Depression soll in Zukunft auch durch digitale Anwendungen erkannt werden.

Die App auf Rezept wird kommen. So viel ist sicher. Das Digitale Versorgungsgesetz soll im Januar 2020 in Kraft treten. Doch welche App wird es schaffen, die vom Gesetzgeber recht hoch gehängten Hürden zu meistern und in die „Regelversorgung“, also in die Kostenerstattung, zu gelangen? Das ist eine der Kernfragen, die sich zur Zeit viele Health-Startups stellen. 

Dabei geht es vor allem um die Evidenz eines Behandlungserfolgs, also des Wirkungsnachweises. Das gilt als die größte Herausforderung im Digital-Health-Bereich. Denn anders als im umstrittenen Fall der Erstattung homöopathischer Leistungen werden die Krankenkassen nur die digitalen Anwendungen bezahlen, die auch wirklich wirken. Die Höhe der Erstattung dürfte in einem hohen Maße vom Evidenzniveau abhängen. Der Nachweis eines Nutzens würde damit zum zentralen Hebel für den Durchbruch der digitalen Gesundheitsanwendungen.

Neue Verfahren für Digital Drugs

Für diesen Beweis der Evidenz gibt es in der analogen Medizin erprobte Verfahren. Klinische Studien klären diese Frage auf der Basis statistischer Regeln. Doch in der digitalen Gesundheitswirtschaft ist das anders als bei einem Medikament, für das eine dosierte Wirkstoffmenge definiert ist. Denn eine „Digital Drug“, wie solche Anwendungen auch genannt werden, unterliegt einem ständigen Wandel. Das Update ist Teil des Systems, nicht seine Ausnahme.

Herkömmliche Verfahren eignen sich deshalb nur sehr begrenzt, um die Evidenz einer App zu beweisen. Allein die zeitliche Begrenztheit einer Studie schöpft die Möglichkeiten einer digitalen Anwendung nicht aus. Denn Daten aus Patientenfeedbacks oder aus Wearables (also am Körper tragbaren Sensoren) erlauben es, Prognosen oder Diagnosen zu stellen. Digitale Biomarker heißen diese Informationen. 

Thryve: Diagnosen aus dem Wearable

„Aus Wearable-Daten lassen sich Diagnosen ableiten“, sagt Paul Burggraf, Mitgründer des Health-Startups Thryve, das selbst Gesundheitsdaten auswertet. Ein gutes Beispiel dafür ist die Diagnose von Depressionen, die 15 Prozent aller Krankschreibungstage ausmachen. Wissenschaftler haben in einer Studie in den USA herausgefunden, dass digitale Biomarker aus Smartphones oder Wearbles dieses Krankheitsbild ebenso gut vermessen können wie klinische Fragebögen. Dazu haben sie acht Wochen lang das Mobilitätsverhalten der Studenten untersucht und es mit standardisierten Befragungsergebnissen verglichen. Vereinfacht gesagt: Wer selten das Haus verlässt, ist wahrscheinlich eher depressiv als jemand, der ständig unterwegs ist. Die Forscher sagten mit einer Genauigkeit von 69,1 Prozent vorher, ob ein Student depressiv ist oder nicht.

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Digitale Biomarker eignen sich auch, andere Krankheiten wie sogar Krebs einzuschätzen und Behandlungserfolge zu messen. Allerdings steht diese Forschung erst am Anfang. „Es gibt das Potenzial, Biomarker auf Endgeräten zu messen“, sagte Paul Burggraf. „Aber wir müssen die Endgeräte validieren.“ Dann könne ein Krankheitsverlauf viel präziser beschrieben werden als mit herkömmlichen Methoden. Am Ende steht dann ein aus einer Vielzahl von Datenpunkten generiertes holistisches Gesundheitsprofil. 

Was berichtet Gründerszene sonst über Digital Health?

  • Das Zahnschienen-Startup Sunshine Smile hat einen neuen Namen (Plusdental) und ein neues Konzept. Das Startup schickt seine Kunden für den Zahnabdruck nun zu Ärzten. Früher machten die Kunden das selbst. Wir haben mit Gründer Peter Baumgart über die Frage gesprochen, was es mit diesem Pivot auf sich hat. Hier geht es zum Interview.
  • Zum ersten Mal investieren Apotheker in ein Health-Startup. Doctorbox will das Gesundheitswesen digitalisieren. Die iNvestition hat viel mit dem elektronischen Rezept zu tun, das Patienten im nächsten Jahr nutzen können. Hier geht es zur Nachricht

Was war sonst noch interessant?

  • Die Strategieberatung CB Insights hat sich die global 150 vielversprechendsten Health-Startups angesehen. Dabei spielte die Zahl der Patente, Marktpotenziale, Investments und andere Faktoren eine Rolle. Nach deutschen Unternehmen muss man lange suchen. Doch einige Leuchttürme gibt es: die Fitness-App Kaia Health (die dort allerdings als US-Firma geführt wird), der Chatbot Ada Health und die Darm-App Cara Care.

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Foto: Gettyimages / Witthaya Prasongsin