Sie ist Personchefin bei Free2move: Maritta Guenzel legt Wert darauf, dass Bewerber eine „eigene Sprache“ finden.

Maritta Guenzel hat nach eigener Schätzung etwa 5.000 Bewerbungen gelesen und geprüft. Nach fünf Jahren im Personalwesen kommt sie zu dem Ergebnis: Ein Motivationsschreiben ist unverzichtbar, vor allem wenn man sich auf eine Stelle im Startup bewirbt. Bevor sie im April 2018 Personalchefin für das Mobility-Startup Free2move wurde, hat sie für das Reinigungs-Startup Zipjet und die Hotel-Plattform Costumer Alliance im Recruiting gearbeitet. Mit ihrer Meinung positioniert sie sich klar gegen den Trend, das Bewerbungsschreiben abzuschaffen.

Gründerszene hat in einem Fachbeitrag einen Personalberater zu Wort kommen lassen, der gegen Anschreiben argumentiert hat. Das Thema wurde viel diskutiert. Wir haben Personalchefin Guenzel mit den Argumenten aus dem Artikel konfrontiert und uns erklären lassen, warum sie sich für Motivationsschreiben einsetzt und wenig Wert auf Zeugnisse legt.

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In dem Fachbeitrag schreibt der Autor, dass Bewerbungsschreiben ein Relikt der Vergangenheit seien. Was ist deine Meinung dazu?

Das sehe ich ganz anders. Ich bin der Meinung, dass Bewerbungsschreiben zeitgemäßer denn je sind. Es lässt sich viel über die Persönlichkeit des Kandidaten erfahren, etwa durch die Geschichte, die erzählt wird, und die professionelle Einstellung die darin zum Ausdruck kommt. Nur so besteht die Chance, etwas über die Soft Skills des Kandidaten zu erfahren. Dadurch bekomme ich schon mal einen Eindruck, ob der Kandidat von seiner Persönlichkeit ins Team passen könnte. Außerdem kann ich so viel besser auf die Person am Telefon oder im Vorstellungsgespräch eingehen.

Hier sind drei weitere Statements aus dem Fachbeitrag. Deine Einschätzung dazu? „Arbeitgeber müssen sich beim Arbeitnehmer bewerben.“

Grundsätzlich sehe ich das auch so. Das fängt für mich aber nicht beim Bewerbungsschritt an. Was ich darunter verstehe: Es sollte selbstverständlich sein, dass der Bewerber oder die Bewerberin gewertschätzt wird, wir ihr antworten und Rückmeldung geben, wenn es länger mit dem Auswahlprozess dauert, dass auch Absagen respektvoll formuliert sind, und Nachfragen beantwortet werden. Aber es läuft nun mal in der Realität meistens so, dass die Bewerber zunächst auf uns zukommen. Und da unterscheiden wir schon, ob sich jemand mit uns als Firma auseinander gesetzt hat, und sich die Mühe macht, sich persönlich vorzustellen, oder ob nur ein Apply-Button bei Linkedin gedrückt wurde. Recruiting ist ein gegenseitiges aufeinander Zugehen: Ich mache mir Gedanken, wie ich die Position und die Firma authentisch und attraktiv präsentieren kann. Ein Bewerber, der durch ein interessantes Anschreiben auf sich aufmerksam macht, sticht im Prozess dann natürlich besonders hervor. Ist er in der Bewerberschleife, liegt der Ball wieder bei mir, und ich muss mich um ihn bemühen und überzeugen.

Mehr zum Thema Recruiting gibt es im Gründerszene New Work Report:

„Der Sprachstil gibt in der Regel keine Auskunft über fachliche Skills.“

Das ist nicht ganz richtig. Beides ergänzt sich. Bei einem großen Konzern wie der Deutschen Bahn mag der Schreibstil und das Motivationsschreiben weniger relevant sein, da der Betrieb größer und anonymer ist. Bei Startups kommt es dafür umso mehr auf die persönliche Geschichte an, weil der Kandidat auch menschlich zu dem eher kleineren Team passen muss. Ein Beispiel: Bewerbungen mit einem nicht so geraden Lebenslauf, werden generell vielleicht schneller abgelehnt, wenn nur ein Standardanschreiben dabei ist. Bei einem Motivationsschreiben besteht die Chance, dass ich Lücken im Lebenslauf nachvollziehen kann und mir sogar positiv auffallen und mich neugierig machen.

„Viel nützlicher sind Lebensläufe – optimalerweise nach amerikanischem Stil.“

Es ist durchaus sinnvoll, nach amerikanischen Stil darauf einzugehen, was jeweils im Unternehmen erreicht wurde. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ein CV sehr unpersönlich ist. Ein Lebenslauf wird einmalig angelegt und alle paar Jahre aktualisiert, wenn man auf Jobsuche geht. Motivationsschreiben richten sich explizit an das Unternehmen und erklären, warum man sich auf eine Stelle bewirbt. Ein Template, das auch an 50 andere Firmen rausgeht, fliegt sofort auf. Wenn ich merke, dass eine Kandidatin sich mit dem Unternehmen beschäftigt hat, dann ist das viel wert. Grundsätzlich ist das aber keine Entweder-Oder-Frage, für mich ist das Anschreiben eine überaus nützliche Ergänzung zum Lebenslauf.

Sie ist Personchefin bei Free2move: Maritta Guenzel legt Wert darauf, dass Bewerber eine „eigene Sprache“ finden.

Sätze wie „Ich bin teamfähig“ gehören zum Repertoire der Standard-Floskeln. Nerven dich solche Aussagen?

Es kommt drauf an. Floskeln sind ok, wenn sie begründet und mit Beispielen unterfüttert werden. Generell finde ich aber Kandidaten, die ihre eigene Sprache finden, deutlich spannender.

Sollte ein Anschreiben originell sein?

Es muss nicht wahnsinnig kreativ sein. Ich muss aber das Gefühl haben, dass ich die Person und ihre Geschichte dahinter erblicken kann. Nur Standardfloskeln will auf Dauer keiner sehen. Ich erwarte, dass Bewerber möglichst ehrlich von sich erzählen.

Worauf schaust du in einer Bewerbung als erstes?

Erst auf den Lebenslauf, um mir einen Überblick über die formalen Qualifikationen zu verschaffen, dann auf das Motivationsschreiben, zum Schluss ergänze ich die gewonnenen Informationen mit einem Blick auf Linkedin. Auf schriftliche Arbeitszeugnisse verlasse ich mich allerdings selten. Der Kandidat muss nur gut mit dem alten Chef können und schon ist das Zeugnis nicht mehr aussagekräftig, was die tatsächlichen Kompetenzen angeht. Wenn alles in Zeugnissen zu perfekt dargestellt wird, dann ist das auffällig – jedoch nicht unbedingt positiv.

Was sind deine Tipps für ein erfolgreiches Bewerbungsschreiben?

Authentisch sein, mit Humor drangehen, locker bleiben, mit der Firma auseinandersetzen und Mut beweisen, Sachen von sich preiszugeben und auch mit Lücken selbstbewusst umgehen. Oft sind es Bewerber mit ungeraden Lebensläufen, die besonders viele Soft Skills mitbringen, also eher umgänglich, engagiert und loyal sind. Nichts ist mehr wert für ein Unternehmen als motivierte Mitarbeiter.

Maritta, danke für das Interview.

Bild: Maritta Guenzel