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In immer mehr Städten fahren autonome Testfahrzeuge ohne Fahrer durch die Straßen. Recherchesoftware durchkämmt für Anwälte Tausende von Dokumenten und erstellt Zusammenfassungen der relevanten Inhalte. Und Siri, die digitale Assistentin auf dem iPhone, versteht ihre US-Nutzer so gut, dass sie sogar einen Tisch im Restaurant reservieren kann.

Das sind nur einige Beispiele für die Anwendungen künstlicher Intelligenz (KI) – einer Technologie, die sich gerade erst entwickelt, aber der deutschen Wirtschaft einen gewaltigen Wachstumsschub bringen könnte. Davon sind zumindest Ökonomen der Unternehmensberatung Accenture überzeugt.

In einer noch unveröffentlichten Studie prognostizieren sie dramatische Wohlstandseffekte durch selbstlernende Maschinen und intelligente Software. Im Jahr 2035 könnte die Wirtschaft hierzulande dank neuer Technologien doppelt so schnell wachsen wie ohne diese Entwicklungen, schreiben die Verfasser.

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Demnach würde die deutsche Wirtschaftsleistung bei einem breiten Einsatz künstlicher Intelligenz in den Unternehmen im Jahr 2035 um jährlich drei Prozent wachsen. Dieser Wert liegt weit über der langfristigen Wachstumsrate beim gegenwärtigen technologischen Stand von nur 1,4 Prozent. Entscheidend für das zusätzliche Wachstum – bei schrumpfender Bevölkerung – sei die breite Anwendung von künstlicher Intelligenz in Software und Robotern, schreiben die Verfasser. Accenture berät Unternehmen in Technologiefragen und beim Outsourcing.

Künstliche Intelligenz kann Menschen produktiver machen

Die Ökonomen des Unternehmens trauen digitaler Intelligenz mehr zu als andere Forscher, die bereits die volkswirtschaftlichen Folgen der neuen Technologie untersucht haben. Bisherige Untersuchungen hätten sich darauf beschränkt, lediglich die Auswirkungen intelligenter Automatisierung zu prognostizieren, beispielsweise wenn Maschinen in vernetzten Fabriken miteinander kommunizieren oder autonome Fahrzeuge Güter und Menschen fahrerlos transportieren. Dieser Blick vernachlässige aber zwei weitere Wachstumseffekte intelligenter Systeme: Künstliche Intelligenz könne zudem Menschen bei ihrer Arbeit unterstützen und dadurch produktiver machen.

Da Maschinen und Programme künftig nicht nur Bandarbeitern, sondern auch Wissensarbeitern viele Routinetätigkeiten abnehmen würden, könnten sich die Menschen künftig auf Aufgaben mit einer höheren Wertschöpfung konzentrieren.

Beispielsweise könnten intelligente Systeme Krankheiten künftig weit häufiger und in einem früheren Stadium erkennen und dadurch Ärzte unterstützen, die sich stärker als bisher auf die Behandlung konzentrieren können. Die Arbeitsproduktivität könnte dadurch in Deutschland beispielsweise um 29 Prozent steigen, in den USA um 35 Prozent und in Schweden sogar um 37 Prozent.

Lernende Maschinen können sich selbst optimieren

Zudem sei künstliche Intelligenz ein bisher weit unterschätzter Treiber von Innovation in der gesamten Volkswirtschaft. Selbstfahrende Autos könnten beispielsweise ganz neue Geschäftsmodelle schaffen, weil die Passagiere die Zeit auf der Straße nicht mehr am Steuer verbringen.

Zudem könnten lernende Maschinen und Systeme sich im Laufe der Zeit ständig selbst optimieren. „Wir glauben, dass künstliche Intelligenz auf ganz andere Weise Wachstum schafft als vorangegangene Erfindungen wie beispielsweise Elektrizität“, schreiben die Verfasser.

Sie gehen davon aus, dass Unternehmen und Arbeitnehmer mithilfe der neuen Technologien innerhalb der nächsten zwanzig Jahre knapp 1000 Milliarden oder eine Billion Euro zusätzlich erarbeiten werden.

Bild: John Lund


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Künstliche Intelligenz würde bei diesem Szenario zum Wachstums-Turbo: Würde es bei heutigem Stand der Technologie knapp 50 Jahre dauern, bis sich der Wohlstand hierzulande verdoppelt, sollen es bei breitem Einsatz künstlicher Intelligenz weniger als 25 Jahre sein.

Deutschland profitiert stark von KI

Deutschland dürfte dabei nach Einschätzung der Ökonomen besonders stark vom Zeitalter intelligenter Maschinen profitieren, weil sie vor allem in der Industrieproduktion die Produktivität stark erhöhen können. In Großbritannien, wo es weniger Industrie gibt, ist der Effekt beispielsweise geringer.

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Die Verfasser gehen zudem davon aus, dass Länder wie Deutschland oder Schweden besonders gute Voraussetzungen haben, künstliche Intelligenz in ihre Volkswirtschaften zu integrieren – die bestehende Infrastruktur sei gut und die Akzeptanz neuer Technologien hoch. Im Roboter-Tollhaus Japan soll sich das Wachstum sogar mehr als verdreifachen, während in Spanien oder Italien, wo die Gegebenheiten schlechter seien, der Wohlstandseffekt schwächer ausfallen soll.

Wenn denn die Vorhersagen der Accenture-Experten eintreffen. Schließlich liegen Konjunkturforscher häufig schon daneben, wenn es nur darum geht, das Wachstum im Folgejahr zu prognostizieren. Eine Untersuchung, die solch kühne positive Wachstumseffekte in zwanzig Jahren vorhersagt, sollte deshalb eher als Ausdruck einer Überzeugung interpretiert werden: dass künstliche Intelligenz unsere Wirtschaft radikal verändern und hochproduktiv machen wird.

Kann die Produktivität tatsächlich weiter steigen?

Die Untersuchung zeichnet denn auch ein sehr optimistisches Bild in einer Zeit, in der Ökonomen die positiven volkswirtschaftlichen Effekte der Digitalisierung zunehmend anzweifeln. In den vergangenen zwanzig Jahren sind die wohlhabenden Industriestaaten kaum noch produktiver und damit wohlhabender geworden – eine Entwicklung, die Experten nicht nur rätseln lässt, sondern auch bestürzt.

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Der renommierte Produktivitätsforscher Robert Gordon hat gar das Ende des stetig wachsenden Wohlstands ausgerufen: Die neusten technologischen Entwicklungen seien kaum der Rede wert, angesichts revolutionärer Erfindungen wie der Elektrizität oder des modernen Sanitärwesens, die unsere Lebensweise radikal umgekrempelt und die Lebensqualität von Milliarden grundlegend verbessert haben.

Auf einem ganz anderen Blatt steht ohnehin, wem der Produktivitätsschub durch die künstliche Intelligenz zugutekommen würde. Jüngst forderte etwa Siemens-Chef Joe Kaeser eine bessere Absicherung für Arbeitnehmer, um die sozialen Folgen der Digitalisierung abzumildern.

Bedingungsloses Grundeinkommen wird unvermeidlich

In den kommenden zehn Jahren würden 1,5 Millionen traditionelle Arbeitsplätze hierzulande verschwinden und durch eine etwa gleich große Zahl anspruchsvoller Digitalstellen ersetzt. Ein bedingungsloses Grundeinkommen werde deshalb völlig unvermeidlich sein, weil viele der Betroffenen auf der Strecke bleiben würden.

Die Accenture-Forscher haben die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz auf den Arbeitsmarkt nicht untersucht. „Die künstliche Intelligenz wird aber zweifelsohne erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben“, heißt es aus der volkswirtschaftlichen Abteilung der Beratung. „Unterschiedliche Berufsgruppen werden unterschiedlich betroffen sein.“

Hochautonome Berufe wie die des Lastwagenfahrers würden wahrscheinlich durch Fahrzeuge ersetzt, die von künstlicher Intelligenz gesteuert werden. Andere Tätigkeiten, die digital unterstützt produktiver werden, würden aufgewertet. Und schließlich würden auch völlig neue Berufsbilder entstehen.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt Online.

Bild: John Lund