Eine App, die Corona am Husten erkennt? Mit KI ist das möglich.
Eine App, die Corona am Husten erkennt? Mit KI ist das möglich.

Das Thema Künstliche Intelligenz ist im Bundestag angekommen. Das dokumentiert der knapp 800 Seiten starke Abschlussbericht der Enquete-Kommission (hier das PDF), der nach zwei Jahren Arbeit am Donnerstag im Parlament debattiert wurde.

Risiken stehen im Mittelpunkt

Zuerst die gute Nachricht: Im Bundestag gibt es inzwischen 18 Abgeordnete, die sich im Dialog mit ebenso vielen Experten dem Thema Künstliche Intelligenz intensiv genähert haben und diese Expertise in künftige Gesetzgebungsverfahren einfließen lassen können. Und nun die schlechte: Der Bericht nennt zwar zahlreiche konkrete Anwendungen von Künstlicher Intelligenz (KI), bleibt an vielen Stellen aber vage und thematisiert die Risiken fast doppelt so häufig wie die Chancen. Eine Stichwortsuche im Text zeigte 488 vs. 262 Treffer.

Künstliche Intelligenz bedeutet, dass Computer durch wiederkehrendes Training lernen, Muster zu erkennen und daraus Entscheidungen finden, um Probleme zu lösen. Das können sie immer besser, wie zahlreiche Beispiele aus dem Gesundheitssystem zeigen: etwa die App Ada Health beim Stellen der richtigen Fragen im Zuge einer medizinischen Anamnese, bei der Erkennung von Hautkrebs, oder bei der Diagnose von Tumoren auf Röntgenbildern (Vara).

Covid-19-Diagnose am Smartphone

Ganz aktuell ist ein weiteres Beispiel: Forscher des Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben eine Künstliche Intelligenz entwickelt, die eine Covid-19-Infektion am Klang des Hustens erkennt. Dabei konnte das Programm mit einer Wahrscheinlichkeit von 98,5 Prozent die Kranken und mit 94,2 Prozent die Gesunden fehlerfrei identifizieren, heißt es in der Zusammenfassung der Studie. Bei asymptomatischen Probanden wird eine Sensitivität von 100 Prozent mit einer Spezifität von 83,2 Prozent erreicht. Das heißt: Es wurden alle Kranken und mehr als vier Fünftel der Gesunden erkannt.

Einem Bericht zufolge arbeiten die Forscher nun an einer von der US-Gesundheitsaufsicht FDA zertifizierten Smartphone-App. Nutzer könnten dann einfach in ihr Smarthone husten und hätten sofort ein zuverlässiges Testergebnis zur Hand, was die Pandemiebekämpfung auf eine neue Stude heben könnte. Die Forscher am Audio-Lab des MIT waren ursprünglich der Frage nachgegangen, ob die Sprache Biomarker enthält, die eine Disposition zeigen, an Alzheimer zu erkranken.

Was Abgeordnete sagen

Abgeordnete bewerteten den Enquete-Bericht unterschiedlich. Mario Brandenburg (FDP) sieht künftig mehr „Beinfreiheit für Startups“ und „Forschungsfreiheit durch regulatorische Freiräume“. Anna Christmann (Grüne) will die „Krisen des 21. Jahrhunderts mit Mitteln des 21. Jahrhunderts bekämpfen“ und hob die positiven Effekte der KI besonders im Gesundheitsbereich hervor.

Lest auch

Nadine Schön (CDU/CSU) sprach sich für eine „innovationsoffene Datenpolitik, weg von Datensparsamkeit hin zu Datensorgfalt“ aus. Dagegen argumentierte die SPD. Für sie spielen die Risiken eine herausragende Rolle. Die Regulierung müsse „zuerst das Risiko ihrer Anwendung für Gesellschaft und Individuen berücksichtigen“ und danach erst die Anforderungen an die KI definieren, sagte Elvan Korkmaz-Emre (SPD), die „mit Verwunderung“ das Abrücken der CDU vom Grundsatz der Datensparsamkeit zur Kenntnis nahm.

Standort Europa stärken

Ein Tenor des Berichts ist eine Stärkung der Künstlichen Intelligenz aus Europa, die Unabhängigkeit von den digitalen Supermächten USA und China gewähren soll. Dazu gehören selbständige Dateninfrastrukturen (wie die Gaia-X-Initiative und die Schaffung eines europäischen Gesundheitsdatenraums) ebenso wie der Schutz personenbezogener Daten auf der Basis der europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).

Ein kritisches Echo findet der Abschlussbericht bei den Verbänden. Dem Bundesverband Künstliche Intelligenz (BVKI) geht das Ergebnis der Enquete-Kommission nicht weit genug. Für konkrete Maßnahmen habe es leider nicht immer gereicht, bemängelt BVKI-Vorstand Tina Klüwer. Sie sagt: „Wir sind in Deutschland wirtschaftlich leider nicht in der Spitzengruppe der KI-Länder, das muss sich aber schnell ändern, damit der Abstand zu den USA und China nicht zu groß und uneinholbar wird.“

Prognose: Wachstum durch KI

Eco, ein Verband der Internetwirtschaft, forderte die Politik auf, stärker die Chancen der KI als deren Risiken zu thematisieren. „Dienste und Anwendungen auf Basis Künstlicher Intelligenz bergen große Potenziale für Gemeinwohl und Wirtschaft“, unterstreicht Eco-Vorstandsvorsitzender Oliver Süme. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) könne durch strategischen Einsatz von KI bis zum Jahr 2025 um 13 Prozent steigen, zitiert Süme eine Studie seines Verbandes.

Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) erkennt in dem Bericht dagegen eine Anerkennung der Chancen von KI. Allerdings betrachtet der Verband die angestrebte spezielle Regulierung der KI kritisch. „Gesetze sollten immer technologieneutral sein und keine Innovation vorab unter Generalverdacht stellen“, erklärt BVDW-Präsident Matthias Wahl.

Die Arbeit kann beginnen

Die gute Nachricht nach der Präsentation des Enquete-Berichts formuliert der TÜV-Verband. Die Abgeordneten hätten in der zweijährigen Beschäftigung mit dem Thema einen Crashkurs absolviert und darin die Voraussetzung erworben, nun „eine kluge und innovationsfreundliche Regulierung auf den Weg zu bringen“, sagt TÜV-Verbandschef  Joachim Bühler in einer Mitteilung. Die Arbeit steht also erst am Anfang.

Jürgen Stüber schreibt bei Gründerszene über die digitale Gesundheitswirtschaft. Jeden Freitag lest ihr hier die Kolumne Healthy Business, die einen Blick auf die Gesundheitsbranche wirft. Die Kolumne der vorigen Woche findet ihr hier:

Lest auch

Bild: Getty Images / Nico De Pasquale Photography