Die Köpfe hinter der Schlaf-App Somnio (v.l.): Alexander Rötger (CMO), Jan Kühni (CTO) und Noah Lorenz (CEO).
Die Köpfe hinter der Schlaf-App Somnio (v.l.): Alexander Rötger (CMO), Jan Kühni (CTO) und Noah Lorenz (CEO).

Am Ende ging alles sehr schnell: Das Leipziger Startup Mementor hat in diesen Tagen eine der ersten amtlichen Zulassungen als „App auf Rezept“ erhalten. Drei Monate hatte sich das zuständige Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Zeit genommen, um die App Somnio des Startups zu prüfen und ihren medizinischen Nutzen anzuerkennen. Damit erhalten Patienten die Webanwendung und App auf Rezept, wenn sie schlecht einschlafen können, zu früh aufwachen und nur oberflächlich schlafen – also an nichtorganischer Insomnie leiden.

Patienten bekommen damit die Chance für eine Therapie, die weitgehend risikofrei ist und keine Nebenwirkungen wie synthetische Medikamente besitzt. Einzig Menschen, die unter Epilepsie oder bipolarer affektiver Störung leiden oder selbstmordgefährdet sind, sollten die App nicht nutzen. „Insomnie lässt sich kurzfristig medikamentös behandeln“, räumt Noah Lorenz, CEO und Mitgründer des Startups, ein. „Als Goldstandard gilt aber die Kognitive Verhaltenstherapie“, sagt der Neuropsychologe. „Nutzer führen ein Schlaftagebuch. Daran schließen sich Trainingsmodule an, in denen die Patienten zum Beispiel Entspannung üben, die richtigen Schlafenszeiten finden und mit kreisenden Gedanken umzugehen lernen.“ Statt selbst ein Tagebuch zu schreiben, können Nutzer auch den Fitness-Tracker Fitbit zur Dokumentation ihres Schlafs nutzen.

Volkskrankheit Insomnie

Schlafstörungen gelten als weit verbreitete Krankheit: Etwa ein Drittel der Befragten gaben in einer Studie des Robert Koch Instituts (RKI) potenziell klinisch relevante Ein- oder Durchschlafstörungen während der letzten vier Wochen vor der Befragung an. Etwa ein Fünftel berichtete zusätzlich über eine schlechte Schlafqualität. Frauen seien doppelt so häufig betroffen gewesen wie Männer.

Nicht nur die betroffenen Menschen leiden körperlich und psychisch unter der Krankheit. Auch die volkswirtschaftlichen Kosten von Schlafstörungen sind hoch. Eine kanadische Studie schätzte die direkten und indirekten Kosten von Insomnie in der Provinz Quebec auf etwa ein Prozent des dortigen Bruttosozialprodukts. Die indirekten Kosten durch Krankheitsfehltage, Leistungsabfall und Produktivitätsverlust seien um das Drei- bis Fünffache höher als die Kosten für die Behandlung und Medikation. Zahlen für Deutschland gebe es nicht, schreiben die RKI-Forscher.

Nach drei Monaten grünes Licht

Die Listung der App im DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfolgte innerhalb von drei Monaten. „Wir haben gute Erfahrungen mit dem Prüfprozess gemacht. Vor dem Antrag müssen Startups strenge Kriterien erfüllen. Der Prüfprozess verlief zügig und kooperativ“, sagt Noah Lorenz rückblickend. „Unser Anspruch war, permanent in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen zu werden.“

Das ist den Gründern gelungen. Sie hatten sich allerdings auch gut vorbereitet. „Den Evidenznachweis unseres Schlaf-Trainings haben wir mit einer klinischen Studie der Universität Zürich erbracht“, sagt Lorenz. Nach der Behandlung hatten 56 Prozent der Patienten einen deutlich besseren Schlaf gegenüber elf Prozent in der Kontrollgruppe.

Investment für Somnio-App

Ein Seed-Investment im hohen sechsstelligen Bereich soll dem Startup nun dabei helfen, die App unter Ärzten und Patienten bekannt zu machen ­– keine leichte Aufgabe angesichts von Skepsis gegenüber dieser digitalen Behandlungsmethode in Teilen der Therapeuten- und Ärzteschaft. Zu den Seed-Investoren gehören Smart Infrastructure Ventures, der nach eigenen Angaben erste private VC-Fonds aus den neuen Bundesländern. Mit dabei sind auch mehrere Business Angel, darunter der ehemalige CFO von Spreadshirt und Gründer von Smow, Michael Petersen. Das Startup Mementor hatte im vergangenen Jahr am Spinlab Accelerator Programm in Leipzig teilgenommen. Einige der Investoren stammen aus diesem Netzwerk.

 „Wir werden in den Vertrieb unserer Anwendung investieren und planen weitere Produkte“, sagt Lorenz. „Dazu arbeiten wir mit der Wissenschaft zusammen und versuchen unter anderem auf Kongressen, Schlafmediziner von unserer Anwendung zu überzeugen.“

„Als Startup müssen wir da anders vorgehen als die Industrie“, sagt der Gründer. Denn ein Startup kann sich keine Werbekampagnen mit Pharmareferenten leisten, die in großer Zahl Ärzte besuchen und zum Verordnen von Arzneien überreden. „Das ist für uns als Startup zu teuer und lohnt sich erst, wenn man eine Palette von Produkten anbietet.“

Für das Startup wird es nun darum gehen, das neue Geschäftsmodell „App auf Rezept“ zu etablieren und mehr Erlöse zu erwirtschaften, als das bislang möglich war. „Vor der Aufnahme ins DiGA-Verzeichnis haben wir gute Erfahrungen mit Selektivverträgen gemacht, die wir mit der Techniker Krankenkasse in Deutschland, zwei der größten Schweizer Krankenversicherungen (CSS und Swica) und dem Versicherungskonzern Generali geschlossen haben“, sagt Lorenz. Kassen sollen künftig 464 Euro brutto für die 90-tägige Digitaltherapie gegen Schlafstörungen erstatten.

Jürgen Stüber schreibt bei Gründerszene über die digitale Gesundheitswirtschaft. Jeden Freitag lest ihr hier die Kolumne Healthy Business, die einen Blick auf die Gesundheitsbranche wirft. Die zuletzt erschienene Kolumne findet ihr hier:

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Bild: Mementor