Das Problem mit Konflikten: Wir tragen sie aus wie einen Kampf, den eine Seite gewinnen muss.

Ein Gastbeitrag von Katharina Wolff, Gründerin von D-Level, einer Personalberatung für Digital-Führungskräfte

Wer verstehen will, wie Innovationsteams entstehen, muss sich zunächst anschauen, was Teams zerstört. In einer Welt, in der Achtsamkeit, Yoga und Harmonie en vogue sind, ist der Konflikt negativ konnotiert. Keiner sucht ihn, alle vermeiden ihn. Dabei sind es oft weniger die ausgetragenen Konflikte, die Teams auseinanderbrechen lassen. Im Gegenteil: Was sie scheitern lässt, ist Schweigen. Denn ein Konflikt per se ist erst einmal nichts Schlechtes, sondern nur das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Perspektiven auf ein Problem. Richtig gehandhabt liegt in ihm ein massives Potenzial für Wachstum.

Menschen mit denselben Backrounds, Denkmustern und Perspektiven sehen immer nur dieselben Dinge. Scott E. Page, Professor für Management an der Universität Michigan, vergleicht das bezogen auf Teamarbeit mit dem Bergsteigen: Wenn alle Teammitglieder an derselben Stelle im Tal abgesetzt werden, können sie nur ein und denselben en Weg zum Gipfel sehen, weil sie nur eine Perspektive haben. Werden aber ein paar von ihnen auf der anderen Seite des Gebirges abgesetzt, sind diese in der Lage zu sehen, dass es da vielleicht noch einen viel höheren Gipfel gibt, der über einen ganz anderen Weg erreicht werden kann. Die Gipfel stehen hierbei für unterschiedliche Lösungen, die Wege für Innovation, die zu diesen Lösungen führt.

Nein zum „Fit-In“ – ja zum „Add-In“

Deswegen ist es falsch, immer nur Menschen einzustellen, die genauso ticken wie der Rest des Teams. Ein ebenso großes Missverständnis ist es, sehr unterschiedliche Menschen einzustellen, um oberflächlich dem Postulat von Diversität zu entsprechen – ihnen aber dann zu erklären, sie müssten sich alle der gleichen Unternehmenskultur fügen, also den vielzitierten „Cultural Fit“ mitbringen.

Zwar sollten die grundlegendsten Werte der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Mitarbeitern die gleichen sein. Doch darüber hinaus gilt: Je kognitiv diverser das Team, desto höher die Chance auf Innovation. Firmen sollten deswegen Köpfe einstellen, die auf den ersten Blick nicht in ihre Kultur passen und sie zur bestehenden Unternehmenskultur hinzufügen. „Add-In“ statt „Fit-In“.

Daraus ergeben sich drei Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Team innovativ arbeitet:

1. Kognitive Friktion

Um die potenzielle Energie von Konflikten zu beschreiben, nutzt Shane Snow, Autor des Buches „Dream Teams“, die Analogie eines Gummibandes: Wenn Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven aufeinandertreffen, entsteht Spannung. Im übertragenen Sinne sind kognitiv diverse Teams demnach Gruppen von Menschen, die an beiden Enden des Bandes ziehen. Je stärker sie das tun, je deutlicher sie also ihre jeweilige Meinung vertreten, desto mehr Spannung entsteht zwischen ihnen. Psychologen nennen dieses Phänomen Kognitive Friktion.

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Die Schwierigkeit dabei ist, das richtige Maß des Konflikts zu finden. Artet er in persönliche Angriffe oder Beleidigungen aus, scheitert das Team – das metaphorische Gummiband reißt. Doch richtig dosiert ist die aktive Auseinandersetzung der Nährboden für Innovation. „It is about not getting along well“ – so kontraintuitiv und dennoch treffend beschreibt es Snow. Das mache den Unterschied aus zwischen Teams, die bloß Potenzial haben, und solchen, die es auch nutzten.

2. Mut durch Sicherheit

Unkonventionelle Ideen zu vertreten ist nicht immer leicht. Tickt jemand anders als der Rest der Gruppe, werden die Menschen schnell nervös. Was besonders innovative Teams hier von anderen unterscheidet, ist der Umgang mit dieser Tatsache: Firmen wie Tesla animieren ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu, ihren Standpunkt klarzumachen, unterschiedliche Perspektiven zu diskutieren und keine Angst davor zu haben, ungewöhnliche Ideen zu äußern – indem sie dafür ein sicheres Umfeld schaffen. Im geleakten Tesla-Mitarbeiterhandbuch heißt es etwa, jeder Mitarbeiter könne bis ganz nach oben zu CEO Elon Musk kommunizieren, wenn er Verbesserungsvorschläge habe. Kognitive Diversität allein ist also nicht ausreichend – sie muss auch gefahrlos verbalisiert werden können.

3. Intellektuelle Demut

Das Problem mit Konflikten ist: Wir tragen sie aus wie einen Kampf, bei dem eine Seite gewinnen muss. Mit der Idee, dass unterschiedliche Perspektiven zusammengehen können und dass erst daraus die eigentliche Innovation entsteht, tun wir uns hingegen oft schwer. Denn das erfordert intellektuelle Demut, also ein smartes Ego, dass sich selbst zurücknimmt und bereit ist, seine Perspektive nicht als die einzig mögliche Lösung anzusehen – sondern als eine von Vielen.

Denn manchmal sind es eben genau die Teammitglieder, von denen man es am wenigsten erwartet hätte, die den Turnaround bringen oder einem zum Durchbruch verhelfen. Ganz sicher aber ist es nicht die Person, die die Führungskraft am ehesten an sich selbst erinnert. Und auch nicht die, die ganz genau in eure Unternehmenskultur passt.

Bild: Getty Images / Klaus Vedfelt