Schon 2002 startete der digitale Tausendsassa Markus Beckedahl seinen Blog Netzpolitik.org (www.netzpolitik.org), der heute zu den reichweitenstärksten und meistreferenzierten politischen Blogs Deutschlands zählt. Er hilft unter anderem bei der Organisation der Republica-Konferenz, ist Vorsitzender im Digitale Gesellschaft e.V. (www.digitalegesellschaft.de) und Sachverständiger der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Bundestags. Mit Gründerszene spricht er über seine Arbeit als Netzaktivist und die Bedeutung der Politik für deutsche Web-Startups.

Markus Beckedahl

Markus, schon vor zehn Jahren hast du mit Netzpolitik.org angefangen zu bloggen. Mit welchen Erwartungen bist du damals an das Projekt gegangen?

Ich wollte einfach alle Informationen, die ich eh zum Thema Netzpolitik las, an einer Stelle zusammenführen und dieses Wissen mit anderen teilen. Meine Erwartungen waren nicht hoch, aber ich vermisste eine solche Seite und hab sie mir einfach selbst gebaut.

Ein paar Zahlen bitte: Welche Reichweite erzielst du mit deinen Texten?

Das hängt natürlich immer vom Thema ab. Am Tag lesen uns mitunter bis zu 40.000 Besucher, auf Twitter folgen nochmal circa 90.000 Follower (und sicher einige Spam-Bots). Es gibt aber auch Tage, an denen nichts passiert.

Wie haben sich deine Themen über die Jahre verändert?

Anfangs hab ich noch alles selber geschrieben, mittlerweile unterstützen mich einige Freundinnen und Freunde, die mal mehr oder weniger schreiben – je nachdem, wie sie gerade Lust und Zeit haben. Zuerst war Netzpolitik.org eher eine Aggregation vieler Inhalte mit vielen Verweisen – mittlerweile sind es immer mehr eigene journalistische Beiträge. Dies sind nicht nur Textbeiträge, sondern kommen auch als Netzpolitik-Podcast oder NetzpolitikTV. Zudem gibt es natürlich immer Themen, die eine Weile hochrelevant sind und während dieser Zeit unsere Berichterstattung dominieren – Zensursula war so ein Thema oder dieses Jahr das Ende von ACTA.

Neben Netzpolitik.org widmest du dich noch Unmengen anderer Projekte. Wie teilst du dir deine Zeit ein? Welche Ideen blieben bisher auf der Strecke?

Eigentlich könnte man immer viel mehr machen, als die eigene Zeit es zulässt. In meinem Fall verschwimmen Freizeit und Beruf auch etwas, weil ich genaugenommen mein Hobby zum Beruf gemacht habe. Ich habe also mehr Zeit als die klassischen 38 Stunden in der Woche – und nehme sie mir auch für meine Projekte. Dazu kommt: Bei allen Projekten habe ich großartige Mitstreiter, mit denen ich kollaborativ zusammenarbeiten kann – das spart immer eine Menge Aufwand. Trotzdem wird die „Müsste man mal“-Liste immer länger und immer öfters bleiben gute Ideen auf der Strecke – weil Zeit oder Geld fehlt.

Als Vorsitzender des „Digitale Gesellschaft e.V.“ hast du maßgeblich dazu beigetragen, das ACTA-Abkommen zu verhindern. Welche Auswirkungen hätte das Gesetz auf deutsche Internetunternehmer haben können?

ACTA hätte die Rechtsdurchsetzung weiter privatisiert, was zu Internetzensur, 3-Strikes-Regimen und einer Echtzeitüberwachung des Datenverkehrs führen kann. Dabei war ACTA weniger ein Gesetz, sondern eine Leitlinie, die von interessierten Kreisen zur Durchsetzung ihrer Interessen genutzt werden könnte. Wir haben das mit „ACTA ist die Katze im Sack“ beschrieben. Aufgrund zahlreicher schwammiger Formulierungen konnte man nicht sicher sein, dass durch ACTA keine grundrechtsschädigenden Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Es heißt, die Gesetzgebung sei grundsätzlich träger als die Wirtschaft – in der Netzpolitik scheint die Legislative in Deutschand Startups sogar regelrecht Steine in den Weg zu legen. Wie siehst du das? Braucht die Gründerszene mehr Lobbyismus?

Es macht sicher Sinn, wenn die Startup-Szene ihre eigene Interessenvertretung aufbaut, weil man oft andere Interessen als der Bitkom oder die großen Unternehmen hat. Ansonsten können erfolgreiche Gründer und Startups natürlich auch zivilgesellschaftliche Initaitiven und Organisationen durch Spenden unterstützen, damit diese mehr Ressourcen erhalten, um die Offenheit des Netzes zu erhalten – für viele Startups ist genau das, ein offenes Internet, wichtig für das eigene Geschäftsmodell.

Nach ACTA scheint nun auch die Störerhaftung vom Tisch, doch Gefahren wie das CETA-Abkommen warten schon. Welche netzpolitischen Themen sollten Bürger – und besonders Unternehmer – auf dem Schirm haben?

Die Störerhaftung ist leider noch lange nicht vom Tisch und das aktuelle Urteil des Bundesgerichtshofes vom vergangenen Freitag legt nochmal zusätzliches Holz ins Feuer. Wir haben vom Digitale Gesellschaft e.V. ein mögliches Update für das Telemediengesetz vorgelegt. Die Politik müsste nur ganz wenig Text verändern, um die Störerhaftung zu beseitigen und könnte damit die Verbreitung offener WLANs fördern – damit wir auch zukünftig in Cafes arbeiten können oder unterwegs in Funklöchern ins Netz kommen.

Ansonsten ist die Netzneutralität weiterhin in Gefahr. Die Bundesregierung ist zwar der Meinung, dass dies kein Problem sei und der Markt alles richten werde. In Realität wird das Netz jedoch von Oligopolen bestimmt. Das führt dazu, dass Services und Protokolle bei den großen UMTS-Providern diskriminiert werden und sich das auch auf neue Technologien wie LTE ausweitet. Wenn VOIP, IM und P2P technisch und rechtlich untersagt werden ist das kein Internet mehr, was da verkauft wird, sondern eher ein AOL. Wir brauchen Rahmenbedingungen: Als Internet darf nur verkauft werden, wo auch echtes Netz drin ist. Wir brauchen eine gesetzliche Verankerung der Netzneutralität, um ein echtes Netz zu sichern.

Auch mache ich mir Sorgen, dass erste Anbieter wie Kabel Deutschland bestimmte Services benachteiligen. Dafür muss man in Echtzeit in den Datenverkehr hineinschauen – jede Diskriminierung ist schlecht für ein offenes Netz.

Dazu kommen die drohende Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, die drohende Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger und die ungeklärte Frage, wie wir im digitalen Zeitalter mit einem hoffnungslos veralteten Urheberrecht verfahren wollen.

Seit 2010 bist du Mitglied der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Bundestages. Enquete-Kommissionen gelten allgemein als Abstellgleis für unliebsame Themen und auch dieses Gremium kommt höchstens schleppend voran. Frustriert dich deine Arbeit als Netzaktivist mitunter?

Die Enquete-Kommission ist ein guter Weiterbildungskurs für 17 Bundestagsabgeordnete und ihre Mitarbeiter. Die Hoffnung ist, dass diese etwas lernen, die Debatten in ihre Fraktionen und Parteien weitertragen und Netzpolitik damit relevanter und bekannter wird. Die Werbebotschaft, dass dort unabhängig von Partei-Interessen über Netzpolitik diskutiert wird, hat sich in der Realität aber leider nicht bewahrheitet.

Beim Startup-Sundowner im Borchardt treffe ich zufällig Frau Merkel. Welche Forderung gebe ich ihr mit auf den Weg?

Netzpolitik muss endlich ernst genommen und zur Chefsache werden.

Gemeinsam mit Falk Lüke hat Markus Beckedahl mit „Die digitale Gesellschaft“ das Buch zum Blog veröffentlicht.

Bildmaterial: Markus Beckedahl / Newthinking Communication