„J.P. Morgan ist ein großer GMAT“

„Warum werden so wenig Menschen Unternehmer? Warum?“, fragt Oliver Samwer und blickt in den Hörsaal. „Sie haben Angst und gehen lieber zu McKinsey oder zu einer Bank, um Sicherheit zu haben“, antwortet ein junger Mann aus dem Publikum. Oliver Samwer muss schmunzeln. Genau das wollte der Rocket-CEO offenbar hören – es ist die Steilvorlage für den Kernpunkt seiner einstündigen Rede: Den Elite-Studenten fehlt der Mut zu gründen, feige wie sie sind, nehmen sie lieber einen sicheren Job bei einer Beratung oder Bank an.

Oliver Samwer will das ändern, er will die Top-Akademiker davon überzeugen, dass sie ein eigenes Unternehmen leiten sollen – wenn es nach ihm geht, wohl am besten eines im Rocket-Imperium. Dafür ist Samwer, wie bereits in den letzten Jahren, für die IdeaLab!-Konferenz an seine alte Uni, die WHU in Vallendar, zurückgekehrt. Rund 400 Teilnehmer haben sich für das zweitägige Event angemeldet. 120 davon sind Studenten von Elite-Universitäten aus der ganzen Welt, die sich mit ihrem Lebenslauf für die Teilnahme bewerben mussten. Die meisten von ihnen sind auch gekommen, um Oliver Samwer zu hören. Der Saal am Freitagmorgen ist proppenvoll.

Der Rocket-CEO weiß, wer ihm hier zuhört – er kennt den Werdegang eines typischen Elite-Studenten nur zu gut. Er weiß, dass gerade an Universitäten wie der WHU die Studenten die jungen, erfolgreichen Unternehmer bewundern, wie beispielsweise die Zalando-Gründer Robert Gentz und David Schneider, die ebenfalls hier ihren Abschluss machten. Aber er weiß auch, dass viele von ihnen lieber den sicheren Weg gehen und nach dem Abschluss bei einer Beratung oder Bank einsteigen. „Die Leute kommen mit einem Traum an die Universität, studieren und enden schlussendlich bei McKinsey – oder BCG oder Deutsche Telekom“, sagt Samwer bei seinem Auftritt. Zustimmendes Gelächter im Saal.

Doch damit nicht genug: Genüsslich zählt Samwer die Nachteile der Jobs bei Beratungen und Banken auf, erklärt den Studenten, dass sie dort wenig Verantwortung übernehmen und keine eigenen Entscheidungen treffen dürfen – und deswegen kaum etwas dazulernen: „Fragt euch selbst: Werde ich tatsächlich so viel schlauer, wenn ich noch zwei weitere Jahre bei einer Beratung arbeite?“. Und Samwer legt noch einige Sprüche drauf: „J.P. Morgan ist ein großer GMAT“, also wie der Eignungstest für Elite-Unis. „McKinsey ist University XXL.“ Was er damit sagen will: Die Mitarbeiter bei Banken und Beratungen lernen zwar viel, folgen aber nur Anweisungen von oben. Die großen Unternehmen seien für ihn nur „Horror-Movies“, betont er. Ein Praktikum dort sei aber möglicherweise dennoch sinnvoll: „Dann wisst ihr wenigstens, was ihr nicht wollt.“

McKinsey, BCG, J.P. Morgan, Goldman Sachs – auch wenn Samwer an vielen Stellen von den Beratungen und Banken profitiert, jüngst etwa beim Börsengang, sind sie ihm an einer Stelle lästig: Denn sie nehmen ihm die talentiertesten Absolventen weg, bieten ihnen hohe Gehälter, Boni, teure Hotels und Taxifahrten. Selbst wenn einige von ihnen nach Jahren in die Startup-Szene wechseln, haben sie dann entsprechend hohe Ansprüche. „Jemanden, der vier Jahre bei McKinsey war, davon zu überzeugen, dass er bei uns anfangen soll, kostet mich zwei Stunden“, erklärt Samwer frustriert. „Bei jemanden, der direkt von der Uni kommt, dauert es vier Minuten.“

Auch beim IdeaLab! will Oliver Samwer die besten anwesenden Studenten in Minutenschnelle von einem Job oder zumindest einem Praktikum bei Rocket überzeugen: Rund 50 Bewerbungsgespräche führt er in den Stunden nach und vor seiner Rede zusammen mit Vorstandsmitglied Alexander Kudlich. Von allen Teilnehmern haben die Rocket-Manager die Lebensläufe erhalten, die besten haben sie zum Interview eingeladen.

Bei einem Bewerber habe Samwer nur einen schnellen Blick auf den Lebenslauf geworfen – und dann gefragt: „Wann kannst du anfangen?“ und „In welchem Startup willst du arbeiten?“, erzählt ein anderer Student im Anschluss, der auch interviewt wurde. Begeistert berichtet er, wie nett Oliver Samwer doch im Gespräch war und dass er sich wie ein Vater um die Studenten kümmert.

Oliver Samwer weiß eben, dass er gute Leute braucht, wenn sein Rocket Internet eines Tages mit Amazon oder Alibaba vergleichbar sein soll. Da zeigt sich der „aggressivste Mann im Internet“ auch mal zahm.

Bild: Hannah Loeffler