Arbeitsplätze für Life-Sciences-Startups: Blick in den Coworking Space des German Accelerator
Arbeitsplätze für Life-Sciences-Startups: Blick in den Coworking Space des German Accelerator.

Der Start in den USA ist für deutsche Startups oft ein Schock. Annika Pierson, COO des German Accelerator Life Sciences (GALS) an der amerikanischen Ostküste, kennt das. „In Deutschland haben Startups viel Sichtbarkeit und auch ihre Zahl ist nicht so groß. Aber wir sitzen hier in einem Gebäude mit 800 Startups. Da tun sich manche Companies etwas schwer und sind froh, wenn wir sie unterstützen. Sie sind ein kleiner Fisch in einem sehr großen Teich.“ 

Pierson ist Chief Operating Officer des staatlichen German Accelerator Life Sciences (GALS) in Cambridge (Massachusetts). „Massachusetts ist der weltweit größte Biotech-Hub“, sagt Annika Pierson und nennt Zahlen: Dort arbeiten mehr als 675 Biotech-Unternehmen, hier sind fünf der sechs wichtigsten Krankenhäuser der National Institutes of Health (NIH) ansässig, der wichtigsten US-Behörde für biomedizinische Forschung. Hier will sie mit dem GALS junge deutsche Firmen unterstützen, die in den USA Fuß fassen wollen. 

Hilfe bei der Internationalisierung

Der GALS geht auf eine Initiative des Bundeswirtschaftsministerium im Jahr 2012 zurück, als der erste German Accelerator im Silicon Valley gegründet wurde. Zwei Jahre später folgte New York, 2015 Cambridge. Das vom Bund geförderte Programm unterscheidet sich von herkömmlichen Acceleratoren: Es gibt kein Geld, Startups müssen im Gegenzug nicht mit Firmenanteilen bezahlen, und es gibt keine feste Kurse, die belegt werden müssen. Zudem sind die Startups, mit denen der GALS arbeitet, nach Angaben von Pierson oft schon viel zu weit, als dass sie noch für ein Accelerator-Programm Equity abgeben würden.

Navigationssystem für Chirurgen

Stattdessen werden jeweils vier bis acht junge Unternehmen individuell betreut und mit Experten sowie Investoren vernetzt. Investments in Höhe von 200 Millionen US-Dollar und drei Exits hätten sich daraus ergeben, so die COO. Unter den Startups, die mit Unterstützung des GALS einen neuen Eigentümer gefunden haben, ist das 2010 gegründete Scopis. Das Spin-off der Charité und der Fraunhofer-Institute hat eine Art Navigationssystem für Chirurgen entwickelt, das mit Augmented Reality arbeitet. Der Operateur hat auf einem Bildschirm gleichzeitig Endoskop und MRT-Bilder im Blick. Die Berliner arbeiteten ein Jahr nach dem Acceleratorprogramm und der Gründung einer US-Niederlassung mit dem Orthopädie-Spezialisten Stryker zusammen – zunächst als Partner. Dann kauften die Amerikaner das Startup für einen nicht genannten Betrag.

Büros am Charles River in Cambridge: Hier ist der Accelerator zu Hause.
Büros am Charles River in Cambridge: Hier ist der Accelerator zu Hause.

Exits gelangen auch dem Immuntherapie-Unternehmen Rigontec (2017 für über 500 Millionen Dollar inklusive Meilenstein-Zahlungen an den US-Pharmariesen MSD). Rigontec hat eine Therapie gefunden, die das körpereigene Immunsystem aktiviert, um Tumorzellen zu eliminieren. Der Wundkleber-Spezialist Adhesys aus Aachen wurde ebenfalls 2017 an das deutsche Pharma-Unternehmen Grünenthal verkauft. Es hat einen biologisch abbaubaren und synthetischen Gewebekleber für die Chirurgie erfunden, der Wunden verschließt und innere Blutungen stoppt. 

Ohne klinische Daten geht es nicht 

Auch bei deutschen Startups sei die Nachricht angekommen, dass ohne klinische Daten im Digital Health Bereich kein Pokal zu gewinnen sei, sagt Pierson. „Vor einigen Jahren gab es eine Welle von Apps in der Art eines digitalen Logbuchs, die messen und dokumentieren ohne einen klaren Nutzen für die User.“

Doch das sei Technologie von gestern. „Heute verlagert sich das in Richtung Diagnose und softwarebasierte Therapien.“ Auf Startups in diesen Bereichen liegt ein Schwerpunkt des GALS. Akili und Pear Therapeutics sind Beispiele aus den USA für diesen Trend. Akili bietet eine digitale Therapie bei Hirnerkrankungen, die die Wahrnehmung und das Denken beieinträchtigen. Pear arbeitet an einer softewarebasierten Therapie beim Missbrauch von Opiaten. 

24 Startups haben den Life-Sciences-Accelerator bislang besucht, darunter Ada Health (Gesundheits-Chat), Mimi Hearing Technologies, das Defizite im Hörvermögen ausgleicht, und die Colaboration-Plattform für Forscher, Labfolder. Momentan sind Hemovent, Entwickler einer tragbaren „künstlichen Lunge“, das Forschungsportal Kairos und der Implantante-Entwickler Syntellix dort zu Gast.

China offen für Digital Health

Doch wie attraktiv ist der US-Markt für Life-Sciences-Startups eigentlich noch? Pierson sieht zunehmend Investments auch aus China in den Bereichen Biotech, Medical Devices und Digital Health: „Vor ein paar Jahren dachte man, dass das ewig dauert, bis China aufholt.“ Doch das sei ein Irrtum gewesen. „In China gibt es eine ganz andere Offenheit für Digital Health und digitale Therapien.“ Das habe zum einen mit der ganz anderen Vorstellung von Datenschutz und Privatsphäre zu tun, zum anderen aber auch mit dem Mangel an herkömmlichen Diagnostika und Therapien. „Da ist die Bereitschaft höher, neue Dinge auszuprobieren“, sagt Pierson. Dennoch: die USA seien weiterhin für Life-Sciences-Startups der wichtigste Markt. 

Stefan Beerhalter, Vizepräsident des GALS in Deutschland, rät deutschen Healthcare- und Biotech-Startups mit internationalen Ambitionen, möglichst früh ihre Fühler in die USA auszustrecken. Denn die Zulassung von Technologien wird in Europa zunehmend schwieriger. „Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA plant einen vereinfachten Zulassungsprozess, was für junge Unternehmen interessant sein könnte“, sagt er. Seine Kollegin ergänzt: „Startups haben in den USA auch ganz andere finanzielle Möglichkeiten, ihre Produkte weiterzuentwickeln.“ Der Weg zu Investoren ist kurz. Google Ventures etwa sitzt direkt gegenüber.

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Bilder: German Accelerator