Die GastroHero-Macher: Andreas Korsus, Mark Baukmann und Jens Schütte (von links)

„Nächster Halt Holzwickede“: Nach eineinhalb Stunden Fahrt verlasse ich das gemütliche Zugabteil meiner Regionalbahn und stehe auf einem tristen Bahnhof im Ruhrgebiet. Regen pfeift mir um die Ohren, der Herbsthimmel ist grau. Etwas entmutigt stapfe ich an verblassten Schildern vorbei zur Bushaltestelle. Von hier sind es noch rund drei Kilometer zum Dortmunder Flughafen – und zum Büro von GastroHero.

Ich bin der einzige Gast im Airport-Shuttle, dessen Fahrerin mich an bunt gestrichenen Häusern vorbeifährt, deren Wände trotz der Farbe grau und schmutzig wirken. Vorbei an einigen leer stehenden Läden und einigen, die geöffnet sind – ein Reitsport-Geschäft, ein Matratzen-Laden.

Das Büro von GastoHero liegt im Gewerbegebiet am Flughafen, direkt gegenüber von einem McDonald’s und neben der Abfahrt zu einer stark befahrenen Bundesstraße. Die Fensterrahmen des Gebäudes von GastroHero sind bunt gestrichen. Doch gegen das allumfassende Grau der Umgebung und des regnerischen Himmels kommen die Farben nicht an. Obwohl man hier eigentlich kein Startup erwartet, sitzt gleich um die Ecke das wohl bekannteste Ruhrpott-Startup: Urlaubsguru.

Hier im unscheinbaren Holzwickede bei Dortmund haben die drei Unternehmer Andreas Korsus, Mark Baukmann und Jens Peter Schütte im Stillen einen Onlineshop für Gastronomie-Produkte aufgezogen. In der Presse ist nichts über GastroHero zu finden, das Unternehmen ist weitestgehend unbekannt. Und doch beschäftigen die drei Gründer mittlerweile über 100 Mitarbeiter – und haben seit der Gründung vor drei Jahren 140.000 Produkte wie Gasherde und Kühlschränke an Gastronomen verkauft. 35.000 Produkte bieten sie in ihrem Sortiment an.

Update, 9. Dezember 2016: Als das Gründerszene-Magazin in Druck ging, hatten die drei Gründer noch keine externe Finanzierung eingesammelt. Diese Woche gab GastroHero nun eine Finanzierung in zweistelliger Millionenhöhe bekannt, die Beteiligungsgesellschaft Genui investierte in den Onlinehändler aus dem Ruhrgebiet. Nun haben sie auch eine Umsatzzahl veröffentlicht: 35 Millionen Euro für das Jahr 2016.

Serienunternehmer mit Durchblick

Baukmann, Schütte und Korsus wachsen in Arnsberg im Sauerland auf, sie besuchen dieselbe Schule – man kennt sich. In der Schule versuchen sich Korsus und Baukmann an einem ersten Onlineprojekt, sie bauen eine Webseite für einen Gastronomen.

2003 beschließen sie, ihr Glück im E-Commerce zu suchen. Mit MeineLinse bauen sie ihren ersten Onlineshop auf – damals jedoch für Kontaktlinsen. Neun Jahre lang führen sie diesen, auch während des Zivildienstes und des Studiums, erzählt Baukmann, als wir uns in einem Gemeinschaftsraum zum Interview hinsetzen. Nach einigen Jahren beschäftigen er und Korsus 20 Mitarbeiter.

Doch sie entscheiden sich, den Shop zu verkaufen. „MeineLinse haben wir verkauft, weil wir nach dem Studium an einem Scheideweg standen“, erzählt Baukmann. Am Nebentisch sitzen Mitarbeiter, die zu Mittag essen und neugierig rüberschauen. Die Kaffeemaschine rattert. „Wir hätten noch mal richtig in das Unternehmen investieren müssen.“ Es fehlt ihnen an Mitteln, „ihr Baby“ weiterzubringen. Das Kaufangebot eines Wettbewerbers tut ein Übriges – das Unternehmen wird verkauft. Zu welchem Preis verraten sie nicht.

02 – GASTROHERO

Wachstumsrate: 1.345%
Gründungsjahr: 2013
Firmensitz: Holzwickede
Branche: E-Commerce
Webseite: www.gastro-hero.de

Nun müssen Baukmann und Korsus überlegen, wie es weitergehen soll: ob sie festangestellt oder selbstständig sein wollen. Als sich Baukmann an diese Übergangszeit erinnert, werden seine Gesten weiter, die Augen blitzen schelmisch. „Ich wollte ein Projekt starten, bei dem ich auch meine gewonnene Erfahrung mit einbringen konnte“, erinnert er sich.

Das Duo holt Schütte mit ins Boot und schaut sich das Potenzial des Gastronomie-Marktes an. Denn ihnen fällt auf, dass es nur wenige Onlineangebote für Gastronomen gibt. Eine gute Möglichkeit also, einen Shop aufzusetzen. Der Plan: Geräte wie Kühlschränke oder Gasherde online zu vertreiben. Die drei beginnen im Wohnzimmer von Baukmanns Uroma, Korsus programmiert die erste Webseite. Das erste Büro beziehen sie einige Monate später, im Dortmunder Technologiepark mieten sie einen Schreibtisch. Sie unterzeichnen einen Einjahresvertrag und können bei Bedarf immer mehr Schreibtische hinzumieten.

Eins der Produkte aus dem Onlinegeschäft von GastroHero

Sie entscheiden sich für Dortmund, weil alle drei mittlerweile in verschiedenen Städten wohnen. Baukmann in Paderborn, Korsus in Köln und Schütte noch immer in Arnsberg. Jeden Tag pendeln sie ins Büro – nur freitags arbeitet Korsus von zu Hause aus, weil dann der Verkehr am schlimmsten sei, erzählt er. Einige der heutigen Mitarbeiter pendelten ebenfalls, etwa aus Münster oder auch aus Paderborn, erzählen die Geschäftsführer. Deshalb sei die Lage am Dortmunder Flughafen aus logistischer Sicht gut.

Bank-Lieblinge

Im Gegensatz zu vielen jungen Unternehmern haben die drei Gründer keine Probleme, bei ihrer Bank einen Kredit für die Finanzierung von GastroHero aufzunehmen. „Einen schwierigen Stand bei der Bank hatten wir nicht“, gibt Baukmann zu. „Durch unser vorheriges Unternehmen und den Verkauf waren wir bei der Bank bekannt, wir hatten sozusagen ein gutes Standing.“ So können sie sich 180.000 Euro leihen und das Geld in ihr Unternehmen stecken, das sie im Herbst 2013 offiziell gründen. Schütte betont, man habe von Beginn an versucht, die schwarze Null zu halten. „Auch wenn wir unsere Gewinne immer wieder ins Unternehmen reinvestiert haben.“

Zu Beginn agiert GastroHero nur als Vermittler: Baukmann, Schütte und Korsus verkaufen die Produkte von Großhändlern über ihre Seite, diese Unternehmen liefern die Bestellungen jedoch selbst aus. Am 28. Oktober 2013 verkaufen die damals Ende 20-Jährigen ihr erstes Produkt: einen Arbeitstisch aus Edelstahl. Schütte zeigt stolz die erste Bestell-Email auf seinem Handy, er habe sie extra heute noch rausgesucht, sagt er.

Ein Teil des Büros von GastroHero in Holzwickede bei Dortmund

If you can’t beat them, eat them

Um den Shop zum Laufen zu bringen, zahlen sich Baukmann, Schütte und Korsus im ersten Jahr kein Gehalt aus, erinnern sich die Gründer. Als sie nun für das Interview am Tisch einander gegenüber sitzen, scherzen sie viel und derbe, lachen herzhaft. Niemand unterbricht den anderen. Trotz ihrer entwaffnenden Herzlichkeit sind die drei Geschäftsführer stark darauf bedacht, nicht zu viel zu erzählen. Ein eingespieltes Team.

Bereits im Jahr 2014 arbeiten 20 Mitarbeiter für GastroHero in Dortmund. Sie ändern das Konzept und beginnen, die Gastronomie-Produkte selbst einzukaufen und zu lagern. Sie beziehen die Geräte aus dem Großhandel, direkt vom Hersteller – oder lassen eigene Produkte in Fabriken in Europa und Asien herstellen. In welchen Ländern genau, wollen sie nicht sagen. Mit der Verkaufsmarge verdienen sie ihr Geld. Wie hoch diese ist, wollen die drei Gründer ebenfalls nicht verraten. Überhaupt werden sie beim Thema Zahlen plötzlich wortkarg. Weder Umsatz noch Durchschnittswert des Warenkorbs wollen sie kommentieren.

08 Gastro Hero Chris Marxen
08 Gastro Hero Chris Marxen Gründer Korsus zeigt die erste Bestell-E-Mail

Obwohl GastroHero 2015 gerade mal zwei Jahre alt ist, übernimmt das Unternehmen Mitte des Jahres einen zwölf Jahre alten Wettbewerber. Gastro24 aus Norddeutschland vertreibt Küchenprodukte wie Töpfe und Besteck – eine gute Ergänzung zu den Dönergrills von GastroHero. „Gastro24 wurde vom Inhaber geführt, den wir bereits auf Messen kennengelernt haben“, erinnert sich Korsus. „Er war lange genug dabei und ist mit seinem Unternehmen nicht mehr weitergekommen.“ Einige Wochen nach der Übernahme – die sie nicht beziffern wollen – schließen sie den Standort von Gastro24, 15 Mitarbeiter verlieren ihren Job. Das sei ein harter Schritt, aber wirtschaftlich notwendig gewesen, sagen sie heute.

Respekt vor dem Wachstum

Derweil wächst GastroHero weiter, der Unternehmenssitz wird nach Holzwickede und in die Nähe des Dortmunder Flughafens verlegt. Die Mitarbeiterzahl steigt. Erst besetzen sie nur einen Flur im Gebäude, dann einen weiteren. Demnächst kommt der vierte Trakt hinzu. Das Unternehmen hat nun einen 24-Stunden-Kundenservice, das Angebot wird auf komplette Küchen ausgeweitet, die von internen Beratern geplant werden können. „Es ist leider immer noch so, dass sich große Marken schwertun, mit Onlinehändlern zusammenzuarbeiten“, gibt Schütte zu bedenken. „Das ist zwar über die Jahre besser geworden, aber wir müssen immer noch viel Überzeugungsarbeit leisten. Oft ist online gleich böse.“

Bisher wuchs GastroHero allein, unter dem Radar und ohne viel Aufsehen. In sieben Ländern ist das Unternehmen nun aktiv, weitere Länder in Europa sollen bald hinzukommen. Die Unscheinbarkeit von Holzwickede hat dazu wahrscheinlich beigetragen. Immerhin könne man sich hier auf die Arbeit konzentrieren, sagt Korsus, als wir durch die mit Teppichboden ausgelegten, engen Flure laufen.

Doch nun will GastroHero offenbar sichtbarer werden – denn es fehlt an Talenten. Anfang 2017 eröffnet das Trio deshalb ein Büro in Köln. Etwa 30 Mitarbeiter sollen zu den bisher 100 dazukommen: „Wir wollen in Köln einen Standort eröffnen, um mehr Mitarbeiter zu finden, die digitale Kompetenzen haben“, erzählt Korsus, der die Dependance betreuen wird. „In Dortmund besteht da leider nicht viel Auswahl.“

Bisher haben die drei Gründer keine Unterstützung von Investoren erhalten, die Anteile am Unternehmen sind unter ihnen aufgeteilt. Ob sie in Zukunft Risikokapital einsammeln, wollen sie nicht kommentieren. Die Blicke, die sie wechseln, lassen jedoch erahnen, dass sie nicht abgeneigt wären. „Das Gute ist: Wir können, müssen aber nicht“, kommentiert Schütte.

Die drei beeilen sich zu betonen, dass es ihnen wichtig sei, ein nachhaltiges Unternehmen aufzubauen – anders als einige andere Unternehmen der Startup-Szene, kritisieren sie. „Manchmal wundere ich mich, wenn ich mir manche Startups anschaue“, bemängelt Schütte. „Die haben innerhalb kürzester Zeit 500 Mitarbeiter – nur um Monate später die Hälfte entlassen zu müssen. Das machen wir nicht.“ Sein Mitgründer Korsus glaubt, als Unternehmer brauche man Respekt vor Wachstum. „Wächst du zu langsam, gehst du unter“, findet er. „Wächst du aber zu schnell, gehst du es auch.“

Wieder eineinhalb Stunden später stehe ich vor dem Gebäude von GastroHero und blicke auf die Autos, die sich an der Ampel drängen. Baukmann, Korsus und Schütte sind schon wieder in einem anderen Meeting.

Der Regen hat nachgelassen, es sieht noch immer alles ein wenig trist aus. Zu Fuß mache ich mich auf den Weg zum Bahnhof. Weder in dieser Stadt noch bei GastroHero erinnert etwas an Berlin oder die Startup-Szene dort. Alles ist anders. Doch anders ist ja meistens gut.

Bilder: Chris Marxen / Gründerszene; Hinweis: Im Ranking-Magazin stand fälschlicherweise, dass MeineLinse 2007 gegründet wurde. Richtig ist: 2003.