch als CEO habe ich keine persönliche Assistentin. Wenn jemand einen Termin mit mir vereinbaren möchte, schickt er mir einfach direkt eine Mail.“

Trotz aller Bodenständigkeit geht das Startup jetzt einen Schritt weiter. Bei Adjust hat man durchaus gemerkt, dass das Unternehmen im Werbeökosystem bereits eine wichtige Rolle spielt. Mitgründer Paul Müller erzählt, als vor wenigen Wochen das System einen „kurzen Schluckauf“ hatte, kamen schnell die Anrufe von Google und Facebook, die hören wollten, was los sei. Die nächsten Ziele des Startups sollen die ungehobenen Schätze der Old Economy sein. General Motors, Ford, General Electric oder RWE. „In den kommenden ein bis zwei Jahren müssen die Unternehmen den Weg in die mobile Welt gehen“, sagt Henschel. „Und wir wollen mit dabei sein.“

Diese Aussichten beflügeln auch die Vorstellungen von Adjust-Mitgründer Henschel. Einen Börsengang hätte er vor einem Jahr noch ausgeschlossen. „Es gibt dazu noch keine konkreten Pläne, aber bei den Umsätzen, die manche Unternehmen an der Börse machen, können wir durchaus mithalten“, sagt er. Genaue Zahlen will Henschel dabei nicht nennen. Der Umsatz liege im unteren bis mittleren zweistelligen Millionenbereich, verrät der CEO.

Einen Fehler will Adjust auf keinen Fall machen. „Viele deutsche Startups verkaufen zu früh“, sagt Henschel. Und da rückt der Gründer auch etwas von seiner Bewunderung für Sociomantic ab. „Das war deutlich zu früh.“

Das hier sind die Top Ten Startups aus dem Gründerszene-Ranking, die in den vergangenen drei Jahren am schnellsten gewachsen sind:

Das Gründerszene-Ranking: Die Top Ten

Bilder: Gründerszene/Michael Berger