Die beiden KW-Commerce-Gründer Jens Wasel (links) und Max Kronberg

Wenn Jens Wasel und Max Kronberg eines Tages in Universitäten oder auf Bühnen von Gründerkonferenzen stehen, um von den Anfangstagen ihres Startups zu erzählen, könnten sie ein Foto von dieser Halle zeigen. So wie die beiden Zalando-Gründer gern ein Foto von einem Kellerraum zeigen, der mit Paketen voller Schuhe vollgestellt war, die sie am Anfang noch selbst gepackt haben.

Auf dem Foto von Wasel und Kronberg werden die Zuschauer eine große Lagerhalle sehen. 700 Quadratmeter, fast leer, etwas trostlos. Aber genau hier, im Gewerbegebiet von Berlin Charlottenburg, begann eine Erfolgsgeschichte. In der Nachbarschaft von Gemüsehändlern und Verpackungsverkäufern starteten Wasel und Kronberg vor drei Jahren KW-Commerce.

Heute ist der schlichte Zweckbau mit Regalreihen vollgestellt, es wird geschraubt und beladen. Gerade läuft wieder ein Umbau. Die Sonne fällt durch die Fenster auf eine endlose Menge von grauen Kartons. Ich greife in eine Kiste und hole eine Tüte heraus. Was ist das? Ein grün-blaues Muster ist auf dem flachen Stück Plastik zu sehen, am Rand steht in geschwungenen Buchstaben „smile“. Das ist kein Design-Accessoire für den Hipster von heute. Es ist eine Handyhülle. Für jedermann. Passt für das Sony Xperia, Preis: 5,40 Euro.

Massenware. Handyhüllen und Elektronik-Zubehör – damit hat es der Berliner Onlinehändler zu beachtlicher Größe gebracht. Vier Millionen Sendungen verschickte KW-Commerce im vergangenen Jahr in 192 Länder. Das Wachstum der Firma ist atemberaubend. Deshalb habe ich mich auf den Weg gemacht, um einen Blick in das Reich von KW-Commerce zu werfen. Um das Geheimnis zu lüften. Zu verstehen, wie die beiden Gründer aus ihrem Geschäftsmodell einen Erfolg gemacht haben.

Start mit einem Gemischtwarenladen

Auf meinem Weg zum Sieger des Gründerszene-Rankings habe ich die Tipps vieler Gründerratgeber im Ohr. Dein Produkt darf nicht austauschbar sein, haben sie immer geschrieben. Oder: Was ist euer Unique Selling Point? Wie setzt ihr euch gegen die chinesischen Konkurrenten durch? Ich höre die Fragen förmlich in meinem Kopf, als ich durch das Charlottenburger Industriegebiet laufe.

Hier haben die beiden Gründer den Grundstein für ihren Erfolg gelegt. Die beiden Studienfreunde teilten früh ihre Leidenschaft für den Onlinehandel. Schon während des Wirtschaftsingenieur-Studiums betrieben sie einen Onlineshop. Dann mieteten sie zusammen ein Büro. Aus einer drei Meter langen Tischplatte entstand ihr Schreibtisch, provisorisch auf ein paar Beine gestellt.

Kronberg hortete anfangs klassische Glühbirnen, nachdem die EU sie verboten hatte, und verkaufte sie im Netz weiter. „Das lief sehr gut“, sagt er im Rückblick und setzt ein spitzbübisches Lächeln auf. Auch „Aladin-Hosen“, wie er sie nennt, also weite Hippie-Hosen, verscherbelte er in seinem Onlineshop. Sein Freund Jens Wasel kaufte anfangs für 250 Euro eine Ladung Piercings, die dann über seinen Onlineshop rausgingen. Bereits in der Schule hatte er seine Computerspiele bei Ebay verkauft.

Aus diesem Nebenverdienst wurde für die beiden Jungunternehmer später das Startkapital. 2011 entschieden sie sich, ihre beiden Unternehmen zu verschmelzen und mieteten das Lager an. Ein Onlineimperium wollten sie aufbauen. Mit dem klaren Fokus auf Haus, Freizeit und Garten. Später tauften sie ihr Unternehmen KW-Commerce. K für Kronberg, W für Wasel. „Nicht sonderlich kreativ, aber was soll’s“, sagt Wasel mit einem breiten Grinsen.

In der ersten Zeit war die Halle leer. „Wir hatten einen Mitarbeiter, der eigentlich nichts zu tun hatte“, erzählt Kronberg. Ein Jahr später setzten sie sich zusammen und veränderten ihr Geschäftsmodell. „Man muss sich auf eine Sache konzentrieren, um sie richtig gut zu machen“, sagt Wasel. Warum dann nicht Handyhüllen? Oder Folien für Smartphones und Adapter für das Auto? Ein richtiger Schritt, wie sich später herausstellte.

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Das Gründerszene-Ranking: Die Top Ten


Diese Hülle ist im Internet für 5,40 Euro erhältlich.

Als ich am Lager ankomme, empfangen mich zunächst Niklas Breidert und Gerit Stillke. Breidert – groß, 34 Jahre alt – ist der Leiter der Logistik. Ich merke, dass dieser Mann Geschwindigkeit gewöhnt ist. Er strahlt Energie aus, und es wird sofort klar, dass er im Notfall auch selbst durch die Regalreihen läuft und hier eine Handyhülle, dort einen Adapter einsammelt, wenn mal Not am Mann ist. Stillke, 28 Jahre alt, hat BWL studiert und arbeitet seit drei Jahren als COO im Unternehmen. Er kommt von einer Beratungsfirma. Auf den ersten Blick wirken die Chefs auf mich wie Theorie und Praxis.

Zusammen schlendern wir durch die endlosen Regalreihen und schauen uns die Produkte an. Als Erstes zieht Gerit Stillke eine biegbare, durchsichtige Smartphone-Hülle heraus. Niklas Breidert greift nach einer Tablet-Hülle mit Eulen-Gesicht. Er blickt belustigt auf.

„Man muss das hier nicht mögen, aber es verkauft sich gut“, sagt er.

Gerit Stillke fügt hinzu: „Als ich vor drei Jahren zum Unternehmen gekommen bin, war ich mir auch nicht sicher, ob sich das verkauft.“

Die beiden wissen, dass sie hier keine Diamanten über das Netz verkaufen – doch das ist ihnen egal. Sie haben ein pragmatisches Verhältnis zu ihren Produkten, von denen sie Tag für Tag in den großen grauen Kisten umgeben sind. Beide haben ihre Smartphones mit Hüllen aus dem eigenen Lager ausgestattet. Stillke mit einem Lederimitat, Breidert nutzt eine schwarze Plastikhülle für 5,40 Euro.

Gute Kontakte nach China

Logistikleiter Breidert erzählt von seiner Zeit bei einem großen Online-Reifenhändler. Auch dort hat er die Logistik mit aufgebaut. Und jetzt tut er es wieder. „Im Gegensatz zu Reifen haben diese Produkte den Vorteil, dass sie extrem klein sind“, erklärt mir Niklas Breidert. Würde er die Lagerfläche mit Autoreifen vollstopfen, dann wäre nicht genug Platz. Aber für die Hüllen und den ganzen anderen Schnickschnack reicht es locker. Das ist einer der Erfolgsfaktoren dieser Firma: kleine Produkte, die sich einfach verschicken lassen. Optimal für den Onlinehandel.

Die Handyhüllen selbst sind ein weiterer Faktor. Schon früh haben die beiden Gründer direkten Kontakt zu Lieferanten in China gesucht. Mit einem 400-Euro-Studententicket von Qatar Airlines seien sie das erste Mal rübergeflogen und hätten später den Kontakt zu den Lieferanten nie abbrechen lassen. „Wir haben uns ein Netz von guten Herstellern in China aufgebaut“, sagt Kronberg. Durch einen eigenen Außenposten mit zehn Leuten in China seien sie schon vor Ort in der Lage, die Qualität zu kontrollieren.

In einem Nebenraum der Lagerhalle finde ich einen weiteren Grund für den Erfolg: Die Folien verarbeitet der Onlinehändler hier in einem kleinen Raum selbst. An der linken Seite befinden sich acht Arbeitsplätze. Drei Mitarbeiter verpacken dort mit Plastikhandschuhen gerade Handyfolien. Das Rohmaterial wird mit einem Laser ausgeschnitten. „Jonas, das hier ist für das MacBook, oder? “, ruft Produktionsleiter Björn Hein durch den Raum. Gerade sind wieder zehn Folien für Apple-Computer fertig geworden. Hein erzählt mir, dass bei allen Handys und Geräten, die gerade besonders angesagt seien, auch die Nachfrage nach Zubehör steige. Manche Produkte hingen besonders am Weihnachtsgeschäft. Beispielsweise Tablet-Folien verkauften sich dann am besten.

Die Treppe runter folgt der Kundenservice. Von diesen zwei Großraumbüros in Charlottenburg aus bedienen 25 Mitarbeiter die ganze Welt. Auch in Zukunft soll jeder Absatzmarkt von hier aus betreut werden. Als es vor Kurzem auf den japanischen Markt ging, wurde kurzerhand eine Japanerin eingestellt. Um sicherzugehen, dass die Zufriedenheit der Kunden stimmt.

Gerade diese Kontrolle über den Kundenservice sieht Gründer Wasel als einen seiner großen Vorteile. „Wir wollen bei uns alles in einer Hand haben“, erklärt er. Auch in den anderen Geschäftsbereichen halten die Gründer die Fäden lieber selbst in der Hand, als die Aufgaben auszulagern. So kümmert sich eine Abteilung um rechtliche Fragen, wenn jemand ihre Markenrechte verletzt. Ein anderes Team baut gerade das Social-Media-Marketing auf.

Insbesondere wenn es um das Thema Marketing geht, hält sich das Startup bislang noch zurück. Eher ungewöhnlich, wenn man an das große E-Commerce-Vorbild Zalando denkt. Der Modeversender gab in der Anfangszeit mehr als 90 Millionen Euro für Fernsehwerbung aus – bei einem Verlust von 60 Millionen. Ihre „Schrei vor Glück“-Kampagne hat Werbegeschichte geschrieben.

Der Vorrat von KW-Commerce im Charlottenburger Industriegebiet.

Wasel und Kronberg haben einen fundamental anderen Weg als Zalando gefunden. Sie vertreiben einen großen Teil ihrer Ware über Plattformen. Besonders wichtig: Amazon Marketplace, Ebay oder Rakuten. In anderen Ländern kommen verschiedene lokale Plattformen dazu. 15.000 Produkte – mit Design und Farbvarianten – haben sie im Angebot.

Keine schlechte Ausgangslage: Denn viele Elektronik-Artikel verkaufen sich beispielsweise über den Amazon Marketplace besonders gut. Da bietet es sich an, auch gleich bei einer Handyhülle oder einer Halterung für das Auto zuzugreifen. Gleichzeitig muss KW-Commerce keine großen Summen für das Marketing ausgeben. Die Gebühren, die für die Plattform gezahlt werden müssen, holt die Firma über die Masse wieder herein. Und so hat KWC es auf den Plattformen zu einer beachtlichen Größe gebracht: In der Auswertung eines Technikmagazins stehen sie unter den Top 10 der größten Amazon-Marketplace-Händler. Weltweit.

Alles mit eigenem Geld aufgebaut

Riesige Budgets für Werbekampagnen hätten die Gründer sowieso nicht gehabt – denn sie bauten das Unternehmen mit ihrem eigenen Geld auf. Mitarbeiter wie den bodenständigen Logistik-Leiter Niklas Breidert begeistert dieser Fakt.

Er lehnt an einem der Regale mit den braunen Kisten. „So ein typisches Berliner Startup, das hätte mich nicht interessiert“, sagt er. Ich spüre seine Abneigung. „Da ist dann einfach zu viel Geld an den falschen Stellen“, platzt es aus ihm heraus. Hier bei KW-Commerce herrsche ein ganz anderes Selbstverständnis. Weit weg von der Schampus-Mentalität der Berliner Szene.

Diese Bodenständigkeit verkörpern auch die beiden Gründer Jens Wasel und Max Kronberg. „Du gehst ganz anders mit dem Geld um, wenn es dein eigenes ist und dir die Hälfte der Firma gehört”, sagt Wasel. Die beiden sind zurückhaltend, höflich, fast etwas schüchtern. Den großen Gründerpartys in Berlin sind sie ferngeblieben. Unter dem Radar zu fliegen heißt natürlich nicht, dass nichts passiert. Von KWC gibt es erst wenige Lebenszeichen im Netz. Eine Handvoll Artikel sind bislang zu finden. In einem steht, dass die beiden Gründer zusammen Autorennen fahren. Langstrecke, vier Stunden.

Doch jetzt fühlen sie sich stark genug für Aufmerksamkeit. Die Gründer wollen der Öffentlichkeit ihre Geschichte erzählen, um bekannter zu werden und damit sich mehr Jobsuchende bei ihnen bewerben. Sie glauben, dass sie ihre Marktposition so weit ausgebaut haben, dass sie sich nicht mehr vor dem Misserfolg fürchten müssen. Oder vor der wachsenden Konkurrenz aus China.

Bei seinem Weg an die Öffentlichkeit bleibt das Startup trotzdem zurückhaltend, Großspurigkeit sucht man hier vergeblich. Auch ihre selbstkritische Haltung haben sich die Gründer bewahrt. In ihren Anfangstagen hatten sie sich gefragt, ob Piercings und Glühbirnen noch das richtige Produkt waren, und genauso hinterfragen sie heute die biegbaren Handyhüllen und Smartphone-Folien. „Wir schauen ständig, ob das noch funktioniert“, sagt Wasel.

Anfang des Jahres wurde eine zweite Marke aufgebaut. Kalibri heißt sie. Und sie ist in einem höheren Preissegment angesiedelt – mit mehr Echtholzprodukten etwa. Doch damit nicht genug. Die beiden Gründer tüfteln gerade mit ein paar Produktdesignern an etwas Eigenem. „Mit einem echten USP“, wie Wasel sagt. Mehr wollen sie noch nicht verraten.

Der asiatische Markt steht ebenfalls auf der To-do-Liste. Dort wollen sie es mit Produkten made in Germany versuchen. Ist das die Zukunft? „Wir wissen ja nicht, was in 2016 oder 2017 passiert“, sagt Wasel. Elektronikzubehör komplett aus Deutschland? „Ich will nicht ausschließen, dass wir die Vertriebsrichtung einfach umdrehen“, sagt der Gründer.

Die Lagermitarbeiter bereiten sich Ende Oktober bereits auf das Weihnachtsgeschäft vor.

Hauptsache, es geht mit dem Geschäft weiter voran. Und dieses schnelle Wachstum spüre ich hier in der Halle im Industriegebiet. Vor drei Jahren haben sie hier mit 15 Leuten begonnen, nun sind es 100 Mitarbeiter an diesem Standort und 170 insgesamt. Stück für Stück wurde vergrößert, wurden Wände durchbrochen, weitere Hallen in ein gelbes Meer aus Postkästen getaucht.

Neue Regale werden gerade aufgebaut

Und jetzt ist es erneut so weit. Der E-Commerce-Laden justiert seine Lagerhallen neu – für den nächsten Wachstumsschub. Auf einer großen, leeren Fläche weiter hinten montieren Arbeiter gerade neue Regale.

Die Vorbereitungen für das große Weihnachtsgeschäft laufen bereits. Kurz bevor Kaufhäuser sich mit Glitzerketten und Bäumen für die Festtage ausrüsten, wachsen hier, in der Herzkammer des E-Commerce, die neuen Regale aus dem Boden.

So wollen Jens Wasel und Max Kronberg auch in diesem Jahr die Erfolgsgeschichte weiterschreiben. Nur ein Foto von der alten Lagerhalle, das sie eines Tages auf Konferenzen hätten präsentieren können – das finden sie nicht mehr.

Das sind die Top Ten des Gründerszene-Rankings:

Das Gründerszene-Ranking: Die Top Ten

Bilder: Michael Berger/Gründerszene