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Dr. med. Bastian Willenborg ist Chefarzt der Oberberg Fachklinik Berlin Brandenburg – und dort auf Burnout-Patienten spezialisiert.
Dr. med. Bastian Willenborg ist Chefarzt der Oberberg Fachklinik Berlin Brandenburg – und dort auf Burnout-Patienten spezialisiert.

Teile dieses Artikels erschienen bereits am 30. April 2018. Anlässlich der steigenden Burnout-Gefahr in der Corona-Krise haben wir erneut mit Herrn Willenborg gesprochen. Im Interview auf Seite zwei gibt er Gründern und Startup-Mitarbeitern Tipps, wie sie die Krise ohne Überarbeitung überstehen können.

Der eigene Chef sein, die Leidenschaft zum Beruf machen, eine steile Lernkurve haben: Das ist das, was viele Gründer an der Arbeit am eigenen Startup schätzen. Der Satz „Ich bin zu deprimiert, um überhaupt aus dem Bett zu kommen“ stammt allerdings ebenfalls aus der Feder eines Gründers. Er ist einer von vielen, die auf der Seite Startups Anonymous davon berichten, aufgrund ihres Startup-Jobs psychische Probleme zu haben.

Bastian Willenborg kennt solche Fälle. Er leitet die Oberbergklinik Berlin Brandenburg, in der psychisch kranke Personen behandelt werden – darunter immer wieder Startup-Gründer. Rund 20 junge Unternehmer seien es pro Jahr, berichtet der Arzt, die meisten von ihnen kämen mit Burnouts und damit verbundenen Depressionen oder Suchterkrankungen zu ihm.

Das Startup bestimmt das Leben

Dass es bei Gründern regelmäßig zu psychischen Problemen kommt, liegt Willenborg zufolge daran, dass sie sich zu sehr auf ihr Startup fokussieren. „Für viele ist beruflicher und monetärer Erfolg sicher ein sehr wichtiger Wert, aber zu einem ausgeglichenen Leben gehören auch andere Dinge wie Familie, Freunde, Natur und Kultur“, so der Arzt.

Die Lösung erscheint einfach: Gründer müssen ihre Zeit besser managen. In der Praxis sei das für viele aber nicht leicht, sagt Willenborg. „Viele Menschen wissen ja, dass es nicht gut ist, 18 Stunden am Tag zu arbeiten und dass es auch ihrer Partnerschaft nicht gut tut. Trotzdem haben sie das Gefühl, sie würden etwas falsch machen, wenn sie weniger arbeiten.“ Dazu komme, dass sich Gründer ständig unter Druck setzen würden: Sie glaubten, wenn sie in der Firma sind, würden sie ihrer Familie nicht gerecht und wenn sie bei ihrer Familie sind, würden sie ihrer Firma nicht gerecht. „Das ist eine Lose-Lose-Situation“, sagt Willenborg.

Die Folgen: Erst das Burnout, dann die Drogen

Eine gewisse Zeit könne man durchaus gut zurechtkommen, wenn man nichts anderes als das Startup im Kopf hat. Irgendwann, erklärt Willenborg, komme aber der Punkt, an dem der Körper signalisiert, dass er ausgebrannt ist. „Häufig merken die Betroffenen, dass sie Konzentrationsstörungen haben oder erschöpft sind. Sie bekommen Angst, die Arbeit im Startup nicht mehr schaffen zu können“. Auch Appetitveränderungen oder Schlafstörungen könnten auftreten.

Die meisten wüssten, dass ihre Symptome stressbedingt sind, sagt Willenborg. Statt den Arbeitsalltag zu ändern, würden viele aber versuchen, das Problem anders zu lösen – mit Drogen. „Substanzkonsum ist nicht selten. Manche brauchen Alkohol oder kiffen, um abends runterzukommen. Andere nehmen konzentrationssteigernde Mittel, zum Beispiel Kokain, Amphetamin oder Crystal.“ An einer Psychotherapie führe in diesen Fällen selten ein Weg vorbei. „Wenn Suchterkrankungen da sind, lautet die Empfehlung erst mal, zu entgiften. Als nächstes wird in einer Therapie geschaut, wie der Gründer seinen Alltag so verändern kann, dass er wichtige Dinge wieder in den Alltag integriert“, sagt Willenborg. Betroffenen werde beigebracht, wie sie „das Hier und Jetzt genießen“ können.

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Dass Willenborg nach eigener Aussage derzeit vermehrt Gründer behandelt, führt er unter anderem darauf zurück, dass die Hemmschwelle, zum Psychologen zu gehen, sinkt: Junge Menschen seien gut über gesundheitliche Gefahren informiert und würden sich früh behandeln lassen. „Das ist sehr gut, denn wenn man Warnschüsse lange Zeit nicht beachtet, kann es sein, dass man im Rahmen einer psychischen Erkrankung monatelang ausfällt. Das kann natürlich gerade für ein Startup desolat sein“, so Willenborg.

Burnout-Prophylaxe kann laut Willenborg jeder Gründer betreiben: Sport machen, genug schlafen – und ab und zu feiern gehen. „Wenn man etwas Gutes gemacht hat, sollte man das ordentlich wertschätzen und auch öfter mal mit Freunden und Kollegen feiern!“, so der Arzt. Das tue selbst den erschöpftesten Gründern gut.

Wie Gründerinnen und Gründer die Corona-Krise ohne Burnout überstehen.

Herr Willenborg, laut aktuellen Untersuchungen steigt in der Corona-Krise die Burnout-Gefahr massiv. Was sind die Gründe dafür?

Das liegt vor allem an der Homeoffice-Situation, die sich derzeit glücklicherweise wieder bessert. Während des Lockdowns kam es für viele Angestellte sowie für Gründerinnen und Gründer zu einer deutlichen Arbeitsverdichtung. Vielleicht fiel in der Firma wegen der geringen Auftragslage ein wenig Arbeit weg. Gleichzeitig wurden insbesondere Eltern durch das Homeschooling belastet. Sie hatten mehr Aufgaben und bekamen gleichzeitig weniger Gratifikation – also weniger Wertschätzung für das, was sie tun. Man hat ja von der Schule weder Gehalt noch ein „Danke“ bekommen, sondern eher immer mal wieder Hinweise, was man nicht gut macht. Durch Kurzarbeit fällt dann vielleicht noch Geld weg.

Angenommen, der Lockdown und damit auch Homeoffice, Home-Kindergarten und Homeschooling kommen wieder. Was können Gründer, die gleichzeitig Kinder betreuen müssen, machen, um kein Burnout zu bekommen?

Einer der wichtigsten Punkte ist, sich klarzumachen: Die Aufgaben, die gerade an mich herangetragen werden, sind nicht alle gut zu schaffen. Vielleicht fange ich gerade mit einem Startup an, das eigentlich durch die Decke gehen muss, weil ich vor Corona meine erste Finanzierungsrunde abgeschlossen habe. Und dann werde ich von extern komplett gebremst. Da muss man sich realistisch fragen: Was kann ich mit meinen Ressourcen schaffen, ohne mich komplett aufzugeben? Und auch wenn es schwierig, ist es sehr wichtig, neben den Belastungen – Homeoffice, Homeschooling, dem eigenen Startup – irgendwie Zeiten für sich selbst rauszuschlagen.

 

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Kamen in den vergangenen Monaten mehr Gründerinnen und Gründer mit Burnouts zu Ihnen?

Ein Burnout kennzeichnet sich dadurch, dass die Gefahr von psychischen Erkrankungen steigt. Es äußern sich Schlafstörungen, Gereiztheit, schlechter Schlaf oder mehr Alkoholkonsum. Momentan merke ich durchaus, dass mehr Leute mit solchen Symptomen zu mir kommen. Wenn man dabei nicht frühzeitig ansetzt, können Depressionen oder Suchtkrankheiten entstehen.

Die Burnout-Gefahr scheint mit den Lockerungen der Corona-Beschränkungen nicht vorüber. Sie sagen, dass für Startup-Gründer insbesondere nach der Rückkehr ins Büro die Gefahr eines Burnouts wächst. Wieso?

Ich beobachte, dass sich viele Gründer vornehmen, das, was durch die Corona-Krise an Umsätzen fehlt, ganz schnell wieder reinzubekommen. Dadurch wächst der Stresspegel. Gründer sind ja meist sehr motivierte Personen, die immer alles geben. Und wenn man ohnehin schon alles gibt, ist nach oben hin wenig Luft. Denken solche Gründerinnen und Gründer jetzt, noch mehr drauflegen zu müssen, wird es gefährlich. Mein Tipp: Machen Sie einfach genauso motiviert weiter wie immer. Mehr ist häufig nicht zu schaffen, das würde zu Überforderung führen.

Die übertriebene Arbeitsmotivation überträgt sich gern auch auf das Team, das dann bis nachts im Büro sitzt. Wie bewahre ich als Chefin oder Chef meine Angestellten vor einem Burnout?

Man sollte für Ruhephasen sorgen. Es ist wie beim Sport: Wenn man immer wieder zu viel macht, wird man schlechter. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Leistungsfähigkeit und Produktivität nur bedingt mit der Arbeitszeit korrelieren. Man kann in acht oder neun Stunden mit mehreren Pausen wesentlich effektiver sein als wenn man zwölf Stunden am Stück durcharbeitet. Was ich Startup-Chefs mitgeben kann: Sorgt bewusst für Pausenzeiten. Manche Startups bieten während der Arbeit zum Beispiel Achtsamkeitskurse oder Entspannungsübungen an, das kann helfen.

Angenommen, jemand arbeitet in einem Startup, in dem sich gerade alle vollkommen überarbeiten. Er selbst möchte da aber nicht mitmachen. Was sollte er tun?

Wenn ich merke, ich bin in einer Arbeitssituation, die ich nicht verändern kann und die von meinem Vorgesetzten nicht verändert werden möchte – würde ich mir etwas Neues suchen. Dann lieber nicht lang in einer blöden Situation bleiben, sondern die eigene Situation verändern. Wenn ich aber das Gefühl habe, dass mein Chef eigentlich ein Guter ist, aber gerade schlecht führt, weil er Sorgen hat, sollte man mit ihm sprechen. Man könnte zum Beispiel sagen: „Ich bin wesentlich effektiver, wenn ich mir meine Arbeitszeit selbst einteile.“

Bild: Oberbergkliniken
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