Bart de Witte forscht über Zukunftsmedizin und ist einer der führenden Köpfe der HippoAI Foundation.
Bart de Witte forscht über Zukunftsmedizin und ist einer der führenden Köpfe der HippoAI Foundation.

Wenn der Zukunfsforscher Bart de Witte Künstliche Intelligenz (KI) erklärt, erzählt er gerne die Geschichte von den schlauen Tauben. Eine Parabel über die eingeschränkte menschliche Wahrnehmung. Sie zeigt auch, welches Potenzial lernende Maschinen und Künstliche Intelligenz in der Medizin erlangen können.

Tauben haben ein ausgeprägtes visuelles Gedächtnis und können Objekte gut unterscheiden. Deshalb haben Forscher den Vögeln Fotos von pathologischen Krebs-Befunden gezeigt. Wenn die Tauben zufällig auf die Darstellung eines Karzinoms pickten, bekamen sie Futter. Wenn sie auf gesundes Gewebe pickten, gab es keine Belohnung.

„Nach einer Woche Training erreichte eine Taube eine Genauigkeit von 86 Prozent“, erzählt de Witte. Ein durchschnittlicher Pathologe, also ein Facharzt, habe bei der Diagnose einer Pathologie eine Treffsicherheit von 85 Prozent. Nutzt man die Schwarmintelligenz der Vögel, wird das Ergebnis signifikanter. „Wenn man 16 Tauben gleichzeitig ein Bild analysieren lässt, kommen sie auf eine Genauigkeit von 99 Prozent“, fasst de Witte die Studie mehrerer US-Forscher aus dem Jahr 2015 zusammen.

„Künstliche Intelligenz bietet vergleichbare Möglichkeiten“, sagt de Witte. Maschinen lassen sich mit großen Datenmengen trainieren. Dabei lernen sie, Muster zu erkennen – ähnlich wie die Tauben in dem Experiment. Sie erreichen eine hohe Genauigkeit in der Bilderkennung und sie werden dabei nicht müde. Die Technologie des Maschinenlernens erlaubt dem Menschen, die Grenzen seiner Wahrnehmung und seiner Ausdauer zu überschreiten.

Diese Startups arbeiten an KI für die Medizin:

Zwei der sieben Startups aus dem Grants4Apps-Accelerator der Bayer AG befassen sich mit Künstlicher Intelligenz. Beim Demo Day, wo Bart de Witte eine Keynote hielt, stellten sie ihre Projekte vor.

Cyclica beschleunigt mit Künstlicher Intelligenz die Entdecklung neuer Wirkstoffe in der Arzneimittelforschung. Das Startup entwickelt Vorhersagemodelle, wie Moleküle reagieren. Dabei geht es darum, die insgesamt bis zu 300 erwünschten und unerwünschten Reaktionen eines Moleküls zu unterscheiden. Das kann die Ki schneller als der Forscher im Labor, wie CEO Naheed Kurji beim Demo Day erklärte. Der Pharmakonzern Bayer gab Ende November eine Kooperation mit dem Startup bekannt.

Agamon baut mit Künstlicher Intelligenz einen Marktplatz für Medizindaten auf. „80 Prozent der Gesundheitsdaten sind unstrukturiert“, sagt CEO Michal Meiri. Sein Unternehmen will diesen ungenutzten Datenschatz, der in den Archiven von Arztpraxen und Krankenhäusern ungenutzt liegt, mit Natural Language Processing und Maschinenlernen endlich nutzen. Die mit diesen Verfahren strukturierten und anonymisierten Berichte könnten in eine Datenbank eingespeist werden, die Ärzten Diagnosen erleichtert, indem sie Muster erkennt und Empfehlung en ausspricht. Auch Krankenversicherungen könnten die Daten nutzen.

Im Bereich der Medizin wird die Bilderkennung mithilfe der Künstlichen Intelligenz bereits erfolgreich eingesetzt. So haben etwa Forscher der Universität Stanford Computer darin trainiert, Hautkrebs zu erkennen. Sie gleichen Fotos von Hautveränderungen mit gespeicherten Mustern ab und treffen dann eine Diagnose. In dem Experiment stimmte der Algorithmus mit der Leistung von Dermatologen überein.

Das Berliner Startup Merantix geht einen ähnlichen Weg bei der Diagnose von Brustkrebs. Merantix fütterte eine Künstliche Intelligenz mit 130 Terabyte Daten von Röntgenaufnahmen, Biopsiebefunden und Arztberichten aus dem Brustkrebs-Screening. „Bei der Bilderkennung sind wir bereits auf dem Level eines normalen Radiologen“, sagt Mitgründer Adrian Locher. Er und sein Team wollen Plattformen für die Kommerzialisierung von Künstlicher Intelligenz aufbauen – Dashboards, die dem Arzt helfen, Diagnosen zu stellen.

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Bart de Witte hat sich mehrere Krankheitsbilder angesehen – wie Diabetes und Lungenkrankheiten. Überall das gleiche Bild: Die maschinelle Diagnose übertrifft die menschliche oder ist mindestens ebenso gut. Seine Prognose: „Bei 80 Prozent der heute klassifizierten Diagnosen wird in zehn Jahren der Mensch von Algorithmen übertroffen werden.“

Trotz dieser erdrückenden Faktenlage ist in der Ethikdebatte zur KI häufig Skepsis zu hören. Es ist von den Gefahren der KI die Rede, davon, dass Roboter Menschen beherrschen. Eigentlich müsste die Frage umgekehrt gestellt werden, sagt der Zukunftsforscher: Ist es ethisch vertretbar, die Algorithmen nicht einzusetzen, wenn sie nachweislich besser sind als der Mensch?

Eine Zukunftsaufgabe lautet für Bart de Witte, die Gesundheitsversorgung mit Hilfe von KI gerechter zu machen. „Der Einsatz von lernenden Algorithmen in der Medizin verspricht vieles, kann aber auch zu einer Privatisierung von medizinischem Wissen führen“, mahnt der Zukunftsforscher.

Denn viele KI-Startups in der Medizin versuchen, Alleinstellungsmerkmale zu generieren, indem sie Daten in großer Zahl sammeln. Dadurch entsteht neues medizinisches Wissen, das kein öffentliches Gut mehr ist, sondern nur privaten Firmen zur Verfügung steht. „Wenn wir hier nicht vorsichtig sind, besteht die Gefahr, dass sich bestehende Ungleichheiten verschärfen. Deshalb brauchen wir einen Open-Source-Ansatz, den wir als Gegengewicht zu aktuellen und durch Wagniskapital finanzierten KI-Lösungen einsetzen”, sagt der Zukunftsforscher.

Hierzu wurde die HippoAI Foundation gegründet, die in Frühling 2019 in die Öffentlichkeit gehen wird. Sie will die Entwicklung der medizinischen KI beschleunigen und sie in ein öffentliches Gut verwandeln, damit sie dem Gemeinwohl dient.

Wie Bart de Witte sagt, haben einige Institutionen wie die Medizinische Universität und das Allgemeine Krankenhaus Wien, das Inselspital Bern (Schweiz), die Unikliniken Essen, Schleswig-Holstein und Mainz sowie das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) Ihre Kooperationsbereitschaft zugesagt. In Anlehnung an den Eid des Hippokrates könnte damit das Wissen der ärztlichen Kunst digital von einer Generation zur anderen weitergegeben werden.

Bild: Privat