Florian Weiß ist CEO der Arzt-Patienten-Plattform Jameda. Sie boietet Videosprechstunde an.
Florian Weiß ist CEO der Arzt-Patienten-Plattform Jameda.

Florian Weiß vergleicht die Situation der Telemedizin gerne mit jener des E-Commerce vor zehn Jahren. Man habe etwas online gekauft, erzählte man damals noch mit stolzer Betonung. „Heute hebt das kein Mensch mehr hervor“, sagt der CEO des Arzt-Patienten-Portals Jameda. Das werde auch im Gesundheitsbereich schon bald genauso sein.

Die Videosprechstunde erlebt in diesen Tagen einen rasanten Ansturm. Von Kry, einer schwedischen Plattform, die inzwischen auch auf dem deutschen Gesundheitsmarkt aktiv ist und Patienten einen Arzt zuteilt, war Anfang dieser Woche zu hören, die Zahl der Videosprechstunden habe sich verdoppelt, die der Videosprechstunden rund um virale Symptome sei sogar noch stärker gewachsen.

Ein ähnlicher Trend bei Jameda. Das Unternehmen stattet Ärzte mit Software für das Terminmanagement und für Videosprechstunden aus, Letztere wegen der Pandemie sechs Monate lang kostenfrei für Allgemeinmediziner. Die Zahl der Ärzte und Psychotherapeuten, die Videosprechstunde anbieten, hat sich bei Jameda seit dem Ausbruch der Corona-Krise vervierfacht. Die Anzahl der Videosprechstunden hat sich im Monatsvergleich um den Faktor Sieben erhöht.

Videosprechstunde passt in Workflow

„Die Corona-Krise hat die Entwicklung beschleunigt“, sagt Florian Weiß. „Viele Menschen kommen erzwungenermaßen mit Digitalisierung und Technologien in Berührung und bauen Vorbehalte ab.“ Das gilt insbesondere für Ärzte, die sich jahrelang gegen Digitalangebote wie die Videosprechstunde vehement gewehrt haben. Man müsse das Fremde kennenlernen, bevor man es schätzen könne, sagt Weiß. „Ärzte sehen, dass es ganz normal ist, mit einem Patienten über das Internet zu sprechen, dass es sicher ist und in den Workflow passt.“

Es treten auch immer neue Player auf den Markt:

  •  Samedi bietet seine Software für Videosprechstunde Ärzten, Praxen und Kliniken bis Mitte des Jahres kostenfrei an. Sie wird nach Unternehmensangaben unter anderem von Vivantes-Kliniken genutzt.
  • Die von der Berliner Universitätsmedizin Charité in Kooperation mit der gemeinnützigen Potsdamer Organisation Data4Life (Hasso Plattner Foundation) entwickelte CovidApp erlaubt es, einen digitalen Fragebogen mit Anamnese-Daten zu einer möglichen Corona-Infektion direkt über die Terminbuchung zur Charité zu senden, damit dort eine erste Einschätzung zu Corona gegeben werden.
  • Die virtuelle Herzklinik Iatros aus München hat kürzlich eine Seed-Finanzierung in Höhe von zwei Millionen Euro erhalten. Das Startup hat eine Telemedizinlösung entwickelt, um Kardiologiepatienten online behandeln zu können.
  • Versicherte der AOK und der Techniker Krankenkasse können nach einer Nierentransplantation in der Berliner Charité telemedizinisch mitbetreut werden. Das Programm soll Komplikationen vorbeugen, Krankenhausaufenthalte verringern sowie Organabstoßungen und eine erneute Dialyse vermeiden.
  • Mit KinderarztNow.de startet in diesen Tagen die erste telemedizinische Sprechstunde in Deutschland, die sich speziell an Eltern kranker Kinder wendet. Der Berliner Kinderarzt Jan Falkenberg möchte mit seiner Plattform so nah wie möglich an den Bedürfnissen von Eltern sein: „Nicht immer können, wollen und müssen Eltern mit ihren Kindern in die ohnehin überlasteten Praxen und Notaufnahmen“, erklärt der Arzt in einer Mitteilung.

Stresstest für die Agilität des Unternehmens

Die aktuelle Krise hat für den Jameda-Chef einen zweiten positiven Effekt: „Sie ist auch ein Stresstest für die Agilität des Unternehmens“, sagt der Manager. „Wir mussten die Prioritäten neu setzen, weil wir gesehen haben, dass das Thema Videosprechstunde so viel Aufmerksamkeit bekommt.“ Sein Fazit: „Wenn man von außen so richtig durchgeschüttelt wird, funktionieren viele Dinge schneller. Das macht einen mutiger und dynamischer in der Geschwindigkeit der Veränderung.“

Insgesamt glaubt Weiß, dass die Krise dem Gesundheitswesen helfen kann, noch agiler zu werden. „Sie wird für einen Zeitsprung sorgen. Entwicklungen, die zwei oder drei Jahre gedauert hätten, dauern jetzt vielleicht nur einige Monate.“

Bleibt eine Frage: Wie nachhaltig ist diese Entwicklung? Werden die durch die äußeren Umstände erzwungenen Lernerfolge aus der Krisenzeit ausreichen, um das Verhalten von Ärzten und Patienten dauerhaft zu ändern? Es könnte auch sein, dass alle wieder dem gewohnten Trott verfallen. Das wäre dann eine vertane Chance.

Jürgen Stüber schreibt bei Gründerszene über die digitale Gesundheitswirtschaft. Jeden Freitag lest ihr hier die Kolumne Healthy Business, die einen Blick auf die Gesundheitsbranche wirft. Die Kolumne der vorigen Woche findet ihr hier:

Lest auch

Bild: Jameda