Businessman posturing, making a gesture of a "smoking gun".
Businessman posturing, making a gesture of a "smoking gun". Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch „Betriebswirtschaftsleere: Wem nützt BWL noch?“ von Axel Gloger. Das Werk ist im Verlag Frankfurter Allgemeine Buch erschienen.

Andere, die den Weg der Mehrheit gegangen sind und Betriebswirtschaftslehre bis zum Abschluss studiert haben, bedauern heute still, dass sie kein anderes Fach studiert haben. Das wird selten oder nie ein Thema, was der Schmerzvermeidung dient: Wer sich nicht damit befasst, vermeidet es auch, die Investitionsruine anzusehen, die da im Lebenslauf steht. Dennoch versuche ich hin und wieder, diesem Thema auf die Spur zu kommen. Eine einfache Frage hilft mir dabei, den Wert des Studiums von gestern mit dem Wissen von heute noch einmal einer Beurteilung zu unterziehen.

„Was würden sie studieren, wenn sie es heute noch einmal zu entscheiden hätten?“ Je nach Fachrichtung bekomme ich allerhand zu hören. Auffällig ist: Wer Betriebswirtschaftslehre studiert hat, tendiert in seinem zweiten Leben eher zu einem anderen Fach, oft Psychologie, aber auch Geschichte, Philosophie, Jura oder Kunstgeschichte. Peter May, Spross der Inhaberfamilie der May-Werke, hat Jura studiert. Dieser Weg war die Folge eines Kompromisses. Eigentlich hätte er gerne Germanistik und Theater studiert, seine Wunschrichtungen. Die aber tat der Vater mit „brotlose Kunst“ ab. Man einigte sich auf die Jurisprudenz, der väterliche Segen dazu lautete: „Juristen können alles machen.“

Betriebswirtschaftsleere buchcover
„Betriebswirtschaftsleere“, 200 Seiten, 19,90 Euro

Im zweiten Leben aber würde Peter May anders wählen. Er hätte sich durchgesetzt, wäre genau in die Fächer gegangen, die seiner Leidenschaft und dem inneren Kompass entsprachen. Dazu rät er heute auch Kindern von Unternehmereltern, wenn diese ihn fragen. „Geht den Weg, der in euch ist.“ Das erspart spätes Bedauern, eine Haltung, von der ich oft zu hören bekomme, wenn Mittvierziger darüber sinnieren, welches Fach sie in ihrem zweiten Leben wählen würden. „Ja, Betriebswirtschaftslehre ist eigentlich keine Wissenschaft“, heißt es dann etwa, und: „Dafür wären keine elf Semester Studium nötig gewesen.“

Peter May bestätigt das. „Betriebswirtschaftslehre studieren ist ein Handwerk, aufgeladen mit praxisferner Mathematik“, das ist eine der Antworten, die er zu hören bekommt, wenn er mit Unternehmern über ihren Weg ins Gespräch kommt.

Für einen Jahrzehnte dauernden Berufsweg reicht das nicht mehr. Die Themen, mit denen Gestalter von Unternehmen heute zu tun haben, liegen nicht mehr innerhalb der Betriebswirtschaftslehre, sondern außerhalb. Ihnen kann nur begegnen, wer sich auch Wissen jenseits der BWL angeeignet hat.

Natürlich kümmern sich Unternehmen auch weiter um ihre Wirtschaftlichkeit. Aber dieses Können umfasst nicht mehr das Besondere, es ist Routine. Selbst Kleinunternehmer können heute selbst entscheiden, ob sie die Buchhaltung wie vor 50 Jahren aus einem Karton mit den gesammelten Belegen des laufenden Monats betreiben – oder ob sie sich für kleines Geld eine Software zulegen, die Kostenkontrolle und betriebswirtschaftliche Auswertung auf dem Niveau eines Großkonzerns erlaubt.

Diese Instrumente zu beherrschen, ist im Zeitalter digitaler Dokumentation von Geschäftsvorfällen kein Wettbewerbsvorteil mehr. Bald werden wir hier mit Fortschritten rechnen dürfen, die noch mehr Automatisierung mit sich bringen. „Roboter übernimmt“, dieses Mantra prägt nicht nur die Fabrik, sondern auch die Büroarbeit von morgen. Die Welt wird sich weiter verändern: Gestern sahen wird den Absolventen der Lehrlingsausbildung im Ärmelschoner und laut ratternder Rechenmaschine, heute den Bachelor-Absolventen im Jackett oder Business-Kostüm, morgen den Roboter, der all diese Aufgaben übernimmt.

Ein Frühwarnsignal dafür ist die sprachliche Wahrnehmung: Wo Einsatzgebiete der Betriebswirtschaftler in der Praxis beschrieben werden, fällt oft das Wort „Sachbearbeiter“. Das vermasste Studium habe Sachbearbeiter-Inhalte und qualifiziere für Sachbearbeiter Jobs, so habe ich es mehr als einmal gehört.

„Viele betrachten das Bachelor-Studium mittlerweile als Ersatz für eine klassische Ausbildung (gemeint: eine Lehre, Anm. d.A.)“, sagt Unternehmer Peter Herrmann, der auch Präsident des Bundesverbandes Deutscher Volks- und Betriebswirte ist in einem Interview. Seine Schlussfolgerung: Es gibt eine Herabstufung. „So geht der Eliteanspruch, den eine universitäre Ausbildung haben sollte, verloren.“

Die gleichzeitige Inflation von Absolventenzahlen und der Vormarsch von Technologie in einigen klassischen Einsatzgebieten wird die Profession verändern. BWLer finden weiter ihre Jobs, aber unter veränderten Bedingungen. „Die inhaltlichen Anforderungen sind gerade in großen Konzernen am Anfang viel geringer als das Niveau, das Studenten von der Uni gewohnt sind“, sagt Joachim Sauer, ehemaliger Gründungspräsident des Bundesverbandes der Personalmanager und Geschäftsführer Personal bei Faurecia, einem Automobilzulieferer. „Da kann ich vielleicht vor meinen Freunden prahlen, wenn ich den Namen meines Arbeitgebers nenne – aber in Wirklichkeit sitze ich nur als Lehrling im Backoffice und weiß, dass ich unterfordert bin.“

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Steve Jobs hat es gar nicht so weit kommen lassen. Schon die College-Ausbildung, die seine Eltern für ihn wollten, hätte er wie Eingesperrtsein im Backoffice empfunden. Er wollte in seinem jugendlichen Tatendrang raus in die Welt, etwas bewegen. Diesen Elan hielt er zeitlebens wach.„Stay hungry, stay foolisch“, rief er den Stanford-Studenten in seiner Examensrede zu, bleibt hungrig, bleibt verrückt.

Diese Haltung ist nicht immer der Weg des geringsten Widerstandes, sie erscheint oft als nicht „optimal“ im Sinne der Betriebswirtschaftslehre. Sie ist, wie der Apple-Gründer sagte, manchmal wie bittere Medizin. Schmeckt nicht, aber es ist das beste, wenn man sie trotzdem nimmt.

Bei vielen Wegen wissen wir erst im Nachhinein – wenn wir schon unterwegs sind –, dass sie richtig waren. Stationen dieses Weges verbinden sich erst dann zu einem sinnvollen Ganzen, wenn man hinterher draufschaut. Das gilt für Unternehmen wie auch für Lebensläufe. An den Wendepunkten, die sich auf solchen Wegen auftun, braucht es Mut, Entschlossenheit und die Fähigkeit, unterwegs Veränderungen zu erkennen und die richtigen Fragen zu stellen.

Das ist Realisierung, ein Fach, das in der Betriebswirtschaftslehre unterbetont wird. Die BWL ist die Lehre der stabilen Bedingungen in einer stationären Welt. Sammle die Fakten, sortiere sie, gewichte sie, bewerte sie nach unserer Methodik, erarbeite die Alternativen A, B, C, D. Die BWL hält ihre Anwender in einem abgezirkelten Areal. Wer innerhalb dieser Grenzen bleibt, neigt dazu, die Welt für eine Scheibe zu halten – und merkt zu spät, dass das Wissensgebäude, das diese Erkenntnis hervorgebracht hat, nicht dazu passt, was wir sehen. Wer nur seinen Hometrainer kennt, kann die Tour de France nicht gewinnen.

„Wir sind Wissensriesen und Realisierungszwerge“, mit diesem Bonmot garnierte Lothar Späth, der Politiker und spätere Jenoptic-Vorstandschef fast jede seiner Reden. Er wollte seine Zuhörer damit wachrütteln, dafür sorgen, dass wir vorankommen und nicht noch mehr Gründe dafür in Erfahrung bringen, warum diese Sache gar nicht funktionieren kann. An einem meiner Gesprächspartner meiner letzten Chinareise hätte Späth sicher seine Freude gehabt. „Wir haben keine Zeit“, sagte dieser Unternehmer, „Analysen und Forecasts zu machen. Die sind noch nicht einmal halbfertig, da ist die Welt schon wieder eine ganz andere geworden.“

Davon könnten wir in unseren BWL-isierten Unternehmen gelegentlich etwas lernen. „Methoden haben wir genug. Woran es mangelt, ist der Mut“, sagte mir Günter F. Gross, Deutschlands brillantester Realisierungsermutiger.

Bild: Getty Images / Guido Mieth