Täglich ein grüner Smoothie und ein Müsliriegel werden das Immunsystem schon stärken? Hm.

Das Virus hat die Unternehmenswelt im Griff. Aus Angst vor einer Verbreitung von Sars-CoV-2 und der dadurch ausgelösten Atemwegserkrankung Covid-19 schicken Firmen ganze Belegschaften nach Hause. So hat beispielsweise Twitter sein Personal, immerhin knapp 5.000 Personen weltweit, ins Homeoffice zitiert, Apple tat es dem Kurznachrichtendienst vor wenigen Tagen gleich. Branchenübergreifend schränken Firmen Dienstreisen stark ein oder fordern einzelne Angestellte dazu auf, zuhause zu bleiben, etwa wenn diese sich vorher in Risikogebieten aufgehalten haben oder sich krank fühlen. Die aktuelle Epidemie wirkt sich auf die Art und Weise aus, wie wir arbeiten und miteinander zusammenarbeiten.

Gerade spitzt sich die Lage hierzulande zu. Die Entwicklung der Infiziertenzahl seit Ausbruch der Krankheit in Deutschland ähnelt der in Italien in den ersten Tagen. Dort wächst die Zahl der Patientinnen und Patienten exponentiell, das komplette Land steht unter Quarantäne. Exponentielles Wachstum ist Expertinnen zufolge deshalb gefährlich, weil man als Beobachterin gerade am Anfang dazu neigt, den kommenden, enorm starken Anstieg an Fallzahlen zu unterschätzen.

Inmitten immer neuer Corona-Meldungen sind es vor allem die großen Firmen und Konzerne, die mit internen Maßnahmen auf die Krankheit reagieren. Zum Beispiel, indem sie Meetings nur noch per Videokonferenz abhalten oder eben Homeoffice veranschlagen. Und in der Startup-Szene? Wie gehen Gründerinnen und Gründer aus der Tech-Branche in Deutschland mit der Epidemie um? Mein Eindruck: Viele tun wenig, machen Business as usual. Das ist gefährlich und egoistisch. 

Das Großraumbüro als Risikogebiet

Darauf deutete schon die Meldung über den ersten nachgewiesenen Corona-Patienten Berlins hin. Der 22-Jährige saß nach Aussage eines Kollegen zwei Wochen hustend und schnupfend im Großraumbüro. Auch wenn der 2017 gegründete Arbeitgeber des Berliner Erstinfizierten kein klassisches Tech-Startup ist, sollte diese Nachricht die Szene aufhorchen lassen.

Die meisten Startups arbeiten in Großraumbüros, räumlich abgetrennte Schreibtische sind die Ausnahme. Dann sitzt das gesamte Team dicht beieinander, die Chefin arbeitet am Schreibtisch gegenüber vom Praktikanten, zwischendurch wuselt der Office-Hund. Da reicht es, wenn einer oder eine ansteckend ist. Schnell gelten dann alle im Raum als Kontaktpersonen. Das Großraumbüro, in dem Angestellte Studien zufolge ohnehin schon häufiger krankgeschrieben sind als in kleineren Büroeinheiten, wird in Corona-Zeiten zum Risikogebiet. Die Ansteckungsgefahr ist hoch.

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Erschwerend hinzu kommen könnte die generelle Arbeitsmentalität in den Jungfirmen. Gemeint ist die Absicht, die berüchtigte „extra Meile“ zu gehen, also immer ein Stückchen mehr zu machen als die anderen. Unbezahlte Überstunden oder hin und wieder Wochenendarbeit gehören in der Regel genauso dazu wie gelegentliches Arbeiten im Krankheitsfall. Schließlich ist eine Firma mit 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eher auf jede einzelne Angestellte angewiesen als ein Unternehmen, in dem 1.000 Menschen arbeiten – und womöglich zehn davon denselben Job machen wie man selbst.

Sieg der jugendlichen Sorglosigkeit?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn empfiehlt, große Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern abzusagen. Startup-Events fanden in den letzten Tagen trotzdem statt, darunter die German Startup Awards in Berlin. Die immerhin rund 500 Gäste schüttelten sich teilweise fleißig die Hände und umarmten einander. Sicher, manch einer oder eine ist vorsichtig. Aber eben längst nicht alle. „Wird schon gut gehen“, hört man einige in der Startup-Welt sagen, „ich habe keine Angst.“

Wahrscheinlich ist da bei vielen Personen in der Szene der Gedanke, dass man doch jung und kerngesund ist, und man, selbst wenn man an Covid-19 erkrankt, alles bestimmt gut überstehen wird. Aber was ist mit Leuten, die man damit in Gefahr bringt? Was, wenn man sich ansteckt, und das Virus auf den 55-jährigen Bäckereiverkäufer mit Herzerkrankung beim Brötchenkaufen überträgt? Oder auf die Busfahrerin? Oder die eigenen Eltern? Wer das Virus auf die leichte Schulter nimmt, handelt unverantwortlich. Es stimmt, Panik ist unangebracht und sowieso nie zielführend, angebracht ist aber Vorsicht. Außerdem der Wille, sich eben nicht selber anzustecken und damit die Verbreitung möglicherweise anzufeuern, statt sie zu verlangsamen. Selbst wenn man die Krankheit selber mit hoher Wahrscheinlichkeit überleben würde.

Die aktuelle Epidemie sollte uns zeigen, dass wir innerhalb der Startup-Szene umsichtiger miteinander umgehen sollten. Dieses Verständnis von Unbesiegbarkeit und Selbstbewusstsein, diese gewollte Übermenschlichkeit, mehr zu arbeiten als alle anderen, so viel, dass es der Gesundheit schadet (egal ob körperlich oder psychisch), ist unter Gründerinnen und Gründern meiner Erfahrung nach weit verbreitet. Und sie ist in Zeiten von Corona völlig fehl am Platz. Wer gegründet hat oder in einem Startup arbeitet, sollte verstehen, dass die eigenen Entscheidungen und das eigene Handeln Folgen für andere haben.

Ich bitte euch daher, liebe Gründerinnen und Gründer, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das Virus als Gelegenheit zu sehen, eure Arbeitsmentalität zu überdenken. Arbeit ist toll. Arbeit ist wichtig. Aber sie sollte die eigene oder die Gesundheit eurer Mitmenschen nicht gefährden. Größtenteils seid ihr technisch schon bestens ausgerüstet, von überall zu arbeiten. Also lasst die Arbeit im Büro bleiben, wenn es geht. Sagt das nächste Event ab, auch wenn ihr vier Monate Vorbereitungszeit investiert habt. Macht es anders als der erste Infizierte in Berlin und haltet euch fern von allen Kolleginnen und Kollegen. Schleppt euch nicht krank an den Schreibtisch. Nicht in Zeiten von Corona und auch sonst nicht.

Einige Startups haben inzwischen auf die Krise reagiert. So teilte Getyourguide-Chef Johannes Reck am Dienstagabend per Twitter mit, dass seine Mitarbeiter von nun an von zuhause arbeiten werden. „Wir wollen verantwortungsvolle Bürger sein und unseren Teil dazu beitragen, die Verbreitung von Sars-Cov-2 einzudämmen“, schreibt er. Justwatch-Gründer David Croyé gab die Homeoffice-Politcy für sein Team auf Linkedin bekannt. Heute erst twitterte Wunderlist- und Pitch-Gründer Christian Reber, dass seine Firma als Vorsichtsmaßnahme komplett auf Remote umstelle. Es wäre schön, wenn auch andere, kleinere und unbekanntere Startups diesem Beispiel – wo es denn geht – folgen würden. 

Hier könnt ihr nachlesen, wie Homeoffice gelingt:

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Bild: Getty Images / Maskot