In den folgenden fünf Jahren könnten 3,5 Millionen Arbeitsstellen durch Roboter ausgetauscht werden

Wer sich beim Personaldienstleister Randstad in Deutschland bewirbt, führt nicht nur persönliche Gespräche, sondern telefoniert während des Bewerbungsprozesses auch mit Precire. Precire, das ist eine Sprachanalyse-Software, die dem Bewerber unabhängig von der ausgeschriebenen Stelle Fragen stellt und die Antworten daraufhin dekodiert. Die Ergebnisse der Sprachanalyse geben Auskunft über Persönlichkeit, Kommunikation und Verhalten des Kandidaten. So könne schneller geprüft werden, ob und inwieweit die Persönlichkeit eines Bewerbers zu dem ausgeschriebenen Jobprofil passt, meint Andreas Bolder, Director Group Human Ressources bei Randstad Deutschland. Das Unternehmen nutzt die Software des Aachener Startups seit 2015.

Ein persönliches Bewerbungsgespräch könnten die Ergebnisse dennoch nicht ersetzen, so Bolder. Der persönliche Eindruck sei noch immer wichtig, um sich ein Urteil zu einem Bewerber bilden zu können. Doch, wie der psychologische Begriff Ähnlichkeitsfehler zeigt, ist die menschliche Wahrnehmung fehleranfällig. Die Personen, die einem ähnlich sind, beurteilt man unbewusst besser und findet sie sympathischer. Der Algorithmus von Precire geht hingegen vollkommen unvoreingenommen in das Gespräch. Er misst anhand von mehreren tausend Kennwerten wie Worthäufigkeiten und Tonfrequenz die Energie, Souveränität, persönliche Balance, Struktur, Klarheit und Belastbarkeit des Kandidaten. Das letzte Wort habe jedoch noch immer der Personaler, betont der Randstadt-Mitarbeiter.

Roboter ersetzen Personaler

Auch beim Karrierenetzwerk Xing spielt E-Recruiting neben der klassischen Bewerbersuche eine immer größere Rolle. Nutzer können sich beispielsweise über die One-Click-Bewerbung mit nur einem Klick bei ihrem Wunschunternehmen vorstellen. Außerdem hat Xing 2017 die cloudbasierte Bewerbermanagement-Software Prescreen übernommen – ein Tool, das eine Vorauswahl der Bewerber vornimmt und den Recruiter so bei seiner Arbeit unterstützt. Ob der Einsatz solcher digitaler Tools irgendwann nicht mehr nur Unterstützung sein wird, sondern die menschliche Arbeit komplett übernimmt? Das Recruiterprofil wird sich auf jeden Fall ändern, so David Vitrano, Vice President Marketing & New Business Sales bei Xing E-Recruiting – Sorgen, dass der Recruiter vollkommen ersetzt werden könnte, müsse man jedoch nicht haben.

Das ist allerdings leichter gesagt als getan – viele Forschungen und Studien gehen davon aus, dass KI den Arbeitsmarkt stark belasten wird. Eine Bitkom-Studie zeigt beispielsweise, dass bis 2022 quer über alle Branchen hinweg knapp dreieinhalb Millionen Stellen von Robotern oder Algorithmen übernommen werden sollen. Heißt: Bei aktuell knapp 33 Millionen Beschäftigten in Deutschland würde demnach jeder zehnte Job der Digitalisierung zum Opfer fallen, der HR eingeschlossen.

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Wachstum vs. Verlust

Dem gegenüber steht eine Untersuchung des Zentrums für Europäische Wirtschaftsförderung. Diese prognostiziert, dass Roboter nicht nur Arbeitsplätze ersetzen, sondern auch gleichzeitig an anderer Stelle neue Jobs entstehen lassen. Heißt in Zahlen: Bis 2021 sollen die Beschäftigungen durch die Digitalisierung jährlich um 0,4 Prozent steigen. Als Basis für die Studie dienten Befragungen von Managern von mehr als 2.000 deutschen Unternehmen. Sie wurden gefragt, in welchem Maße sie bereits KI einsetzen, wie sich der Einsatz über die vergangenen fünf Jahre entwickelt hat und, welche weiteren Pläne diesbezüglich anstehen. Diese Angaben wurden mit Daten der Bundesagentur für Arbeit angereichert, sodass für die Studie insgesamt mehr als 300.000 Beschäftigte beobachtet werden konnten.

Allerdings erscheinen 0,4 Prozent Beschäftigungszuwachs gegenüber den zehn Prozent Beschäftigungsverlust, die die Bitkom-Studie voraussagt, verhältnismäßig gering. Welches Szenario tatsächlich eintreten wird, kann bis dato niemand sicher sagen. Eines weiß Bolder jedoch gewiss: Es werden Veränderungen anstehen. „Wir wissen, dass sich Berufsbilder verändern werden und dass lebenslanges Lernen an Bedeutung gewinnt. Große Vorteile werden die Arbeitnehmer haben, die bereit sind, dazuzulernen und sich neuen Anforderungen zu stellen.“

Um den neuen Anforderungen auf Augenhöhe begegnen und mit der Digitalisierung im HR auch in Zukunft Schritt halten zu können, rät David Vitrano zu folgenden vier Schritten:

1. Die interne Unternehmensleitung für das Thema Digitalisierung sensibilisieren

Einer Studie von Xing von 2017 zufolge, halten 67 Prozent der HR-Verantwortlichen die Digitalisierung von Personalprozessen für hochrelevant – allerdings sind nur 35 Prozent der Geschäftsführer der gleichen Meinung. An dieser Diskrepanz würde Vitrano gleich zu Beginn anknüpfen. Die Unternehmensleitung müsse viel stärker dafür sensibilisiert werden, welchen Erfolg Digitalisierung im Personalwesen und damit auch auf den gesamten Unternehmenserfolg hat. „Es ist zu spät, erst dann zu agieren, wenn keine Kandidaten zu finden sind oder die Kündigungsraten steigen. Die Personaler müssen heute schon an morgen denken und daher die Personalarbeit extrem strategisch angehen.“

2. Proaktives Candidate-Relationship-Management betreiben

Vitrano rät Personalverantwortlichen dazu, den Kontakt zu potenziellen Kandidaten konstant zu pflegen, und nicht nur dann, wenn man plötzlich einen Kandidaten liefern muss. So hat man im Fall einer offenen Stelle gleich einen Pool an möglichen Kandidaten zur Hand und vorschnelle, unter Zeitdruck geschehende Einstellungen von semi-geeigneten Bewerbern lassen sich vermeiden. Bei der Kontaktpflege sei es wichtig, als maximal transparente und authentische Arbeitgebermarke aufzutreten und verschiedene Kanäle miteinander zu kombinieren. Im Zuge der Veränderungen genüge es nicht mehr, sich nur auf einen einzigen Kanal zu fokussieren und beispielsweise ausschließlich auf Empfehlungsmanagement zu setzen. Stattdessen empfiehlt er die Kanäle kombiniert zu betrachten, Empfehlungsmanagement mit Candidate-Relationship-Management, aktiver Kandidatenansprache und Stellenanzeigen zu verknüpfen und diese abhängig von Position, Rolle und Notwendigkeit der zu besetzenden Stelle zu bespielen.
3. Die Rolle des Recruiters neu definieren

Vitrano ist sich sicher: Der Recruiter muss keine Angst haben, vollständig durch KI ersetzt zu werden – allerdings sei eine Neudefinition des Recruiterprofils notwendig. Die nächste Generation der Recruiter sei eher proaktiver Talent Agent, in der Gestaltung sowie im Marketing tätig als nur im Sales. „Der Next Generation Recruiter ist auch Markenbotschafter. Er ist unterwegs in der Personalgewinnung, er ist am Markt, am Kandidaten.“ Wer erfolgreiches Recruiting betreiben wolle, brauche zudem auch analytische Kompetenz, um die umfangreiche Datenbasis, die man dank der digitalisierten Prozesse erhält, angemessen auswerten zu können.

4. Digitalisierung als Chance begreifen

„Die Recruiter und Personaler haben eigentlich keine andere Chance, als die Digitalisierung für sich zu nutzen“, so Vitrano. Man rede von einem Markt, auf dem Fachkräftemangel herrscht. Allein im MINT-Bereich gibt es aktuell 500.000 unbesetzte Stellen. Ohne die Hilfe von Digitalisierung und Algorithmen wäre es noch schwieriger, die Stellen zu besetzen – sprich, die Kennzahl „Time-to-Hire“ würde noch stärker steigen. „Daher ist es das Gebot der Stunde, die Möglichkeiten der Digitalisierung zu ergreifen.“

Die Kunst erfolgreichen Recruitings liegt laut Vitrano darin, Mut zu zeigen, neue Wege zu gehen und sich damit gar nicht erst durch die KI ersetzbar zu machen. Insbesondere bei den Stellen, in denen Menschen mit Menschen arbeiten, wird die letzte Instanz auch in zehn Jahren noch der Mensch sein, ist Vitrano überzeugt. Andreas Bolder kann ihm da nur zustimmen. KI hilft schlichtweg dabei, Arbeitsabläufe effizienter zu gestalten und eine Schnittstelle zu schaffen zwischen der Technologie und dem Menschen. Ersetzen könne KI den Austausch zwischen den Kandidaten und Recruitern allerdings nicht. „Nur Menschen können komplexe Zusammenhänge verstehen und mit dem richtigen Kontext einordnen.“

Bild: Getty Images / Westend61