In seinem ersten Startup-Job schlief unser anonymer Gesprächspartner auch hin und wieder im Büro (Symbolbild).

Arbeiten im Startup – damit verbinden viele Menschen kostenlosen Kaffee und volle Obstkörbe bei niedrigem Gehalt und mindestens ausbaufähigen Arbeitsbedingungen. Was ist dran an diesem Bild? In anonymen Erfahrungsberichten lässt die Gründerszene-Redaktion Mitarbeiter junger Unternehmen sprechen. Aufgezeichnet werden sie von wechselnden Autoren. Der Startup-Alltag im Realitätscheck:

Vor ein paar Jahren habe ich ein duales Studium in der Logistiksparte eines großen Konzerns abgeschlossen. Mir war recht schnell klar, dass ich danach nicht bleiben wollte – zu langweilig. Ich hatte mich schon immer für Startups interessiert. Da ich sowieso etwas suchte, dachte ich, ich bewerbe mich einfach mal.

Als Business-Development-Praktikant habe ich dann bei einem Startup im Lebensmittelbereich angefangen. Manch einer hat mich für verrückt erklärt, ein Praktikum hinter ein abgeschlossenes BWL-Studium und eine Ausbildung zu hängen. Aber ich hatte Bock darauf. Tatsächlich hatte ich bei dem Startup die Zeit meines Lebens. Es gab ein junges, verdammt cooles Team, das den Willen hatte, den Food-Markt zu revolutionieren. Alle haben dafür gelebt und die Produkte geliebt. Im Job hatte man viele Freiheiten, das fand ich toll. Die Tage im Büro gingen teils von 9 bis 21 Uhr, oft haben wir gemeinsam zu Abend gegessen. Es hat sich richtig familiär angefühlt.

Nach dem Praktikum wurde ich bei dem Startup angestellt – für ein Jahresgehalt von 18.000 Euro brutto. In diesem Punkt war es schon ziemlich hart. Man hangelt sich von einem Versprechen zum nächsten: „Beim nächsten Funding wird das Gehalt erhöht.“ Ich habe echt gekämpft, mich extrem in den Job reingehangen. Teilweise habe ich im Büro übernachtet, weil ich als Operations-Mitarbeiter täglich um 5 Uhr morgens frische Waren im Büro entgegennehmen musste, die wir dann weiterverkauft haben. Trotzdem war das Unternehmen leider nie so richtig erfolgreich.

Wenn ich heute auf die Zeit zurückblicke, finde ich das schon krass. Ich denke, es hing damit zusammen, dass ich neu in der Stadt war und ganz einfach nichts anderes zu tun hatte. Wenn man es als Gründer schafft, Leute an Land zu ziehen, die noch jung sind, vielleicht sogar aus einer ganz anderen Ecke Deutschlands kommen, die also kaum soziale Bindung haben, hat man echt Glück. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass man als Arbeitnehmer in so einer Situation bereit ist, alles zu machen. 

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Zumindest für einen begrenzten Zeitraum. Denn dauerhaft hält man das sicher nicht durch. Bei mir war schon nach wenigen Monaten Schluss: Die Firma ist insolvent gegangen.

Von 18.000 auf 25.000 Euro Jahresgehalt

Ich habe die Stadt verlassen. Danach ging ich zu einem Accessoires-Startup. Wieder Operations, aber kein Junior mehr, sondern gleich Operations Manager, weil ich – so sahen es die Chefs – im Startup vorher viel Erfahrung gesammelt hatte. Ich war vom Gehalt aus meiner vorherigen Anstellung so geschädigt, dass ich dachte, so ist das halt bei Startups. Deshalb habe ich 21.000 Euro gefordert. Ganz gönnerhaft meinte der Gründer dann zu mir, dass er mir 25.000 Euro zahlen würde. Da war ich so happy und habe gleich zugesagt. Drei oder vier Monate später habe ich erfahren, dass ein Kollege, der genau denselben Job gemacht hat, 10.000 Euro mehr verdient hat. Ich war noch in der Probezeit und so sauer, dass ich noch am selben Tag gekündigt habe. Das fand ich einfach nur unverschämt.

Anschließend bin ich bei einem Konkurrenzunternehmen des insolventen Food-Startups gelandet. Ich habe sofort die Leitung über den Operations-Bereich übernommen. Dadurch, dass mir so großes Vertrauen entgegengebracht wurde, fiel es mir schwer zuzugeben, dass ich mich selbst noch nicht zu 100 Prozent auskannte. Gleichzeitig habe ich vergeblich das familiäre Umfeld meines ersten Startup-Arbeitgebers gesucht. Das Unternehmen war einfach schon zu groß dafür. 

„Ich will kein Arschloch-Manager sein“

Als dieses Startup dann sein B2C-Geschäft aufgegeben hat, wurde ich aus wirtschaftlichen Gründen gekündigt. Jetzt bin ich 27 und arbeite als Business Development Manager bei einem größeren, deutlich etablierteren und bekannteren Startup und leite ein sechsköpfiges Team. Ich versuche, meinen Juniors besonders fair gegenüber zu treten, weil ich selbst jung angefangen habe und mir da viel abverlangt wurde. Für mich ist klar: Ich will kein Arschloch-Manager sein.

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Gehaltstechnisch habe ich einen großen Sprung nach oben gemacht, jetzt verdiene ich 41.000 Euro brutto im Jahr. Ich opfere mich aber nicht mehr so für den Job auf. Ich habe zwar Spaß an meiner Aufgabe, sehe es aber nicht mehr ein, außerhalb der regulären Arbeitszeiten stundenlang im Büro zu sitzen. Ich komme um 9 und versuche, um 18 Uhr zu gehen. Meine Prioritäten haben sich verschoben.

Neid auf befreundete Konzern-Angestellte

Wenn mir Freunde erzählen, dass sie in einem Konzern oder im Mittelstand arbeiten, wo es beispielsweise Stechuhren gibt, klingt das erstmal wahnsinnig spießig. Wenn ich aber auf Instagram sehe, dass diese Leute wieder im Urlaub sind, weil sie Überstunden abfeiern müssen, entsteht da richtiger, echter Neid. Dann frage ich mich: Wieso reibst du dich für so ein Gehalt so auf? Ich sehne mich schon nach Ruhe und Beständigkeit. Mehr Geld, Überstunden-Regelungen, klare Hierarchien und ein Management ohne Grünschnäbel, das würde ich mir wünschen. Es vergeht eigentlich keine Woche, in der ich mir nicht vornehme, endlich den Job zu wechseln. 

Mein Problem ist nur: Ich habe große Angst vor Langeweile. Ich könnte einfach keinen 9-to-5-Job machen, in dem nicht viel passiert. Mir würden die Hands-on-Mentalität und die Schnelligkeit fehlen. Das liegt sicher auch daran, dass ich ständig Angst habe, etwas zu verpassen. Ich bin immer der erste, der sich bei einer neuen Scooter-Sharing-App anmeldet, weil ich es geil finde, Neues auszuprobieren. 

Deswegen habe ich jetzt nebenberuflich sogar ein eigenes Unternehmen gegründet – einen Delikatessen-Onlineshop. Manchmal frage ich mich, was mit mir nicht stimmt. Zweimal bin ich als Mitarbeiter mit Essens-Unternehmen auf die Nase geflogen und trotzdem versuche ich wieder mitzuspielen. Ich schaffe es nicht, zur Ruhe zu kommen.

Eigene Mitarbeiter habe ich noch nicht. Ich will jetzt Leute finden, die für die Sache brennen und das Produkt lieben. So wie ich damals. Die jung und bereit sind, sich aufzureißen. Ein kleines, familiäres Team wäre toll. In Sachen Lohnniveau bin ich zwiegespalten. Wir haben in Deutschland den Mindestlohn. Der ist nicht geil, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man damit leben kann. Ich bin jetzt selbst Unternehmer und muss gucken, wie ich über die Runden komme. Wenn das Geschäft erst mal gewachsen ist, würde ich aber mehr zahlen. Dass es überhaupt soweit kommt, liegt ja nicht nur an mir. Als Mitarbeiter bist du mit dafür verantwortlich, dass es läuft. 

Aufgezeichnet von Elisabeth Neuhaus

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