Smartphones sollen dabei helfen, das Coronavirus einzudämmen. Die Initiative Gesund zusammen .arbeitet an einer Lösung.
Smartphones sollen dabei helfen, das Coronavirus einzudämmen.

Wer macht das Rennen um die Tracing-App für Corona-Verdachtsfälle? Liegt die europäische Initiative Pepp-PT, hinter der 130 Forscher stehen, vorne oder Apple und Google? Ein solches Tool soll es ermöglichen, mit Bluetooth-Signalen Kontakte von Smartphone-Nutzern zurückzuverfolgen, die positiv auf das Virus getestet wurden. Parallel soll die App diese Kontakte sekundenschnell davor warnen, dass sie sich bei einem Covid-19-Patienten angesteckt haben könnten. Diese Rückverfolgung dauerte bislang Tage. Das digitale Modell soll zwar effektiver sein, wirft aber Fragen auf – vor allem nach Transparenz und den Standards beim Datenschutz. 

Apple und Google hatten kurz vor Ostern ihre bis dahin unvorstellbare Kooperation bekannt gegeben. Bis Mitte Mai wollen die beiden Tech-Konzerne eine Programmschnittstelle bereitstellen, auf die andere App-Anbieter zugreifen können. Wenige Tage vorher hatte die Initiative Pepp-PT, was übersetzt für Paneuropäische Kontaktverfolgung mit Privatsphäreschutz steht, eine Tracing-Plattform für Mitte April angekündigt. Gründerszene berichtete vor einer Woche darüber. Wie zu hören ist, stehen die Arbeiten kurz vor der Finalisierung.

Apple und Google als Beschleuniger

Aus dem politischen Raum gab es viel Applaus für die US-amerikanischen Konzerne ­– und selbst der Datenschutzbeauftragte des Bundes, Ulrich Kelber, wurde von Reuters mit den Worten zitiert: „Aus Sicht des Datenschutzes ist es gut, dass Google und Apple zusichern, dass das Projekt ohne die weitere Erhebung personenbezogener Daten auskommt und geplant ist, wenigstens Teile des Programmcodes offenzulegen. Das könnte nationale Initiativen beschleunigen.“ 

Doch die Initiative „Gesund zusammen“ ein Zusammenschluss aus europäischen Startups, übt nun in einem mehrseitigen Memorandum Kritik. In einem Papier legt die Initiative dar, warum Apple und Google nicht die Hoheit über die Patientendaten erhalten sollten. Hinter „Gesund zusammen“ stehen zahlreiche Startups aus Deutschland und Europa. Die Plattform wurde von Julian Teicke, CEO des Digital-Versicherers Wefox, und Ramin Niroumand, CEO des Fintech-Inkubators Finleap, ins Leben gerufen.

Initiative kritisiert Marktdominanz

Teicke und Niroumand haben ihr Positionspapier inzwischen an das Bundeskanzleramt geschickt. Darin verweisen sie auf die Marktdominanz und das Daten-Oligopol der US-Unternehmen: Die Konzerne kontrollieren über 99 Prozent aller Handy-Betriebssysteme, 92 Prozent der Internetsuchen, 86 Prozent aller Browser (Chrome und Safari), 74 Prozent aller E-Mail-Klienten und 61 Prozent aller Wearables. Das reicht zwar für differenzierte Persönlichkeitsprofile. Die Vorstellung, dass Apple und Google künftig auch noch Corona-Tracing-Daten hostet, weckt Unbehagen – wenn nicht mehr.

„Gesund zusammen“ hinterfragt die Transparenz, Kontrolle und Nutzung der Daten, die in einer solchen Corona-App erhobenen werden würden. „Es ist nicht die beste Lösung, wenn Apple und Google die Server besitzen, auf denen alle Kontakte und medizinischen Angaben von Bürgern weltweit hochgeladen werden“, kritisiert Teicke im Reuters-Interview.

Gemeinsame App statt Verwirrung

Gegenüber Gründerszene spricht sich der Wefox-Chef für eine nationale Lösung aus: „Unser Ziel ist es, eine App für alle zu haben.“ Nur so seien die 50 Millionen Downloads in Deutschland möglich, die erforderlich sind, um in kurzer Zeit genügend aussagekräftige Informationen bereitstellen und eine Alternative zum Lockdown bieten zu können – für die Bürger, aber auch Behörden und Institutionen. „Uns ist es wichtig, dass jetzt nicht noch mehr Verwirrung in der Bevölkerung durch neue Apps entsteht, sondern man sich auf eine gemeinsame App einigt“, sagt Teicke.

Und Verwirrung gibt es schon genug: Denn zahlreiche Corona-Apps konkurrieren bereits auf dem Markt – angefangen bei der Datenspende-App des Robert-Koch-Instituts in Deutschland über „Trace Together“ in Singapur, „TraceCovid“ in Abu Dhabi, „Private Kit“ von der renommierten US-Universität MIT und „How we feel“ einer gleichnamigen NGO, die von Pinterest-CEO Ben Silbermann unterstützt wird ­– und das noch bevor Corona-Schnittstellen von Apple und Google verfügbar waren.

Hinzu kommt, dass ein weiteres europäisches Konsortium an einer Corona-App arbeitet: DP-3T, kurz für Decentralized Privacy-Preserving Proximity Tracing. Die Informationen über Kontakte werden hier dezentral gespeichert ­– also nur auf dem Smartphone selbst. Sie alarmieren sich gegenseitig und greifen im Alarmfall nicht wie bei Pepp-PT auf den Server eines Treuhänders zurück. Unter Experten ist umstritten, welches die bessere Lösung ist. Vor- und Nachteile hätten beide, heißt es beim Blog Netzpolitik

Update: Streit im App-Projekt

Unterdessen ist es zu einem Grundsatz-Streit zwischen den Konsortien hinter der dezentralen (DP-3T) und der zentralen servergestützten Plattform-Architektur (Pepp-PT) gekommen. Wie das Magazin „Golem“ schreibt, wurden Informationen über DP-3T auf der Website von Pepp-PT gelöscht. Die DP-3T-Architektur ist dem Ansatz sehr ähnlich, den auch Apple und Google verfolgen.

Hans-Christian Boos, Mitinitiator von Pepp-PT und Gründer des Frankfurter KI-Unternehmens Arago, wird von „Golem“ mit den Worten zitiert, es handele sich um einen „Sturm im Wasserglas“. Das dürfte stark untertrieben sein. Pepp-PT fing sich auf Twitter einen Shitstorm ein. Dem Ansatz der Initiative wird fehlende Transparenz vorgeworfen. Unterdessen hat sich Marcel Salathé, einer der Initiatoren, zurückgezogen. Der Professor der Universität Lausanne hat sich dem konkurrierenden DP-3T-Lager angeschlossen, wie er auf Twitter schreibt.

Das Konsortium Pepp-PT, dem die für Mitte April avisierte Finalisierung seiner Software bislang offenbar nicht gelungen ist, reagierte bis zum Erscheinen dieses Updates nicht auf Anfragen von Gründerszene. (Freitag, 17. April 2020, 13:40 Uhr, stü)

 

Europa muss nach der Fackel greifen

Teickes Initiative arbeitet eng mit dem Forscher-Konsortium Pepp-PT zusammen. Während Pepp-PT am Server-Backend arbeitet, entwickelt der Datenmanagement-Spezialist Via (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Mobilitätsdienstleister Via Van) das Frontend, also die App. Das in Berlin und Liechtenstein angesiedelte Unternehmen von Sascha Gartenbach gehört mit zu den Initiatoren von „Gesund zusammen“. 

„Wir glauben, dass digitale Ansätze eine wichtige Rolle spielen, um die gesamte Gesundheitsvorsorge zu optimieren und die Infektionskette zu unterbrechen”, erklärt Sascha Gartenbach in einer Mitteilung. Das Ziel ist eine nationale Tracing-App mit einer datenschutzkonformen Lösung. „Europa muss die Fackel ergreifen und einen neuen Weg zu einem neuen Zuhause finden, oder es riskiert, sich eine Fackel von Apple und Google leihen zu müssen“, heißt es voller Pathos am Ende des Memorandums.

Jürgen Stüber schreibt bei Gründerszene über die digitale Gesundheitswirtschaft. Jeden Freitag lest ihr hier die Kolumne Healthy Business, die einen Blick auf die Gesundheitsbranche wirft. Die Kolumne der vorigen Woche findet ihr hier:

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Bild: Getty Images