Macht er sich selbst überflüssig?

Roboter und künstliche Intelligenz drängen in die Unternehmen und werden in den kommenden Jahren die Arbeitswelt dramatisch verändern. In praktisch allen Branchen experimentieren Firmen mit neuartigen Robotern und intelligenter Software und bereiten die nächste große Welle der Automatisierung vor.

Während die Unternehmen hoffen, dass neue Technologien die anstehenden Aufgaben schneller, effizienter und günstiger erledigen, machen sich viele Arbeitnehmer Sorgen: Was, wenn die nächste Welle der Digitalisierung mehr Jobs vernichtet, als sie neue schafft?

Forscher der Organisation für Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD), einem Forum vorwiegend wohlhabender Industrieländer, haben jetzt untersucht, wie viele Stellen in den Mitgliedsländern tatsächlich durch Automatisierung verschwinden könnten. Das Ergebnis ist überraschend: Deutsche Arbeitnehmer sind demnach von der neuen Digitalisierungswelle überdurchschnittlich stark betroffen. Hierzulande ließen sich weit mehr Stellen als in anderen wohlhabenden Ländern durch Roboter und Software ersetzen, schreiben die Forscher.

Alltag wird sich bei vielen dramatisch ändern

Beinahe jeder fünfte Arbeitnehmer hierzulande könnte demnach in den kommenden 15 bis 20 Jahren relativ leicht durch Roboter und Software ersetzt werden. Weitere 36 Prozent müssen sich darauf einstellen, dass sich ihr Arbeitsalltag dramatisch ändert, weil ein großer Teil ihrer Tätigkeiten mittelfristig von Maschinen erledigt werden kann.

Deutschland liegt damit weit über dem Durchschnitt der Mitgliedsländer der OECD. Im Schnitt könnten in diesen Volkswirtschaften rund 14 Prozent aller Jobs relativ einfach durch Computer und Algorithmen ersetzt werden, schreiben die Forscher; das entspräche immerhin 66 Millionen Arbeitnehmern. Für knapp ein weiteres Drittel aller Arbeitnehmer dürfte sich der Arbeitsalltag erheblich verändern.

Lediglich in fünf weiteren der 32 untersuchten Volkswirtschaften dürfte demnach ein noch höherer Anteil der Arbeitnehmer stark von Digitalisierung und Automatisierung betroffen sein, nämlich in Japan, Griechenland, der Türkei, Litauen und der Slowakei. In den beiden letztgenannten ist das Risiko, am Arbeitsplatz weitgehend oder teilweise durch Maschinen ersetzt zu werden, besonders hoch: Mehr als 60 Prozent aller Arbeitnehmer könnten dort durch Roboter ersetzt werden oder gezwungen sein, sich auf einen erheblich anderen Arbeitsalltag einzustellen.

Industriejobs stärker von Automatisierung bedroht

Ein hohes Risiko, durch Algorithmen oder Maschinen ersetzt zu werden, haben aus Sicht der Forscher diejenigen, deren Arbeitsinhalte zu mehr als 70 Prozent von Maschinen erledigt werden können. Für diejenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeiten mittelfristig zu 50 bis 70 Prozent von Maschinen übernommen werden können, wird sich nach Ansicht der Forscher der Arbeitsalltag mit hoher Wahrscheinlichkeit dramatisch verändern.

Die untersuchten Länder sind dabei allerdings unterschiedlich stark betroffen: Während für 33 Prozent aller Arbeitnehmer in der Slowakei das Risiko sehr hoch ist, durch Maschinen ersetzt zu werden, gilt das nur für sechs Prozent aller Beschäftigten in Norwegen. „Grundsätzlich sind Stellen in angelsächsischen Ländern, in den nordischen Ländern und in den Niederlanden weniger leicht Opfer der Automatisierung als Jobs in Osteuropa, Südeuropa, Deutschland, Chile und Japan“, schreiben die Forscher.

Dass hierzulande besonders viele Arbeitnehmer von der digitalen Entwicklung betroffen sein könnten, hat laut Forschungsleiterin Glenda Quintini zwei Gründe. „Die Struktur der Industrie spielt eine Rolle“, sagt sie. „Volkswirtschaften, die große Industrien haben, haben ein höheres Risiko für Automatisierung.“ Deshalb seien etwa Jobs in Deutschland und Japan besonders bedroht. Das sei zwar naheliegend, erkläre allerdings nur ein Teil der hohen Anfälligkeit hierzulande, sagt Quintini.

Deutsche Industriejobs brauchen weniger soziale Intelligenz

Weitaus entscheidender sei, dass sich die Tätigkeitsprofile trotz gleicher Berufsbezeichnungen von Land zu Land stark unterschieden. Die Forscherin erklärt das am Beispiel eines Automechanikers: „Ein Mechaniker, der in der Fabrik eines deutschen Autoherstellers arbeitet, wird ganz andere Tätigkeiten haben als ein Meister in einer kleinen Autowerkstatt in Italien – obwohl beide die gleiche Berufsbezeichnung haben.“

Um das individuelle Automatisierungsrisiko abschätzen zu können, haben sie und ihre Kollegin Ljubica Nedelkoska analysiert, wie der Arbeitsalltag von Arbeitnehmern in den OECD-Ländern aussieht und welche ihrer Tätigkeiten potenziell von Maschinen erledigt werden könnten. Dafür nutzten sie Daten der repräsentativen PIAAC-Untersuchung der OECD, bei der in jedem Land rund 5.000 Menschen dazu befragt wurden, welche Tätigkeiten sie in ihrem Beruf ausüben.

Die Forscher stellten dabei fest, dass die Arbeitsinhalte deutscher Arbeitnehmer sich erheblich von denen in anderen Ländern unterscheiden – trotz der gleichen Branche und sogar der gleichen Berufsbezeichnung. „Die deutschen Jobs erfordern tendenziell weniger soziale Intelligenz als ähnliche Berufe in anderen Ländern“, sagt Quintini. Hier geht’s zu Seite 2.

Titelbild: Caiaimage/Agnieszka Olek/Getty, Grafiken: Die Welt

Soziale Komponenten kaum durch Roboter zu ersetzen

Dabei gehe es um Tätigkeiten, wie beispielsweise andere Menschen zu beraten, zu verhandeln oder anderen etwas beizubringen. „Diese Aufgaben sind in deutschen Jobs weit weniger präsent als im Durchschnitt der OECD-Länder.“

In Norwegen beispielsweise sei das Risiko für Arbeitnehmer, durch Roboter ersetzt zu werden, auch so gering, weil die tägliche Arbeit vieler Menschen solche sozialen Komponenten enthielten – und die dürften sich in den kommenden Jahrzehnten kaum durch Algorithmen ersetzen lassen.

Auch innerhalb der Volkswirtschaften ist das Risiko, am Arbeitsplatz durch Maschinen ersetzt zu werden, unter Arbeitnehmern nicht gleich verteilt. Zwar wird immer wieder argumentiert, dass auch anspruchsvolle Jobs demnächst von künstlicher Intelligenz ersetzt werden könnte. Laut den Forschern sei diese Behauptung allerdings nicht haltbar; vielmehr würden vor allem einfache Tätigkeiten zuerst verschwinden. Küchenhilfen seien davon betroffen, Reinigungspersonal, Helfertätigkeiten, aber auch Arbeiter am Bau, in der Industrie und in der Logistik.

Junge Menschen stärker von Automatisierung betroffen

Die OECD-Experten haben außerdem eine weitere Gruppe identifiziert, die von der Automatisierung besonders betroffen sein wird: heutige Teenager. „Automatisierung wird mit großer Wahrscheinlichkeit eher für Jugendarbeitslosigkeit sorgen als für eine Welle von Frühverrentungen“, warnen die Forscher.

Algorithmen und Roboter könnten künftig viele Routinetätigkeiten übernehmen, die typisch sind für Einsteigerjobs, etwa in der Buchhaltung. Komplexere Tätigkeiten seien in vielen Unternehmen und Branchen dagegen häufiger älteren Kollegen vorbehalten. „Entscheidungen fällen, Verträge verhandeln, andere beraten – selbst wenn junge Arbeitnehmer den gleichen Jobtitel haben wie ältere Kollegen, werden sie solche Tätigkeiten weniger oft ausüben“, sagt Quentini.

Maschinen dürften jungen Menschen zudem viele Möglichkeiten nehmen, sich schon vor dem Berufseintritt zu qualifizieren, schreiben die OECD-Experten. Teenager und Studenten würden häufig neben Schule und Studium in einfachen Jobs arbeiten. Die Heranwachsenden erwerben dabei wichtige Schlüsselqualifikationen, etwa pünktlich zur Arbeit zu erscheinen, mit Kunden umzugehen oder Hierarchien zu akzeptieren.

Einfache Tätigkeiten verschwinden zunehmend

Diese Möglichkeit dürfte ihnen künftig in vielen Fällen verwehrt bleiben, weil gerade die einfachsten Jobs leicht automatisiert werden können, heißt es in der Studie. Zeitungen austragen, Regale im Supermarkt einräumen und ähnliche Tätigkeiten verschwinden durch die Digitalisierung bereits heute.

Inwieweit die Prognosen der OECD-Forscher auch tatsächlich eintreffen werden, ist indes unklar. Viel wird beispielsweise davon abhängen, ob Unternehmen wirklich alle technischen Möglichkeiten ausschöpfen. Angesichts dieser Unsicherheiten sind sich auch Forscher nicht einig, wie viele Jobs durch Roboter verschwinden werden. 

In der wohl bekanntesten Untersuchung dieser Art kamen Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass in den USA in den kommenden zwei Jahrzehnten beinahe die Hälfte aller Arbeitsplätze durch Roboter oder Software ersetzt werden könnte. Die Volkswirte der Bank ING-Diba hatten die Studie auf Deutschland übertragen und kamen zu dem Ergebnis, dass die sich beschleunigende Technologisierung mittel- und langfristig 18 Millionen Stellen und damit mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze hierzulande bedrohe.

Andere Wissenschaftler halten solche Prognosen für übertrieben; das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) etwa kam jüngst nach einer Befragung von 2000 Managern zu dem Schluss, dass die Digitalisierung von 2011 bis 2016 dafür gesorgt hat, dass mehr Arbeitsplätze neu geschaffen als vernichtet wurden. Ob sich solch eine Entwicklung aus dem Wirtschaftsboom der vergangenen Jahr allerdings fortschreiben lässt, ist völlig unklar.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt Online.

Bild: Caiaimage/Agnieszka Olek/Getty