Ein Testgefäß für das Corona-Virus Sars-Cov-2 und im Hintergrund ein Lungen-CT:
Ein Testgefäß für das Corona-Virus Sars-Cov-2 und im Hintergrund ein Lungen-CT: Große Hoffnungen bestehen, dass Künstliche Intelligenz beim Kampf gegen die Pandemie hilft.

Ein Diagnose-Tool für die Lungenkrankheit Covid-19 vom chinesischen Onlinehändler Alibaba, eine Screening-Website von Googles Health-Tochter Verily: Zahlreiche Unternehmen engagieren sich mit Künstlicher Intelligenz im Kampf gegen die Pandemie. Auch die EU hat eine Initiative gestartet und setzt hohe Erwartungen in KI-Startups. Doch welchen Beitrag kann diese Technologie bei der Diagnose der neuartigen Lungenkrankheit wirklich leisten, mit der sich weltweit fast eine Million Menschen infiziert haben und die bereits 50.000 Menschenleben forderte?

Moritz Brehmer, Chief Medical Officer, Merantix Healthcare
Moritz Brehmer ist Facharzt für Radiologie und Chief Medical Officer beim KI-Spezialisten Merantix.

Fragen an den KI-Experten

Das fragte ich den Experten Moritz Brehmer (Foto). Er ist Facharzt für Radiologie und Chief Medical Oficer beim Berliner KI-Spezialisten Merantix. Das Hightech-Startup hat die KI-Software Vara zur Diagnose von Brustkrebs entwickelt. Die CE-zertifizierte Software Vara nutzt maschinelles Lernen, um Mammografie-Röntgenbilder zu analysieren. Sie filtert mit hoher Genauigkeit negative Diagnosen aus, so dass sich der Röntgen-Arzt auf kritische Befunde konzentrieren kann. Wäre diese Technologie auch eine Methode, um Covid-19 zu diagnostizieren?

Brehmer dämpft allzu hohe Erwartungen in die KI-basierte Diagnose des Coronavirus. „Wir finden das bei Merantix Healthcare aus Firmenperspektive höchst spannend. In den nächsten Wochen und Monaten werden wir da aber keinen eklatanten Beitrag leisten können. Das wäre nicht seriös.“

Besser direkt auf Covid-19 testen

„Die primäre Diagnose für Covid-19 ist der PCR-Test“, stellt Brehmer klar. Bei diesem Test wird mit einem Wattestäbchen ein Abstrich aus dem Rachen entnommen und die Probe auf die Erbsubstanz des Virus untersucht. Eine gleich gute Alternative dazu gibt es nicht. Auch die Zeichen, die Experten in einem Röntgenbild (CT) erkennen, können diese Information nicht liefern. „Die Zeichen eines CT sind nicht spezifisch für Covid-19, weil jede Virus-Pneumonie diese Zeichen machen kann. Die Differenzierung einer Virus- und einer Covid-19-Pneumonie (Lungenentzündung) ist deshalb nicht sicher möglich.“ Gleichwohl räumt er ein: Künstliche Intelligenz könne nach neuesten Studiendaten bei der Triagierung von Patienten helfen, also bei der Prognose eines zu erwartenden Krankheitsgrades.

Perspektivisch könnte Künstliche Intelligenz jedoch einen Beitrag leisten, sagt Brehmer. Sie könne, wie die Software Vara zeigt, eine menschliche Performance erreichen. „In der Zukunft könnten die Möglichkeiten von KI so gut werden, dass sie Zeichen erkennt, die der Radiologe nicht sieht. „Aber das Heilsversprechen, dass dadurch die Diagnose maßgeblich verändert wird, wird nach heutigem Stand nicht erfüllt.“

Wenn man nichts mehr riecht

Möglicherweise sind es aber nicht die Röntgenbilder, die nach einer Auswertung mit Künstlicher Intelligenz Hinweise auf die Krankheit liefern. Manche Forscher untersuchen den Klang des Hustens und wollen daraus Krankheitsursachen ableiten. Andere gehen dem Verlust des Geruchssinns auf die Spur. „Wenn sich Laborparameter oder klinische Zeichen wie der Verlust des Geruchssinns mit größeren Zahlen in Studien erhärten lassen, kann man grundsätzlich eine aussagekräftige Diagnose stellen. Aber abschließend muss man das Virus in der PCR nachweisen.“

Gegen die KI-gestützte Diagnose von Covid-19 mit Röntgenbildern spricht nach Worten des Arztes auch der Strahlenschutz. Selbst beim Low-Dose-CT, das bei Lungenaufnahmen eingesetzt wird, werden Patienten einer hohen Strahlenbelastung ausgesetzt. „Bei einem milden Verlauf von Covid-19 ist eine CT damit gar nicht indiziert. Das muss man aus Strahlenhygienegründen ablehnen. Es ist nicht nur medizinisch zu unspezifisch, es ist auch eine Körperverletzung, wenn unsinnigerweise ionisierende Strahlung eingesetzt wird.“

Datenvorteil in China

In China, wo eine große Studie eine Covid-19-Diagnose per CT-Aufnahme nahelegt, ist das anders. Dort ist es einfacher, CT einzusetzen und es gibt dort eine hohe Zahl an Geräten. „China hat, was Datenbanken angeht, deshalb einen Vorsprung“, so Brehmer.

Dem KI-Hype der letzten Jahre steht der Radiologe skeptisch gegenüber. „Wenn Alibaba sagt, es könne Covid-19 diagnostizieren, ist das eine schöne Headline. Aber wenn man das seriös medizinisch betrachtet, ist das eigentlich ein Werbegag“, vermutet der Wissenschaftler.

Jürgen Stüber schreibt bei Gründerszene über die digitale Gesundheitswirtschaft. Jeden Freitag lest ihr hier die Kolumne Healthy Business, die einen Blick auf die Gesundheitsbranche wirft. Die Kolumne der vorigen Woche findet ihr hier:

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Bilder: Getty Images / Merantix