DotBerlin-Macher Dirk Krischenowski

In der Psychologie würde man DotBerlin wohl als einen Spätzünder bezeichnen. Das Berliner Startup sitzt in einem versteckten Hinterhof, umgeben von Yoga Studios und Meditationszentren. Es ist ein Unternehmen, das schon vor zehn Jahren mit einer visionären Idee an den Start ging und erst jetzt so richtig loslegt. DotBerlin hat bis vor einem Jahr noch kein einziges Produkt verkauft und doch schon mehr internationale Erfahrung gesammelt, als manch anderes Startup während seines gesamten Bestehens.

Dirk Krischenowski kommt aus den Tiefen eines Ateliers herbeigelaufen. Der Gründer von DotBerlin ist groß, sportlich und braun gebrannt. Mehr als zehn Jahre lang hat der 49-Jährige dafür gekämpft, dass Berlin als erste Stadt weltweit eine eigene Domainendung bekommt: .berlin. Dafür hat er mehrere örtliche Internetprovider, Handwerksinnungen und Hotels um sich geschart und deren Kräfte in seiner GmbH gebündelt. Städte auf der ganzen Welt sind inzwischen seiner Forderung nach einem Netz mit lokaler Marke gefolgt. Von Paris bis New York. Gerade jetzt erlebt das Internet den größten Umbau seiner Infrastruktur. Es geht um Macht und um Millionen. Denn mit der Bedeutung des Internets wächst der Wert der Domains. Eine Entwicklung, die schon in den 90er Jahren begann.

Strenge Limitierung

Rückblende ins Jahr 1999. Der Neue Markt läuft langsam heiß und das Internet ist – zumindest für die meisten Menschen – kein Neuland mehr. Krischenowski arbeitet damals im Onlinemarketing eines großen Pharma Unternehmens und will eine neue Domain registrieren lassen: Schlaganfall.de. Seinem Arbeitgeber liegt viel an dieser Adresse. Sie ist klar verständlich, leicht zu merken und seriös. Die digitale Krönung für jedes Unternehmen, das sich auf seine Schlaganfall Expertise beruft. Doch das Gedränge im Netz macht den Plan schnell zunichte. Ein anderes Unternehmen hat sich den Namen bereits geschnappt. Krischenowkis Arbeitgeber muss auf eine weit weniger populäre Adresse umsteigen.

Dieses Problem haben inzwischen immer mehr Firmen, denn die Zahl der Domains ist in den vergangenen zwanzig Jahren noch einmal kräftig gewachsen. Experten schätzen, dass weltweit derzeit mehr als 290 Millionen Domains registriert sind. Gerade für Startups, Mittelständler oder Privatpersonen, die nicht über ein dickes Finanzpolster verfügen, um Namen notfalls freikaufen zu können, wird es immer schwieriger, ihre Wunschdomain zu ergattern. „Schon damals dachte ich, wie praktisch es wäre, lokale Internetadressen zu haben“, sagt Krischenowski.

Doch so sehr er sich ärgert, ändern kann er zunächst nichts. Denn seit 1998 die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) gegründet wurde, war es mit der Anarchie im Netz vorbei. Bekannt als „Internetregierung“ wacht die Organisation seither über die digitale Infrastruktur. Auch die Zahl der erlaubten Endungen ist zunächst streng reglementiert. Ende der 90er Jahre stehen gerade einmal rund 20 generische Domainendungen wie .com zur Verfügung. Dazu kommen rund 250 länderspezifische Domainendungen wie .uk oder .at.
Was Krischenowski damals nicht weiß: Schon zu dieser Zeit ist in der Internetszene vieles in Bewegung. Nur ein Jahr später, zur Jahrtausendwende, nimmt die ICANN erstmals Bewerbungen für neue Domain-Endungen entgegen. Insgesamt werden sieben neue Endungen zugelassen, darunter .info und .biz.

Der Deutsche mit seiner verrückten Idee

„Da habe ich erkannt, dass es möglich ist, meine Idee zu realisieren“, sagt Krischenowski. Drei Jahre später fährt er erstmals selbst zu einem ICANN-Treffen. „Wir sind herumgelaufen und haben allen, denen wir begegnet sind, von unserer Idee erzählt und sie nach ihrer Meinung gefragt.“ Die Reaktionen sind gemischt: Viele befürchten, dass die neuen Endungen das Netz unübersichtlicher machen werden. Andere halten sie einfach für unnötig. Und auch die Betreiber bestehender Domain-Endungen sind von der unliebsamen Konkurrenz wenig begeistert. Doch Krischenowski findet trotzdem prominente Befürworter: ICANN-Vorstand Cherine Culaby ist von Beginn an auf seiner Seite.

Die entscheidende Chance bekommt er ein Jahr später bei einem ICANN-Treffen in Vancouver. Krischenowski darf seine Idee vor dem Direktorium der Organisation vorstellen. „Ich war unglaublich aufgeregt“, sagt er. „Eine einmalige Gelegenheit, vor der Vollversammlung der Internet-Macher!“ Ichbinein.berliner nennt er seine Präsentation. Am Ende gibt es Standing Ovations und den Beschluss, dass die ICANN eine weitere Bewerbungsrunde für neue Domain-Namen prüfen wird. Jeder dort kennt jetzt den Deutschen mit seiner verrückten Idee.

Zurück in Berlin, versucht eine Finanzierung auf die Beine zu stellen. Er und sein damaliger Partner bringen jeweils rund 80.000 Euro Privatkapital ins Unternehmen mit. Für ein Startup eine beträchtliche Summe, aber nicht genug, um langfristig im komplexen Internetgeschäft bestehen zu können. Domainbetreiber müssen nicht nur eine Serverstruktur unterhalten und eine Bürgschaft in Höhe von 150.000 Euro bei der ICANN hinterlegen, sondern auch viele Verträge aufsetzen und juristische Fallstricke beachten. Krischenowski macht sich also auf die Suche nach Gesellschaftern. Er wendet sich an all jene, die ein Interesse daran haben könnten, eine eigene DotBerlin-Adresse zu besitzen: Unternehmen, Vereine, die Stadt.

Domain als Statussymbol

Das Versprechen von Krischenowski: Er will Berlin als erste Stadt weltweit eine eigene digitale Identität geben. Adressen wie www.mauer.berlin oder www.reichstag.berlin sollen dem World-Wide-Web seine Anonymität nehmen. „Mit zwei Wörtern lässt sich sofort eine Aussage treffen“, sagt der Gründer. „Hotel.co kann überall auf der Welt sein. hotel.berlin nicht.“ Dass Domains für Unternehmen zu einer Art Statussymbol werden können, beweist die begehrte und teure Endung .com. Wer auf internationalem Parkett mitspielen will, hat ohne die richtigen drei Buchstaben deutlich schlechtere Chancen.

Eine Domain ist ein Versprechen. Auf neue Kunden, auf Bekanntheit und Prestige. Je kürzer und einprägsamer eine Adresse, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Nutzer sie direkt eintippen und nicht erst bei der Google-Suche über unzählige andere Konkurrenten stolpern. Je prägnanter das Schlagwort, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Suchmaschine die entsprechende Seite als Erstes ausspuckt. Für Unternehmen bedeutet das mehr Traffic, mehr Kunden – und mehr Geld.

Nach und nach gelingt es Krischenowski, einflussreiche Sponsoren zu gewinnen. Der Arbeitskreis Berliner Innungen unterschreibt als erster Partner einen Gesellschaftervertrag, die Berlin Tourismus Marketing GmbH folgt kurze Zeit später. Auch vonseiten der Stadt kommt Unterstützung. Worauf sich Krischenowski dagegen nicht verlassen kann, ist die Zeitplanung der ICANN. „Uns wurde gesagt, dass der gesamte Bewerbungsprozess nur zwei oder drei Jahre dauern wird“, sagt er. Doch das Verfahren zieht sich in die Länge: Erst 2008 entscheidet die Internetbehörde endgültig, dass es eine neue Bewerbungsrunde geben wird. Bis zu deren Start werden weitere vier Jahre vergehen.

Lohnende Investionen

Die Finanzierung ist darauf nicht ausgelegt. „Wir mussten uns ganz schön krass reduzieren – auch im Privaten“, sagt Krischenowski. Keine großen Reisen, nur noch selten ein Mittagessen in einem der hippen Berliner Straßencafés. Nach zehn Jahren gut bezahlter Arbeit in der Pharmaindustrie ist das eine harte Umstellung. Um die knappen Kassen zu füllen, fragen die Gründer weitere Gesellschafter an und sammeln rund 2,5 Millionen Euro für ihr Berliner Projekt ein. Zudem beraten sie Unternehmen und Städte, die sich ebenfalls um eine eigene Domain bewerben wollen. Nebenbei schreiben sie ihren eigenen Antrag. Kostenpunkt 185.000 US-Dollar.

Die Investition lohnt sich. Am 24. Mai 2014 steht Krischenowski im pompösen Säulensaal des Berliner Rathauses. Sowohl der Chef der Berliner Handelskammer als auch Senatssprecher Richard Meng sind anwesend. Es sind die letzten Minuten, bevor .berlin freigeschaltet wird, Krischenowskis Blick hängt am Liveticker an
der Wand. Die Zahlen, die dort gleich erscheinen werden, entscheiden, ob sich sein jahrelanger Kampf gelohnt hat. Der Countdown läuft, dann flimmern rote Ziffern über die Tafel. Schon nach 20 Minuten blinken die 20.000 auf – ein Erfolg.

Die anfängliche Freude des Gründers bekommt allerdings schon bald einen empfindlichen Dämpfer. Bis zum Jahresende haben sich insgesamt nur rund 57.000 Berliner registriert – ein Drittel weniger als erwartet. Bei der Berechnung, wie sich der Markt für neue Domains entwickeln werde, stützte sich DotBerlin auf eine Studie der Internetregierung ICANN. Und die lag mit ihrer Schätzung deutlich daneben: Statt der von ihr prognostizierten 33 Millionen neuen Internetadressen wurden nur rund sechs Millionen angemeldet. Das heißt: Die Nachfrage nach den neuen Domainendungen ist deutlich geringer als erwartet.

Laut Christian Böing, Vorstandsvorsitzender des Berliner Webhosters Strato, liegt das vor allem an der großen Zahl der gleichzeitig neu zugelassenen Endungen. Von den rund 1900 Bewerbungen, die bei der ICANN eingingen, wurden knapp 600 angenommen. „Normalerweise versuchen Unternehmen aus markenrechtlichen Gründen, sofort nach der Zulassung einer neuen Domainendung sich alle interessanten Adressen zu sichern“, so Böing. Da das bei mehreren Hundert neuen Endungen nicht möglich sei, blieb der initiale Hype aus. „Lokale Domainendungen wie .berlin werden sich aber langfristig im Markt etablieren, weil sie die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Community ausdrücken“, ist er sich sicher. Auch bei DotBerlin lässt man sich nicht entmutigen – zu lange hat das mittlerweile achtköpfige Team für den Durchbruch gekämpft. „Wir wirtschaften dennoch bereits jetzt profitabel“, sagt Krischenowski. Eine Berlin-Domain kostet derzeit je nach Anbieter zwischen 25 und 70 Euro. Die Hälfte davon fließt an DotBerlin.

Die schwarzen Zahlen in der Bilanz sind allerdings nur zu halten, wenn sich das Unternehmen mit der Stadt Berlin einigen kann. Denn im Gegenzug für die Unterstützung bei der Bewerbung hat das Startup der Stadt zugesichert, sie an den Einnahmen aus dem Domainverkauf zu beteiligen. Im ersten Jahr sollten es 540.000 Euro sein, kommendes Jahr sogar 750.000 Euro – als Fixbetrag. „Wie wir jetzt wissen, lassen sich Einnahmen in dieser Höhe mit unserem Geschäftsmodell aber nicht erwirtschaften“, so der Gründer. Nun verhandelt das Unternehmen mit der Stadt an einer Beteiligung, die an den Umsätzen orientiert ist.

Ungünstiger Vertrag

Zudem gilt es, noch mehr Berliner von den Vorteilen einer eigenen .berlin-Domain zu überzeugen. Dafür kooperiert das Unternehmen mit Domainbesitzern, die, wie Krischenowski sagt, „vernünftig“ mit ihrer neuen Adresse umgehen. Das heißt: Die Käufer bekommen besonders begehrte Adressen wie go.berlin zum Vorzugspreis. Im Gegenzug verpflichten sie sich, damit öffentlich zu werben. „Unser Ziel ist es, präsenter zu werden“, sagt der Gründer. „.berlin muss in die Identität der Stadt eingehen und für jeden Berliner im Alltag sichtbar sein.“ Derzeit gibt es in Berlin insgesamt 1,1 Millionen registrierte Internetadressen – mindestens ein Drittel davon will DotBerlin für sich erobern. Zudem will Krischenowski kleinere Unternehmen ansprechen, die oft noch gar nicht im Netz vertreten sind. Potenzial für weiteres Wachstum gibt es also genug.

Das Gründerszene-Ranking: Die Top Ten

Bild: Michael Berger/Gründerszene