Startups stehen dafür, dass jeder mit eine guten Idee und etwas betrieblichem Geschick etwas Großes aufbauen und damit alles Bisherige auf den Kopf stellen kann. Auf dem Erfolg junger, digitaler Unternehmen hat sich in Deutschland eine neue Kultur der Innovation aufgebaut, und das Land ist stolz darauf. Seitdem scheint die Startup-Szene förmlich zu explodieren: Immer größer werden die Träume des schnellen Erfolgs, und immer höhere Investitionssummen unterstützen sie. Verfällt Startup-Deutschland nun einem Wahn, in dem nur Wachstum als Maßstab zugelassen ist? Sind wir von Gründer­szene mit diesem Magazin dem Größenwahn erlegen?

Drüben, im Silicon Valley, scheint das schon passiert zu sein. Es zählen nur noch die Megaerfolge, VCs teilen ihre Portfolios in einen oder zwei absolute Gewinner auf und, nun ja, den traurigen Rest. Das hat zu einer Dominanz weniger Erfolgsgeschichten wie Facebook oder Google geführt, die heute selbst zum Establishment gehören, das sie einst „disrupten“ wollten. Und die gelernt haben, mit den eigenen Milliarden alles aufzusaugen, was erfolgversprechend und vielleicht sogar gefährlich ist. Instagram, Whatsapp oder Oculus haben Facebook weiter aufgebläht – während die Innovationsfähigkeit auf einen Nullpunkt gesunken ist, stattdessen wird kopiert. Hoffnungsträger Uber scheint unter dem enormen Wachstumsdruck regelrecht zu zerbrechen.

DAS GRÜNDERSZENE-RANKING

Wir küren in diesem Jahr erneut die am schnellsten wachsenden Digitalunternehmen Deutschlands. Es werden die 50 Firmen mit dem höchsten Umsatzwachstum (CAGR) ausgezeichnet. Grundlage ist der Umsatz der Jahre 2014 bis 2016. Unser gesamtes Ranking-Magazin könnt Ihr hier herunterladen.

Hier in Deutschland sind wir noch weit entfernt von solchen Giganten. Zwar hat Zalando schon für einige kleinere Startups als Exit-Weg hergehalten. Allerdings sind die Dimensionen noch deutlich kleiner. Der Umfang, in dem scheinbar blindes Wachstum hierzulande seine Opfer gefunden hat, gehört bislang wahrscheinlich noch zur notwendigen Lernkurve.

Einer der prominentesten Fälle: der heftige Wachstums-Wettstreit der beiden Berliner Umzug-Startups. Gleich zu Beginn führte der Machtkampf vor allem zu unzufriedenen Kunden. Weil gnadenloser Vertrieb zu mehr Wachstum führt als guter Service, wurde der erst einmal auf die lange Bank geschoben. Ein zu starker Fokus auf Wachstum führt fast zwangsläufig dazu, andere wichtige Bereiche zu vernachlässigen: Aufbau einer innovativen Unternehmenskultur, gutes Mitarbeiter-Management, intelligente Weiterentwicklung des Produkts.

Muss man sogar Angst vor Wachstum haben? Natürlich nicht.

Wie schwer es ist, zu schnelles Wachstum wieder zu korrigieren, hat Matthias Henze vor einem Jahr erfahren müssen. Er ist Mitgründer und CEO des Hamburger Startups Jimdo, das einen Homepage-Baukasten im Netz anbietet. Weil das Team zu schnell zu groß geworden ist, musste Henze im Oktober 2016 ein Viertel seiner Mitarbeiter entlassen. Die Management-Strukturen waren nicht schnell genug mitgewachsen. Versuche, die Entlassungswelle abzuwenden, funktionierten nicht. Zum Glück habe er die schwere Entscheidung noch rechtzeitig getroffen, sagt er heute: Nun sei sein Unternehmen wieder gut aufgestellt, das Team habe die Veränderungen gut verkraftet, auch weil das Management immer transparent geblieben sei.

Muss man also sogar Angst vor Wachstum haben? Natürlich nicht. Immer wieder beweisen Unternehmer, dass sie Wachstum erfolgreich beherrschen, das richtige Maß zwischen Ambition und Vernunft treffen. Wachstum steuern, statt es blind zu forcieren, Wachstum selbst nicht als Ziel sehen. Richtig verstanden ist Wachstum die unerlässliche Basis für ­ein funktionierendes Unternehmen, es schafft Arbeitsplätze und hält die Volkswirtschaft gesund.

Mit dem Gründerszene-Ranking wollen wir Transparenz schaffen – weil mit Umsätzen & Co. auch gerne geprahlt wird. Und wir wollen einen Blick hinter ­die Zahlen werfen. Die Frage nach dem „angemessenen“ Wachstum lässt sich nicht pauschal beantworten, sie muss immer wieder neu gestellt werden – wer dann die passenden Antworten findet, schreibt seine Erfolgsgeschichte. Und darf darauf mit Recht stolz sein.

Bild: Getty Images/Photofusion/Kontributor