Ein wenig wie Autoschlüssel sehen die schwarzen Evalu-Sensoren an den Seiten meiner Laufschuhe aus

Ich bin gewissermaßen ein blutiger Anfänger. Seit fast zehn Jahren gehe ich laufen, meist an zwei Tagen pro Woche. Ein Laie bin ich trotzdem: Laufliteratur hat mich noch nie so richtig interessiert, ich verzichte auf sonderbare Energy-Shots, und für ausgiebige Dehnübungen fehlt mir schlichtweg die Geduld (nicht gut, ich weiß…).

Auf dem weiten Feld der digitalen Laufhilfen bin ich ebenfalls ein Anfänger. Wenn überhaupt, dann habe ich in den vergangenen Jahren meinen iPod dabei gehabt. Apps wie Runtastic oder Endomondo sind spurlos an mir vorbeigegangen. Trotzdem fand ich die Vision des Münchner Startups Evalu interessant, einen virtuellen Lauftrainer an den Start zu bringen, der seine Empfehlungen an den tatsächlichen Laufstil des Läufers anpasst. Eine dazu notwendige smarte Sohle hatte Evalu-Mitgründer Benedikt Seitz vor zwei Jahren bereits angekündigt. Im vergangenen Sommer war es dann soweit: Evalu startete mit dem Verkauf seiner Hardware. Auch die dazugehörige App ist seitdem verfügbar.

Als die guten Vorsätze grüßen ließen, beschloss ich Ende 2017, die Sohlen auszuprobieren. Mein Ziel: mehr System und Effizienz beim Laufen. Und einen Motivationsschub in den dunklen Wintermonaten. Evalu verspricht, dass sich die Verletzungsgefahr durch das Evalu-Training verringert. Denn viele Läufer seien zu schnell zu intensiv, andere wiederum seien nicht schnell genug unterwegs.

Präzise Schrittangaben

Mit derzeit 249 Euro sind die Sohlen nicht gerade günstig. Dafür ist die dazugehörige Smartphone-App kostenlos, über die ich während des Laufens Anweisungen bekomme. Die Sohlen sind schnell in meine Laufschuhe eingelegt und der daran befestigte Bluetooth-Sensor in die Schnürsenkel gefriemelt. Nachdem ich die App aus dem App Store auf mein iPhone 5 heruntergeladen habe, lege ich los.

Dazu muss ich die Sensoren über einen unsichtbaren Knopf auf ihrer Oberseite einschalten und Bluetooth auf meinem iPhone aktivieren. Die App fordert mich anschließend auf, zuerst den linken und dann den rechten Fuß anzuheben, um anschließend beide Füßen aufzustellen. Dieses Prozedere ist vor jedem Lauf angesagt, um die Sensoren zu „kalibrieren“, sie also auf mein tagesaktuelles Gewicht und die Schuhe einzustellen. Der Vorgang dauert aber jeweils nur ein paar Sekunden.

Der Einstellungslauf

Bevor es richtig losgeht, gebe ich in der App mein Geschlecht, meine Größe und mein Gewicht an, tippe ein, wie häufig ich in der Woche laufen gehen möchte (zwei Mal) und lege mein Trainingsziel fest (Halbmarathon). Zwar ist die Sohle recht dünn und wiegt nur 70 Gramm, im Schuh ist es trotzdem enger als sonst. Daran gewöhne ich mich aber schnell. Der erste Lauf sei ein „Einstellungslauf“, heißt es in der App.

Das bedeutet, dass ich zunächst locker jogge, anschließend einen Kilometer in normalem Tempo und dann einen weiteren Kilometer so schnell laufe, wie ich kann. Basierend auf diesem Testlauf bekomme ich fortan Trainingsempfehlungen. Während des Laufs appelliert eine angenehme Frauenstimme an mein Durchhaltevermögen und gibt mir Tipps: Hände locker lassen, Oberkörper aufrecht halten. So läuft es sich ganz angenehm.

In der App finde ich mich gut zurecht. In Echtzeit bekomme ich dort angezeigt, wie schnell ich laufe, wie viele Schritte und Kilometer ich zurückgelegt habe. Die Zahl meiner Schritte misst der Sensor überraschend genau. Das bin ich von anderen Schrittzähler-Apps oder -Gadgets nicht gewohnt. Die Evalu-Macher führen diese Genauigkeit darauf zurück, dass die Sohle den individuellen Fußabdruck erfasse, anstatt wie bei GPS auf Satelliten zur Positionsbestimmung zu setzen. In der Story kann ich meine vergangenen Läufe sehen und verfolgen, wann ich wie lange wie schnell gelaufen bin.

Nachjustieren geht nicht

Wann immer ich die App öffne, bekomme ich eine neue Trainingseinheit vorgeschlagen. Beim Dauerlauf kann ich vorab eine Zielgeschwindigkeit und Zielzeit angeben. Durch die Kopfhörer bekomme ich ein Tonsignal auf die Ohren, das mir mitteilt, ob ich mich innerhalb des festgelegten Geschwindigkeitsbereichs, darüber oder darunter befinde. Die von Evalu automatisch vorgeschlagene Geschwindigkeit kommt mir beim Laufen mehrfach sehr langsam vor. Ständig wird mir akustisch signalisiert, dass ich zu schnell sei. Das nervt.

Ich bin sicher nicht die schnellste Läuferin, etwas mehr Geschwindigkeit ist aber drin, finde ich. Im Nachhinein lässt sich die Ziel-Pace jedoch nicht mehr anpassen. Evalu-Mitgründer Maximilian Gloël begründet das auf Nachfrage damit, dass der Läufer dazu gebracht werden soll, sein Laufverhalten zu variieren. Man solle eben nicht immer nur kurz und dafür besonders schnell laufen, sondern auch mal langsam, dafür aber länger – um den Fettstoffwechsel anzuregen. Basierend auf dem Einstellungslauf sei die Pace-Empfehlung individuell an den Läufer angepasst.

Schlapper Akku

Auch beim sogenannten Schwellentraining werde ich über Sound-Signale zur richtigen Geschwindigkeit geführt. Hier laufe ich vier Einheiten à fünf Minuten mit einem Tempo von etwas unter zehn Stundenkilometern mit jeweils zweiminütigen Pausen dazwischen. Schon nach kurzer Zeit werde ich angepingt: zu langsam. Immer dann, wenn es bergauf geht. Das Problem: Ich wohne in Wiesbaden. Hier geht es recht häufig hoch und runter. Und es macht einfach keinen Spaß, eine Anhöhe in diesem Tempo hinauf zu sprinten. Andersherum muss ich stark abbremsen, wenn es nach unten geht. Anstiege, also Höhenmeter, berücksichtigt Evalu momentan leider noch nicht, wie das Startup bestätigt. Das Feature werde voraussichtlich im Sommer kommen.

Sohlen am Arbeitsplatz: Die Sensoren werden geladen

Noch haben in den letzten Monaten aber die kalten Temperaturen meinem iPhone übel mitgespielt. Mehrere Male gibt der Akku während des Laufs den Geist auf. Teilweise kurz vor Schluss – dann sind meine bis dahin erlaufenen Kilometer futsch. Ärgerlich. Evalu-App, Bluetooth und Musik fressen aber auch viel Akku. Wenn ich mit 25 Prozent Akku loslaufe, reicht das bei einem 45-minütigen Lauf nicht bis zum Schluss. Mitgründer Gloël erklärt, dass das Thema Zwischenspeichern mit dem nächsten App-Update gelöst werden solle. Im Gegensatz zu den wetterfühligen Smartphones seien die Akkus in den Sensoren robuster. Auch sie muss ich allerdings relativ häufig laden, meist nach vier bis fünf Läufen à 45 Minuten. Dazu muss ich immer die komplette Sohle aus den Schuhen herausnehmen und die Sport-bedufteten Einlagen zum Beispiel neben meinen Laptop auf den Tisch legen. Eher unpraktisch.

Bald mehr Automatisierung

Warum ich lange Dauerläufe machen und das Auslaufen nicht vergessen sollte, erfahre ich in meiner Lauf-History. Tipps wie diese seien an mein Halbmarathon-Trainingsziel angepasst, heißt es von Evalu. Demnächst sollen ganze Trainingspläne inklusive Empfehlungen – etwa für Kraftübungen – automatisiert im System zur Verfügung stehen, so Gloël. Derzeit wird mein Trainingsplan noch von einem menschlichen Trainer erstellt. Ich bekomme ihn monatlich per Mail zugesendet – mit den Auswertungen meiner Läufe und empfohlenen Übungen. Menschliche Ansprechpartner soll es auch in Zukunft weiterhin geben: „Unsere User lieben es, einen Personal Coach am Telefon zu haben, der sie dank Sensoren sehr gut kennt“, meint Gloël. Es gehe darum, Personal Training durch Daten erschwinglicher zu machen, sagt er.

Außerdem arbeite man daran, das Geschäftsmodell umzustellen: vom Verkauf von Hardware bis hin zu Coaching-Dienstleistungen. Dann könnte Evalu seine Sensoren kurzfristig an Kunden verleihen – und ihnen auf Basis der beim Lauf gesammelten Daten beispielsweise einen mehrwöchigen Trainingsplan zusammenstellen. So würde Evalu womöglich auch Menschen erreichen, die vielleicht einmalig auf einen Halbmarathon hin trainieren und sich nicht ewig an ein Hunderte Euro teures Laufprodukt binden wollen. Zu den bisherigen Verkaufszahlen der Sensoren macht Evalu, das 2016 eine HTGF-Finanzierung erhielt, keine Angaben.

Fazit

Die Sensoren schaffen es, mich in den dunklen Wintermonaten zum Laufen zu motivieren. Sogar abends! Er bringt mich außerdem dazu, auch mal andere Laufarten auszuprobieren, nicht immer in meiner angestammten Geschwindigkeit zu joggen. Es macht Spaß, zu sehen, wie mein Lauf-Feed wächst. Nur über die nicht gespeicherten Läufe – es waren einige, ehrlich! – habe ich mich geärgert. Trotzdem: Zum Riesenfan von digitalen Laufhilfen hat mich Evalu vorerst nicht gemacht. Denn ein entscheidender Nachteil ist für mich: Ich muss mein Smartphone dabei haben. Normalerweise genieße ich es, beim Laufen gerade nicht mit Telefon unterwegs und nur für mich zu sein. Klar, ich könnte den Flugmodus einschalten. Der verleitet aber dazu, an einer roten Ampel mal eben schnell WhatsApp zu checken. Abschalten geht so nur bedingt.

Halbmarathon geschafft!

In meinen monatlichen Auswertungen lerne ich viel über meinen Laufstil: Wie stark ich welchen Fuß belaste, wie viele Schritte ich pro Minute gelaufen bin, wie hart oder weich ich auf dem Boden aufkomme. Alles Daten, über die ich mir vorher nie Gedanken gemacht habe. Wer tatsächlich auf ein konkretes Event hinarbeitet, kann die Daten nutzen und darauf aufbauen. Ich habe sie ehrlich gesagt nicht eingehend studiert. Interessant finde ich sie trotzdem. Ob ich tatsächlich schneller geworden bin und jetzt „besser“ laufe, wird sich zwar erst bei meinem zweiten Einstufungslauf in ein paar Wochen zeigen. Vergangenes Wochenende habe ich aber immerhin schon mein Ziel erreicht und die Halbmarathon-Distanz geschafft.

Noch finde ich die Sohlen sehr teuer. Da Evalu aber angibt, am Geschäftsmodell zu schrauben und aus dem Hardware- ein Analyse-Business zu machen, sagt der aktuelle Preis wenig aus. Günstiger als ein persönlicher Lauftrainer ist das System schon jetzt. Mit zusätzlichen Funktionen und gelösten Problemchen in kommenden Updates kann ich mir durchaus vorstellen, häufiger mit Evalu zu laufen. Hin und wieder zumindest. Denn einfach so drauf loslaufen – ohne Smartphone in der Hand – ist manchmal einfach zu schön.

Bilder: Elisabeth Neuhaus/Gründerszene; Erstes Bild im Text: Screenshot Evalu-App