Axel Springers Nähe zu Startups

Der Fahrstuhl stoppt auf dem Weg nach oben oft. Angekommen in der 18. Etage des Axel-Springer-Hochhauses ist es dann ganz still. Es ist die Vorstandsetage. Und es liegt Ruhe in der Luft – bis sich mit kräftigen Schritten Mathias Döpfner nähert. Von seinem Büro blickt der Springer-Chef über Berlin.

Er wirkt gelassen, und leidenschaftlich, wenn es um seine Vision geht: Axel Springer, den „digitalen Leitwolf“, will er zum führenden Medienhaus machen. Dafür braucht er auch die Nähe zu Startups.

Im Gespräch mit Gründerszene spricht er, darüber wie man über 14.000 Mitarbeiter digitalisiert, warum Axel Springer auf Startup aufmerksam wurde, was hinter der Idee eines Medien-Campus für Berlin steckt und warum es in Berlin bald nicht nur Talente, sondern viel Geld geben wird. Bei aller Nähe – das „Sie“ bleibt.

Guten Tag Herr Döpfner, Sie haben die Startup-Szene für sich entdeckt. Aber was ist eigentlich ihr Lieblingsstartup?

Ich habe keinen Lieblingsmitarbeiter, keine Lieblingszeitung, kein Lieblingsbild und auch kein Lieblingsstartup.

Axel Springer war nach mehreren Übernahmen in den vergangenen Jahren wie Ladenzeile, KaufDa oder Idealo zuletzt auch im Early-Stage-Bereich unter anderem mit Media Entrepreneurs, Plug & Play und Hy! Berlin aktiver. Ist das chaotischer Aktionismus oder passen alle Einzelteile zusammen?

Ein gewisses Maß an kreativem Chaos und Improvisation ist auch für große Unternehmen nützlich, gleichzeitig verfolgen wir mit unseren Aquisitionen eine seit zehn Jahren intakte Strategie. Startups sind ein neuer Akzent in dieser M & A – Strategie. Es sind nennenswerte, aber keine riesigen Investments. Wir haben bisher auf etablierte Geschäftsmodelle und Spätphaseninvestments in Content-Portale, Vermarktungsunternehmen und Rubriken-Portale gesetzt. Wir haben in den letzten sieben Jahren damit das für uns so wichtige Digitalgeschäft aufgebaut. Klar ist aber: Wenn das frühere Randgeschäft von Axel Springer zum neuen Kerngeschäft wird, dann ist es wichtig, dass wir auch digitale Gründerkompetenz lernen und leben. Wir wollen daher nicht mehr ausschließlich auf die Akquisition von Unternehmen in Spätphasen setzen.

Gab es einen Aha-Effekt für Sie, im Startup-Bereich aktiver zu werden?

In den letzten Jahren, bei unseren Spätphaseninvestments war unsere Philosophie diese: Umso weniger die Unternehmen mit uns zu tun haben, desto besser können sie ihre Arbeit erledigen. Über die letzten 18 Monate habe ich Schritt für Schritt die Erkenntnis gewonnen, dass wir das digitale Geschäft in einer ganz anderen Weise zum unternehmenskulturellen Kern von Axel Springer machen müssen. Und das geht nicht durch Distanz, sondern nur durch Nähe.

Was genau bedeutet das für die Umsetzung?

Wir wollen hier in Berlin, direkt neben unserem bestehenden Gebäude ein neues Haus bauen. Einen Medien Campus, der nicht nur durch seine Architektur, sondern auch durch die neue Definition von Büroraum in einer entmaterialisierten digitalen Welt neue Maßstäbe für Zusammenarbeit und Kommunikation setzen soll. In diesem Gebäude sollen vor allem die neuen digitalen Angebote untergebracht werden und sich mit den klassischen Marken aus unserem Hause noch stärker vernetzen.

Wie lange dauert der Bau?

Einige Jahre, aber in der Zwischenzeit bleiben wir nicht stehen. Schon die konzeptionellen Überlegungen sind stimulierend, Ideen können schon jetzt umgesetzt werden. Wir warten nicht mit dem kulturellen Wandel.

Was können Unternehmen von der Startup-Szene lernen?

Es sind viele, scheinbar kleine Dinge und sehr zentrale: Schnelligkeit in der Entscheidung und Umsetzung, direkte Verantwortung, flache Hierarchien und unkomplizierte Kommunikationsformen, größeres Technologie-Know-how, eine offene und moderne Unternehmenskultur.

In den letzten Jahren greifen immer mehr etablierte Unternehmen zu Inkubatoren und Accelerator-Programmen, weil innovativ in großen Strukturen schwieriger zu hebeln ist. Wie will Axel Springer die Digitalisierung von 14.000 Mitarbeitern stemmen?

Wir wollen mit einer Reihe von Maßnahmen Innovationen fördern. Mit Startup-Investments durch unsere M&A-Abteilung, wir wollen mit dem Team von AS Ideas interne Ideen fördern, wir haben das Programm Media Entrepreneurs und unsere Beteiligung an dem Accelerator Plug & Play. Zudem geht es auch um dezentrales Ideenmanagement, das im ganzen Haus angewandt wird. Damit potenziell alle der mehr als 14.000 Mitarbeiter des Unternehmens eine Chance haben, daran Teil zu haben und Ideen einzubringen, haben wir sehr früh gesagt, dass wir das digitale Geschäft nicht als separates Silo aufbauen, sondern als integralen Bestandteil. Das heißt: Jeder Mitarbeiter in diesem Unternehmen ist für die Digitalisierung verantwortlich.

Ist man so nicht wesentlich langsamer?

Man ist vielleicht langsamer, aber langfristig wesentlich erfolgreicher. Was wäre mit einem digitalen Silo passiert? Alle anderen hätten dagegen gekämpft. Wir hätten das Unternehmen gespalten.

Also Müffelmann nicht in den Vorstand?

Das gilt bis in den Vorstand hinein, wir haben keinen Onlinevorstand. Das hätte überhaupt keinen Sinn. Auch im Vorstand sind alle Kollegen für die Digitalisierung zuständig. Das Digitalgeschäft ist das Unternehmen, das ist kein Bereich des Unternehmens.

Im Zuge der Digitalisierung scheint das Silicon Valley für Axel Springer relevanter zu werden. Welche großen Pläne stehen dahinter?

Ich war das erste Mal 1988 für sechs Monate in San Francisco. In den letzten Jahren waren wir immer wieder dort. Aber wir haben jetzt mit mehr Radikalität gesagt: Wenn es stimmt, dass Berlin die Chance hat, zum europäischen Silicon Valley zu werden und wir eine Art Digitalisierungsleitwolf in Berlin sind, dann finden wir es wichtig, dass wir einen Brückenkopf dort drüben haben. Deshalb haben wir den wichtigsten Journalisten, den besten Vermarkter des Hauses und den besten IT-Kopf entsandt. Mancher hat sich darüber gewundert: Was, die könnten etwas Wichtigeres zu tun haben als die Bild-Zeitung? Ja, denn es gibt keine höhere Priorität für uns als die Digitalisierung. Im März sind wir mit 80 unserer Top-Manager in der Economy Class nach San Francisco geflogen und haben in einem 2 Sterne Hotel im Doppelzimmer geschlafen. Das war uns wichtig, denn es geht darum, nicht in das Valley zu kommen mit der Geste des Besserwissers, sondern mit der Geste des Studenten, der etwas zu lernen hat.

Bleibt Axel Springer im Valley aktiv und wie?

Wir machen jetzt eine Dauereinrichtung daraus mit den Visiting Fellowships. Wir werden immer wieder Kolleginnen und Kollegen entsenden, sodass in Zukunft immer zwei bis drei Leute von Axel Springer dort sind. Es soll eine permanente Position geben, die Frühphaseninvestments im Valley sondiert, und wir werden eine permanente Infrastruktur im Valley aufbauen, die vielleicht auch wächst. Insgesamt wird das Silicon Valley für uns also wichtiger. Ich bin selbst sehr Amerika-affin und die USA sind der größte Medienmarkt. Ich würde mir für Axel Springer wünschen, irgendwann einmal auch dort in größerem Umfang aktiv zu werden. Das steht jedoch derzeit nicht im Vordergrund.

Wie wichtig ist denn dann Berlin?

Wenn eine Stadt in Europa die Chance hat zu einer ähnlichen Kreativität wie das Silicon Valley zu finden, dann ist es sicher Berlin. Berlin ist kreativ, disruptiv, progressiv, plural, freiheitlich und zieht Talente an, die hier zu günstigen Bedingungen gut leben können.

Kommt dann auch das Later-Stage-Kapital? Ein Exit?

Ich bin da ganz sicher, das Geld wird dem Geist folgen. Im Moment besteht Berlin nur aus Politikern, Staatsbeamten, ein paar Medienleuten, und allem was im Entertainment singt und springt. Geld gibt’s nicht. Nur Ideen und innovative Leute. Als nächstes kommt das Geld. Es werden sich neue Industrien entwickeln. Es entsteht Wertschöpfung und irgendwann auch Wertabschöpfung.

Es gab auch Gerüchte, dass Sie 50 Millionen bei Project A investieren, was ist daraus geworden?

Das ist noch nicht entschieden.

Wovon hängt das ab? E-Commerce war bisher ja nicht der liebste Investment-Bereich von Axel Springer.

Wir beschäftigen uns ständig mit vielen Optionen, mal sehen, was sich ergibt.

Worin wird Axel Springer künftig investieren?

Wir werden weiterhin in die drei Felder unserer Strategie investieren. Das sind Content-Portale, sie werden durch neue Bezahlmodelle weiter interessanter, Vermarkungsportale wie Zanox oder Digital Window, und zudem Classifieds, vor allem Immobilien und Automärkte.

Was ist mit der Scout24 Gruppe?

Interessiert uns natürlich, würde perfekt zur Strategie passen. Hätten wir gern, brauchen wir aber nicht. Mal sehen, was der Verkaufsprozess bringt.

Derzeit bringt das Digitalgeschäft fast 40 Prozent des Umsatzes ein. Das Geld kommt aber nur zu einem kleinen Teil von den journalistischen Medien. Was glauben Sie, wie wichtig 2020 journalistische Produkte im Verhältnis zu Journalismus-fernen Bereichen bei Axel Springer sein werden?

Ich erwarte einen großen Aufschwung der Content-Modelle. Die wurden in den letzten 15 Jahren vernachlässigt. Im Silicon Valley gab es kaum etwas, das so unsexy wie Content war. Ich sehe eine Neuentdeckung des Inhalts in der digitalen Welt. Gerade wenn so viele Informationen, überall und für jeden zu Verfügung stehen, werden professionelle Auswahl und Bewertung immer wichtiger. Das ist eine Leistung. Diese Leistung hat einen Wert. Gerade im Internet. Da entstehen Business Modelle. Für das Geschäft wird Inhalt wichtiger und der digitale Journalismus wird zu einer neuen Blüte des Journalismus führen. Der Internet-Journalismus wird besser sein, als der Print-Journalismus es je war.

Der Journalismus, den Welt oder Bild online machen, ist aber dem Printjournalismus von früher noch sehr ähnlich. Oder?

Der Großteil des Internetjournalismus nutzt die kreativen Möglichkeiten bisher nicht. Wir stehen hier am Anfang. Die Potenziale sind längst nicht ausgeschöpft.

Funktionieren Bezahlinhalte wirklich? Wieso keine Kooperation mit der Huffington Post?

Wertvolle Inhalte haben ihren Preis und für den zahlen Leser gerne. Die Huffington Post widerspricht unseren Ansichten von den Urheberrechten der Autoren und den Leistungsschutzrechten der Verlage. Deswegen ist die Huffington Post das Anti-Geschäftsmodell für Journalismus. Es gibt aber etliche andere Aggregatoren, die diese Rechte schützen und die finden wir interessant.

Bei der Startup-Konferenz Hy! Berlin sind Sie zu 49 Prozent beteiligt, am 2. Juni werden Sie dort sprechen. Was werden Sie der Gründerszene sagen?

Das überlege ich mir kurz vorher. Ich glaube, wir brauchen eine derartige Vernetzungsplattform, die ganz nah an den Interessen der Gründer ist. Eine Plattform die neue Trends erspürt und diskutiert und international vernetzt. Auch unser Verlag muss so werden, wie die Unternehmen, die die Zukunft gestalten. Wir müssen so werden wie die Digitalunternehmen. Das ist ein riesiger kultureller Lernprozess. Wenn wir das schaffen, können sich beide Bereiche gegenseitig befruchten.

Wie können Gründer in den Kontakt mit Axel Springer kommen?

Media Entrepreneurs, Plug & Play, ein Anruf bei Jens Müffelmann, eine E-Mail an eine Führungskraft des Unternehmens. Ich glaube, es ist wirklich extrem einfach, mit uns in Kontakt zu kommen. Wenn jemand eine überzeugende Idee hat und das Selbstbewusstsein, kann er oder sie hier im Haus mit Sicherheit mit der Idee durchdringen.