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Beim Münchner HR-Softwareanbieter Personio gelten künftig strenge Abstandsregeln. An einem Wochentag wird das Büro aus Reinigungsgründen sogar ganz geschlossen.
Der Münchner HR-Softwareanbieter Personio hat eine ganze Roadmap für den Weg aus der Corona-Krise entwickelt.

Wer die Räume des Münchner HR-Startups Personio betritt, bekommt neuerdings erst mal Nachhilfe in Völkerverständigung. „Say Hi with…“ steht auf einem blauen Hinweiszettel an der gläsernen Eingangstür. Darauf zu sehen: fünf Piktogramme, die hygienegerechte Grußgesten illustrieren. Etwa die gegenseitige Berührung der Ellbogen („The Elbow”) und das klassische „Peace”-Zeichen. Oder der neumodische „Footshake” – ein Gruß, bei dem zwei Personen mit genügend Abstand die Innenseiten ihrer Füße aneinander schlagen.

Was nach typischer Startup-Attitüde klingt, wird in den Bürofluren vieler Unternehmen bald zum Alltagsbild gehören. Nach monatelangem Lockdown im Zuge der Corona-Pandemie steht für viele Beschäftigte die Rückkehr aus dem Homeoffice an. Von Normalbetrieb kann dabei keine Rede sein: Zwar wurden die Kontaktbeschränkungen nach zuletzt sinkenden Infektionszahlen bundesweit gelockert, doch vielerorts müssen Unternehmen auch weiterhin strenge Sicherheitsmaßnahmen befolgen, um die Ansteckungsgefahr gering zu halten.

Bloß kein Pulk in der Kaffeeküche

Für Firmen wie Personio ist das keine leichte Aufgabe. Das Startup beschäftigt rund 440 Mitarbeiter, davon 350 am Hauptstandort in München. „Wir haben vor Kurzem eine Umfrage durchgeführt, wie viele Kolleginnen und Kollegen wieder ins Büro kommen möchten und die Mehrheit möchte – zumindest an ein paar Tagen die Woche – wieder im Büro arbeiten“, sagt PR-Managerin Kathrin Kirchler zu Gründerszene. Dem Wunsch will das Unternehmen nun nachkommen. Schon von kommender Woche an sollen 140 Mitarbeiter in den Räumen arbeiten.

Damit das reibungslos klappt, hat das Startup aus den Erkenntnissen eines zweiwöchigen Testlaufs zahlreiche Regeln abgeleitet. So werden künftig zwei Gruppen gebildet, die jeweils montags und dienstags oder donnerstags und freitags ins Büro kommen. „Mittwochs wird nicht im Büro gearbeitet, um es gründlich zu reinigen und zu lüften“, erklärt Kirchler.

Nach Wochen im Homeoffice kehren die ersten Teams ins Büro zurück. Einige Mitarbeiter freut das, andere würden lieber weiterhin von Zuhause aus arbeiten. Auf Gründerszene fragen wir uns diese Woche: Wie sinnvoll ist ein Büro überhaupt noch? Ist eine Tätigkeit im Homeoffice nicht oft produktiver? Und: Was können wir von Firmen lernen, deren Teams von Beginn an remote gearbeitet haben?

Neben der obligatorischen Maskenpflicht müssen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch außerhalb ihres Arbeitsplatzes an neue Abläufe gewöhnen. Markierungen auf dem Boden etwa weisen die Gehrichtung aus, mehrere Getränkestationen sollen verhindern, dass ein Pulk in der Kaffeeküche entsteht. Bei Besprechungen müssten sich Kollegen künftig besser absprechen, so Kirchler. „Die Meetingräume sind nicht den ganzen Tag buchbar, um Pausen zwischen Meetings zum Reinigen und Lüften zu gewährleisten.“ 

N26 öffnete Büros schon vor Wochen

Auch die Berliner Smartphone-Bank N26 erprobt seit Kurzem den Neustart nach Corona. Schon im März musste das Fintech, das bis dahin keine ausgeprägte Homeoffice-Kultur gehabt haben soll, rasch umsteuern, nachdem sich ein Mitarbeiter mit dem Coronavirus infiziert hatte. Bis auf den Kundenservice wechselten die meisten der rund 1.300 Mitarbeiter ins Homeoffice.

Drei Monate später zieht Georg Hauer, Deutschlandchef bei N26, eine positive Bilanz: Die technische Umstellung sei problemlos verlaufen und auch die Produktivität der Mitarbeiter bewege sich auf einem „sehr guten Niveau“. „Aber am wichtigsten war“, so Hauer gegenüber Gründerszene, „dass wir es geschafft haben, unsere Unternehmenskultur in die digitale Welt zu übertragen – beispielsweise mit digitalen Coffee Chats oder Game Nights.“

Dennoch will N26 an ausgewählten Standorten schrittweise zum Präsenzbetrieb zurückkehren. Zwar müssen Mitarbeiter etwa in Barcelona und New York vorerst weiter Zuhause bleiben, die Kollegen in Wien und Berlin hingegen dürfen seit Mai wieder das Office aufsuchen – unter Auflagen, versteht sich.

„So darf beispielsweise an unseren Berliner Standorten aktuell nur jeder zweite Arbeitsplatz besetzt sein“, erklärt Hauer. „Für jeden unserer Meetingräume gibt es abhängig von der Raumgröße außerdem eine maximale Personenanzahl.“ Bei Küchen- und Toilettengängen gilt eine Maskenpflicht. Wie lange die Auflagen gelten sollen, ist noch nicht klar. Man wolle die Maßnahmen im Zwei-Wochen-Rhythmus überprüfen und gegebenenfalls anpassen.

Ein PDF voller Hygienevorschriften

Ähnlich argumentiert auch das Daten-Startup Celonis: „Es ist unklar, wie lange wir zum Beispiel nur mit halber Belegung die Büroflächen besetzen werden“, heißt es aus dem Unternehmen. Wie N26 und Personio setzen die Münchner auf kontrollierte Gruppenbildung, wobei die überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter – allein in München sind es 400 – weiterhin im Homeoffice bleiben soll.

Ein Dauerzustand soll das allerdings nicht werden. „Grundsätzlich ist unsere Unternehmenskultur stark von menschlichen Interaktionen geprägt. Deshalb halten wir es für unwahrscheinlich, dass wir das ,working from home‘ in Zukunft für alle Mitarbeiter empfehlen werden, wenn es diesbezüglich keine Vorschriften und Empfehlungen mehr gibt“, so eine Sprecherin auf Anfrage von Gründerszene.

Dagegen liest sich das Sicherheitskonzept des Berliner Software-Unternehmens Adjust wie eine Roadmap für den Weg aus Corona-Krise. So wurde jedem Teammitglied ein mehrseitiges PDF mit diversen Hygienevorschriften ausgehändigt. Darin weist das Unternehmen seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter etwa an, statt Fahrstühlen bevorzugt das Treppenhaus zu nutzen, Türen mit dem Ellbogen zu öffnen und zu schließen oder sich nur im eigenem Stockwerk aufzuhalten. Die Gängelei ist durchaus nötig: Adjust beschäftigt fast 500 Mitarbeiter an 16 Standorten, darunter auch in Tokio und Shanghai.

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In Japan und China teste das Unternehmen bereits seit ein paar Wochen die schrittweise Öffnung der Büros, sagt Adjust-Geschäftsführer Christian Henschel gegenüber Gründerszene. Mittlerweile arbeiten ihm zufolge in Japan 30 Prozent der Angestellten wieder im Büro, in China um die 50 Prozent. „Wir agieren hier sehr vorsichtig“, sagt Henschel. So werde an den Eingängen der Bürogebäude jede Person auf erhöhte Temperatur getestet. 

Darauf wird bei den Kollegen in Berlin verzichtet. Hier stehen die Vorkehrungen aber auch noch am Anfang: „Neben allgemeinen Hygieneregeln haben wir in den vergangenen Wochen eine Back-to-Office-Strategie entwickelt, die auf drei Stufen aufbaut“, erklärt Henschel. „Auf Stufe drei, in der wir uns gerade befinden, dürfen knapp zehn Prozent der Belegschaft wieder ins Büro. Die Küchen in unseren Stockwerken bleiben geschlossen, alle Meetings finden nur virtuell statt, die Mitarbeiter müssen an getrennten Tischen sitzen, unser internes Gym bleibt geschlossen und Geschäftsreisen sind weiterhin nicht möglich.“

In der zweiten Stufe, so Henschel, sollen alle Mitarbeiter wieder im Büro arbeiten – jedoch nicht gleichzeitig, sondern aufgeteilt in zwei Gruppen im wöchentlichen Wechsel. Bis auf die Öffnung der Küchen sollen die alten Regeln dabei bestehen bleiben. Erst auf Stufe eins werde es weitreichendere Lockerungen geben. Zwar werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den einzelnen Standorten dann weiterhin in zwei Gruppen kommen. „Allerdings dürfen zum Teil bereits Meetings wieder in einem Raum stattfinden, wenn der Abstand eingehalten wird“, so Henschel. Auch Reisen im Inland seien dann wieder erlaubt.

Zu nah gekommen? Dann ertönt ein Piepton

Bei solch einem umfassenden Regelwerk erscheinen die Piktogramme und Bodenmarkierungen beim HR-Startup Personio aus München fast schon halbherzig. Allerdings bereitet sich das Unternehmen längst auf den Einsatz technischer Hilfsmittel vor, sollte etwa die Einhaltung der Abstandsregelungen nicht so zuverlässig erfolgen wie erhofft.

So experimentiert das Startup derzeit mit speziellen Sensoren für das Handgelenk, die normalerweise im Profisport zum Einsatz kommen. Mit ihnen lassen sich Leistungs- und Taktikdaten von Bundesligafußballern auswerten. In einer modifizierten Version könnten die Sensoren nun auch Personio-Mitarbeitern helfen: Unterschreiten zwei Personen den vorgesehenen Mindestabstand für länger als sechs Sekunden, ertönt ein Piepton. Und so sorgt die Corona-Krise dafür, dass selbst in der sonst so legeren Startup-Szene auf einmal gilt: Kontrolle ist besser.

Bild: Personio
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