Das Team von Recare. Maximilian Greschke (auf der Getränkekiste rechts) hat das Startup vor drei Jahren gegründet.
Das Team von Recare: Maximilian Greschke (auf der Getränkekiste rechts) hat das Startup vor drei Jahren gegründet. Das Foto wurde vor Ausbruch der Corona-Pandemie aufgenommen.

Wenn ein Krankenhaus ein Bett für einen Entlassungspatienten in einer Reha-Klinik oder einer Pflegeeinrichtung sucht, waren bislang Faxgerät und Telefon die bewährten Hilfsmittel. Dann wird auf den Stationen ein häufig handschriftlicher Pflegeüberweisungsbogen auf Verdacht an eine Reihe von Einrichtungen gesendet und gewartet.

Dabei kann es dazu kommen, dass ein Patient, der eigentlich entlassen werden könnte, länger als erforderlich im Krankenhaus liegt. Das ist nicht erstrebenswert für den Patienten und teuer für die Krankenkassen. Das Berliner Startup Recare hat diesen Missstand identifiziert und eine Technologie entwickelt, die das Problem mit einer Plattform löst – einer Art Marktplatz.

Pate stand dabei die Reisebuchungsplattform Booking.com. So könnte künftig auch die Nachversorgung von Krankenhauspatienten erfolgen, dachte sich Gründer Maximilian Greschke vor drei Jahren. Inzwischen haben er und sein Team 13.000 Nachversorger, also Pflegeheime und Reha-Kliniken, sowie 180 Krankenhäuser auf der Plattform versammelt.

Wenig finanzieller Spielraum

Das Geschäftsmodell des Startups unterscheidet sich jedoch von dem der Hotelplattform an einem entscheidenden Punkt: Compliance-Regelungen der Krankenhäuser verbieten es, den Patientenfluss zu monetarisieren, also Provisionen für die Überweisung eines Patienten in eine Rehabilitationseinrichtung zu erhalten. „Deshalb bieten wir Krankenhäusern unsere Dienstleistung als Software-as-a-Service-Paket (SaaS) an“, sagt Greschke. Sie soll Kliniken dabei helfen, Bürokratie abzubauen, Prozesse zu verschlanken und eine schnellere Versorgung sicherzustellen.

Doch hier stößt das Startup an die Grenzen der hochregulierten deutschen Krankenhausfinanzierung. „Nur zwei Prozent der Krankenhaus-Ausgaben entfallen auf IT und Software“, nennt Greschke einen Durchschnittswert und ergänzt: „In den USA sind es 15 Prozent.“ Der Großteil des IT-Budgets werde in klinische Kernsysteme ­– etwa die Abrechnungssoftware – investiert.

Für prozessoptimierende SaaS-Lösungen ist in dem deutschen System von Fallpauschalen für einzelne Behandlungen wenig Spielraum. Anreize für Innovation und Prozessverbesserung gibt es im Gesundheitswesen bislang nicht. „Krankenhäuser müssen funktionieren, laufen am Limit und können sich nur Investitionen leisten, die in wenigen Monaten Cashflow-positiv werden“, sagt Greschke, der vor der Gründung für den Lieferdienst Delivery Hero gearbeitet hat und anfangs vom digitalen Rückstand des Gesundheitswesen schockiert war.

„Krankenhäuser müssen investitionsfähiger werden“, fordert der Gründer. Startups wie Recare hoffen deshalb auf das im Zuge der Corona-Pandemie beschlossene drei Milliarden Euro schwere Konjunkturpaket des Bundes für Krankenhäuser, mit dem unter anderem die digitale Infrastruktur der Krankenhäuser und ihre IT-Sicherheit verbessert werden sollen. „Der Gesetzgeber muss Krankenhäuser dabei unterstützen, ihre Altsysteme mit modernen digitalen Lösungen kompatibel zu machen“, sagt der Gründer. Denn wenn sie auf diese teuren Schnittstellen verzichten, bleibt ihnen nur der Rückfall auf gewohnte analoge Techniken zum Nachteil aller Beteiligter.

Datensicherheit ist zentrales Element

Bei der Überweisung eines Patienten vom Krankenhaus in eine Reha ist es erforderlich, sensible Daten, Nachrichten und Dokumente zwischen den Einrichtungen auszutauschen. Deshalb hat Datensicherheit einen hohen Stellenwert. „Die Anfrage wird komplett verschlüsselt über die Plattform übermittelt“, versichert Maximilian Greschke. Der genutzte Server stehe in Frankfurt und die Software sei so konfiguriert, dass das Startup keinen Zugang zu den Patientendaten habe.

Auch dies ist ein hochreguliertes Feld. Denn das Startup muss nicht nur die Datenschutzgrundverordnung und Bundesdatenschutzgesetz berücksichtigen, sondern auch 16 Datenschutzgesetze der Bundesländer samt unterschiedlicher Rechtsauffassungen.

Kooperation mit Krankenkassen

Neben dem Software-Geschäft will das Startup, das mit 3,5 Millionen Euro von Business Angels finanziert ist, weniger regulierte Dienstleistungen an die Plattform andocken. Ein Anfang ist mit der Integration des Patiententransports gemacht. Weitere Dienstleistungen könnte das Angebot von Hilfsmitteln aus Sanitätshäusern sowie die Integration von Kostenträgern, also den Krankenkassen, sein.

Erst vor wenigen Tagen hat die TK – mit 10,6 Millionen Versicherten größte deutsche Krankenversicherung – eine Kooperation mit dem Startup bekanntgegeben. Im Rahmen eines Pilotprojekts in Berlin und Brandenburg sollen Reha-Anfragen von Versicherten schneller bearbeitet werden können.

Schlusslicht bei der Digitalisierung

Das Startup Recare trägt dazu bei, die Zettelwirtschaft im deutschen Gesundheitswesen zu beenden und eine transparente Nachversorgung der Patienten in Echtzeit zu ermöglichen. Die Software zeigt beispielhaft, dass digitale Lösungen das Klinikpersonal entlasten und Pflegenden mehr Zeit für ihre Patienten geben können. Die verbesserte Finanzausstattung der Krankenhäuser durch das Konjunkturpaket wird die Digitalisierung des Gesundheitswesens vorantreiben, damit Deutschland im Digital-Health-Index der Bertelsmann-Stiftung demnächst vielleicht nicht mehr auf dem vorletzten Platz (Rang 16 unter 14 EU- und 3 OECD-Staaten) steht.

Jürgen Stüber schreibt bei Gründerszene über die digitale Gesundheitswirtschaft. Jeden Freitag lest ihr hier die Kolumne Healthy Business, die einen Blick auf die Gesundheitsbranche wirft. Die Kolumne der vorigen Woche findet ihr hier:

Lest auch

Bild: Recare