Zahltag (ist leider erst 2030)!

Auf Deutschlands Arbeitnehmer kommt eine regelrechte Gehaltsschwemme zu. Bis zum Jahr 2030 könnte das Pro-Kopf-Einkommen für Fachkräfte um umgerechnet 13.800 Euro im Jahr steigen. Das zumindest erwartet Korn Ferry, eine international tätige Beratungsgesellschaft mit Schwerpunkt Personal. Allerdings betonen die Experten, dass längst nicht jeder Beschäftigte auf eine derartige Lohnexplosion hoffen darf.

Hochqualifizierte dürfen sich hierzulande in den nächsten Jahren auf einen echten Geldregen freuen. Denn eines macht die Bundesrepublik besonders. In keinem anderen Land des Kontinents werden Fachkräfte noch vor Ende der nächsten Dekade so knapp werden wie hierzulande. Das setzt die Arbeitnehmer gegenüber dem Chef in eine starke Position, allerdings unter einer Voraussetzung: Der Beschäftigte bringt die begehrten Qualifikationen mit. „Der Arbeitsmarkt der Zukunft wird sich durch eine Gleichzeitigkeit von Knappheit und Überfluss auszeichnen“, sagt Annette Goldhausen, Vergütungsexpertin bei Korn Ferry.

Engpass bei gefragten Kenntnissen

Schon jetzt bekommt Europas größte Volkswirtschaft den Engpass bei Kandidaten mit bestimmten, besonders gefragten Kenntnissen zu spüren. Besonders begehrt sind naturwissenschaftlich-technische Abschlüsse, aber sie sind keineswegs die einzigen Schlüsselqualifikationen im Zeitalter der Digitalisierung. Generell haben Uni-Absolventen, die bereits praktische Erfahrungen gesammelt und sich kontinuierlich weitergebildet haben, beste Aussichten, auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu reüssieren, sagt Korn Ferry. Das gilt vor allem, wenn sie auf dem neuesten Stand der digitalen Wirtschaft sind.

Nach Berechnungen der Experten können Fachkräfte von diesem Kaliber im Schnitt bis 2030 nominal rund 16.000 Dollar mehr verdienen als heute, das sind umgerechnet 13.800 Euro derzeitiger Kaufkraft. Die Beratungsgesellschaft beziffert die potenzielle Zahl der in diesem Sinne Qualifizierten auf rund elf Millionen. Das vergleicht sich mit derzeit knapp 33 Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten.

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Die restlichen Arbeitnehmer dürfen lediglich damit rechnen, dass ihr Gehalt mit der Inflationsrate mitwächst. „Eine große Menge Menschen steht zur Verfügung, allerdings nicht mit den benötigten Qualifikationen“, heißt es in dem Report, der WELT vorab vorlag. Doch auf die Hochqualifizierten kommen in Deutschland regelrecht goldene Zeiten zu, ihre Verhandlungsposition gegenüber dem Chef wird sich erheblich verbessern. Aus Sicht der Arbeitgeber und Betriebe kann das durchaus schmerzhaft sein. Denn der Fachkräftemangel zwingt sie hierzulande zu deutlichen Konzessionen beim Geld: „Für spezifische Gruppen werden die Lohnkosten regelrecht explodieren“, formuliert denn auch Expertin Goldhausen.

Dass Fachkräfte in der Bundesrepublik herrlichen Zeiten entgegengehen, resultiert aus der besonderen Kombination von schwacher Demografie und starker Wirtschaft. In keiner anderen großen Volkswirtschaft der westlichen Hemisphäre werden die Gehaltssteigerungen so kräftig ausfallen wie im alternden Deutschland, erwarten die Auguren. Selbst im globalen Vergleich können sich die Aussichten von Fachkräften im hiesigen Arbeitsmarkt sehen lassen.

Laut Korn Ferry gibt es nur vier große Länder, in denen die Pro-Kopf-Einkommen für hoch qualifizierte Fach- und Arbeitskräfte noch schneller steigen dürften, allen voran die Stadtstaaten Hongkong (mit 40.500 Dollar) und Singapur (29.100 Dollar). Dort gilt: Wenig verfügbare Kandidaten bei gleichzeitig besonders hohem Bedarf an Qualifikation. Dazu gesellt sich Australien mit seinem heiß gelaufenen Arbeitsmarkt (28.600 Dollar).

„Angelsächsische Länder ziehen seit jeher sehr gute Kandidaten an“

In Japan sind die Gehaltsaussichten für Hochqualifizierte mit zusätzlich 18.500 Dollar ebenfalls etwas besser als hierzulande, die asiatische Inselnation leidet ähnlich wie Deutschland unter einer rapiden Alterung der heimischen Erwerbsbevölkerung. Um die Daten vergleichen zu können, hat Korn Ferry sämtliche Lohnsteigerungen in Dollar berechnet.

Geringer fällt das Plus in den USA und in Großbritannien aus, in beiden Staaten dürfen Fachkräfte im Jahr 2030 erwarten, dass ihr Lohnplus nur 8000 Dollar über das hinausgeht, was in der allgemeinen Wirtschaft an Zuwachs möglich ist. In Saudi-Arabien, Brasilien und den Niederlanden sind es rund 11.000 Dollar. „Die Arbeitsmärkte dieser Länder verfügen über ein größeres Potenzial an geeigneten Kandidaten“, erklärt Goldhausen. In die Zahlen ist freilich die Annahme einer relativ intensiven Arbeitsmigration eingeflossen.

„Die angelsächsischen Länder ziehen seit jeher sehr gute Kandidaten aus dem Ausland an und verfügen über eine exzellente Bildungslandschaft“, heißt es in der Untersuchung von Korn Ferry. Ähnliches gelte für das weltoffene Holland. Im Falle von Saudi-Arabien und Brasilien ist es anders. Beide Länder verfügen selbst über eine große Anzahl an Menschen, in deren Ausbildung heute intensiv investiert wird. Das einzige große Land, in dem Hochqualifizierte keine überproportionalen Lohnsteigerungen erwarten dürften, heißt Indien, was damit zusammenhängt, dass es dort auch in zwölf Jahren einen Überschuss an Fachkräften geben wird.

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Hongkong und Singapur hingegen wird ähnlich wie Deutschland nichts anderes übrig bleiben, als ad hoc Personal im Ausland anzuwerben. „Und das zieht besonders hohe Kosten nach sich“, stellt Goldhausen fest. Schon in der nächsten Dekade werden Fachkräfte auch auf globaler Ebene knapp werden. Für das Jahr 2030 veranschlagen die Experten ein Defizit von 85 Millionen qualifizierten Arbeitskräften weltweit.

Kostensteigerung durch Mangel an gut ausgebildetem Personal

Für die deutsche Wirtschaft bedeutet der Mangel an gut ausgebildetem Personal eine deutliche Kostensteigerung. Im Jahr 2030 werden die Firmen 176 Milliarden Dollar oder umgerechnet 152 Milliarden Euro mehr ausgeben müssen, um Fachkräfte an sich zu binden. Nicht nur die Bundesrepublik, auch andere europäische Länder müssen mit steigenden Kosten für die Beschäftigung von Hochqualifizierten rechnen.

So schätzen die Autoren der Korn-Ferry-Studie, dass im Jahr 2030 der Gehaltsaufschlag im Vereinigten Königreich fünf Prozent des voraussichtlichen Bruttoinlandsprodukts ausmachen wird (121 Milliarden Dollar), in Frankreich sind es vier Prozent (91 Milliarden Dollar). In absoluten Zahlen am meisten werden die USA drauflegen müssen, nämlich 531 Milliarden Dollar, gefolgt von Japan mit 468 Milliarden Dollar. Weltweit dürfen die Gehälter für Hochqualifizierte im Jahr 2030 um 2,5 Billionen höher liegen.

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Firmen, die im internationalen Wettbewerb bestehen wollen, tun nach Ansicht von Korn Ferry gut daran, Talente bereits intern zu identifizieren und entwickeln. „Dazu bedarf es einer Bildungsoffensive innerhalb der Unternehmen und einem Neudenken von Weiterbildung“, sagt Goldhausen. Die Zukunft führe weg von Seminaren und partieller Wissenserweiterung und hin zu Programmen, die dabei helfen, innerhalb immer kürzerer Intervalle Talente vollständig neu auszurichten.

Benötigte Kompetenzen und Kenntnisse (im Beraterdeutsch „Skills“ genannt) werden sich immer schneller und drastischer verändern. Gleichzeitig hätten die Betriebe großes Interesse daran, die sich ständig weitergebildeten Talente langfristig zu halten. „Das erreichen sie selten über kurzfristige Angebote“, betont die Personalexpertin. Stattdessen sollten Führungskräfte auf eigenverantwortliches Arbeiten, individuelles Coaching und Förderung achten. Das Gesamtumfeld müsse stimmen, sodass der Sinn der Arbeit und der Beitrag des Einzelnen deutlich erkennbar werden.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

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