Der Jurist Can Ansay vermittelt Apps auf Rezept.
Der Jurist Can Ansay vermittelt Apps auf Rezept.

Can Ansay bezeichnet sich auf seinem Linkedin-Profil als „eHealth-Disruptor“. Der Jurist aus Hamburg hat schon mehrere Startups gegründet. Bekannt wurde er mit dem umstrittenen Krankschreibe-Service AU-Schein.de. Jetzt startet er sein nächstes Projekt: appsaufrezept.com. Damit dürfte er ebenso auf Gegenwind stoßen wie mit seinem vorigen Projekt. Aber so ist das nun mal mit Disruptoren.

Das neue Portal appsaufrezept.com will Patienten den Zugang zu digitalen Gesundheitsanwendungen (Diga) erleichtern. Diese „Apps auf Rezept“ können, sofern sie dafür vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassen sind, von Ärzten verschrieben werden.

Schon fünf Apps auf Rezept verfügbar

Mindestens 25 Startups haben ihre App beim BfArM eingereicht. Fünf wurden bislang anerkannt: der Schlaftrainer Somnio und die Angsttherapie Velibra. Vorläufig aufgenommen wurden die Tinnitus-App Kalmeda, der Rückentrainer Vivira und die Abnehm-App Zanadio. Die Startups haben nun zwölf Monate Zeit, den „positiven Versorgungseffekt“ ihrer Apps mit klinischen Studien zu belegen – also die Frage zu beantworten, ob die Programme einen therapeutischen Nutzen haben oder nicht. Somnio und Velibra haben diesen Beweis bereits erbracht.

Die Aufnahme in das Diga-Verzeichnis ist für Gesundheits-Startups die künftig wichtigste Einnahmequelle. Denn hier werden ganz andere Preise aufgerufen, als diese bislang im B2C-Geschäft über App-Stores oder in Selektivverträgen mit einzelnen Versicherungen durchsetzbar waren: Gesetzliche Krankenkassen in Deutschland erstatten für jeweils 90 Tage Schlaftraining mit Somnio 464 Euro, für Angsttherapie mit Velibra 476 Euro und für die Tinnitus-Behandlung von Kalmeda auf der Basis einer kognitiven Verhaltenstherapie 117 Euro – wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt.

Diese Verordnungen will nun das Unternehmen des Juristen Can Ansay liefern. Ohne Arztbesuch und damit ähnlich, wie er das schon bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erfolgreich praktiziert hat. Nach seinen Angaben wurden bereits 70.000 AU-Scheine digital per Ferndiagnose und unbeanstandet ausgestellt. Nun nimmt sich der Unternehmer also die Apps auf Rezept vor: zunächst die Tinnitus-Behandlung Kalmeda. Später sollen weitere Apps folgen. Der nächste Kandidat könnte Velibra sein, wie ein Platzhalter auf der Website andeutet.

Fragebogen genügt für Verordnung

Bei Appsaufrezept.com füllen Patientinnen und Patienten einen Fragebogen aus und entbinden gegebenenfalls den bislang konsultierten Facharzt von der Schweigepflicht, so dass der Telearzt von Appsaufrezept den Facharzt darüber befragen kann, ob er eine entsprechende Diagnose gestellt hat. Nach dem Bezahlen einer Schutzgebühr von derzeit einem Euro erhält der Patient die Verordnung als PDF und kann sie bei der Krankenkasse einlösen, die ihm per Post einen Freischaltcode für die App schickt. Appsaufrezept stellt den dafür erforderlichen Antrag optional direkt bei der Krankenkasse. 

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Die AOK Rheinland Hamburg sieht diese Verschreibungspraxis kritisch und lässt das Verfahren derzeit rechtlich prüfen, wie eine Sprecherin auf Nachfrage von Gründerszene bestätigte. Bei den angegebenen Indikationen handele es sich um komplexe Krankheitsbilder. „Aus diesem Grund legen wir großen Wert darauf, dass die Verordnung einer sogenannten App auf Rezept immer in einen strukturierten Versorgungs- bzw. Behandlungsplan durch die betreuende Ärztin oder den betreuenden Arzt eingebettet ist“, so die Sprecherin.

Vom Health Innovation Hub des Bundesgesundheitsministeriums war bis zum Erscheinen dieses Artikels keine Stellungnahme zu erhalten. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung fühlte sich nicht zuständig und verwies auf die Ärztekammern. 

Uso Walter, Gründer und CEO der Tinnitus-App Kalmeda, freut sich nicht über die neue Unterstützung beim Vertrieb seiner App. Er sieht das Angebot kritisch. „Das ist für uns sehr unangenehm. Wir lehnen die Verordnung unserer App ohne Arztbesuch grundsätzlich und strikt ab und haben das dem Betreiber von AppsaufRezept mitgeteilt“, sagt der Gründer, der auch eine Praxis für HNO-Medizin betreibt.

Rechtslücken geschickt ausgenutzt

Es sei rechtlich jedoch nicht möglich, das zu unterbinden, sagt Walter. Tatsächlich lässt das Sozialgesetzbuch offen, ob ein niedergelassener oder ein digitaler Arzt ein Rezept ausstellt. Auch die Berufsordnung der Ärzte, die neuerdings einen persönlichen Erstkontakt mit dem Patienten nicht mehr zwingend vorschreibt, bleibt hier vage. Diese Rechtslücken nutzt Can Ansay aus. 

Walter setzt auf andere Vertriebswege: „Wir haben eine Vertriebskooperation mit Pohl-Boskamp, einer mittelständischen Pharmafirma, deren Außendienst Kalmeda bei den Ärzten bespricht und einen Youtube-Kanal mit Content Marketing.“

Kalmeda scheint damit gut zu fahren. „Wenn man Ärzten die App im Einzelgespräch erklärt und auch Zeit hat, Hintergründe zu beleuchten, kommt das gut an. Viele Ärzte fordern dann Test-Apps an“, sagt Walter. Es gehe darum, Hürden gegen die Verschreibung digitaler Gesundheitsanwendungen abzubauen. „Wir leisten da wie schon beim Entwickeln der Apps Pionierarbeit.“ Dabei komme seinem Startup der Plan von Appsaufrezept.com in die Quere. 

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Unternehmenschef Can Ansay ficht die Kritik nicht an – im Gegenteil. „Chronischer Tinnitus lässt sich telemedizinisch nicht diagnostizieren“, räumt er ein. „Deshalb stellen wir bei derartigen Indikationen auch keine Ferndiagnose, sondern beziehen uns auf die vorherige Diagnose eines Arztes.“ Ob dieser bei jedem Antrag konsultiert werde, ließ Ansay offen. Bei anderen Apps, die später auf der Plattform angeboten werden sollen, sei die Konsultation eines Arztes nicht zwingend erforderlich.

Onlineportal erspart Gang zum Arzt

Ansay sieht sein Angebot als Beitrag zur Digitalisierung des Gesundheitswesens. „Wir wollen die Medizin schneller, besser und günstiger machen und ersparen dem Patienten einen Arztbesuch.“ Jeder Versicherte mit einer entsprechenden Indikation solle auch eine App auf Rezept schnell und einfach bekommen können, sagt Ansay. Die Gefahr eines Missbrauchs seines Angebots durch eine inflationäre Verschreibung digitaler Gesundheitsanwendungen zu Lasten der Krankenkassen sieht er nicht.

Das Geschäftsmodell von Appsaufrezept.com geht weit über die erhobene Schutzgebühr von einem Euro hinaus. Ansay will mit Fragebögen Daten über den Therapieerfolg der digitalen Gesundheitsanwendung erheben, die den Startups dann als Grundlage für Evidenz-Studien dienen könnten. Ferner stellt er sich Kooperationen mit den Anbietern von Praxissoftware und Arztempfehlungsplattformen vor.

Insofern sieht sich der Hamburger Telemedizin-Unternehmer als Freund der Gesundheitsstartups. „Wir erleichtern ihren Vertrieb sowie die Erstellung der nötigen Studien extrem und erhöhen mit unserem Angebot ihre Conversion Rates.“ 

Jürgen Stüber schreibt bei Gründerszene über die digitale Gesundheitswirtschaft. Jeden Freitag lest ihr hier die Kolumne Healthy Business, die einen Blick auf die Gesundheitsbranche wirft. Die zuletzt erschienene Kolumne findet ihr hier:

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Bild: AU-Schein.de / Michael Kohls

Update-Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels war die Anwendungsdauer der Apps irrtümlich mit 9 Monaten angegeben.