Feierabend? Für viele Chefs ist das beinahe ein Fremdwort. Im Laufe ihres Lebens sammeln besonders Menschen in hohen Positionen jede Menge Überstunden an. Genau sind es 15.430, zusammengerechnet verbringen sie damit fast zwei Jahre länger im Betrieb als vertraglich vereinbart.

„Führungskräfte tragen viel Verantwortung für Personal und Budgets, wodurch sie nicht selten länger und auch an Wochenenden arbeiten“, sagt Tim Böger, Geschäftsführer von Compensation Partner. Fachkräfte leisten während ihres Berufslebens im Schnitt auch schon 6562 Stunden Mehrarbeit.

Der Hamburger Vergütungsspezialist hat auf Basis aktueller Daten ausgewertet, wie verbreitet Überstunden in Deutschland sind. Die knappe Antwort lautet: sehr verbreitet, allerdings mit großen Unterschieden.

Zusammenhang zwischen Gehalt und Überstundenzahl

Wie die Experten von Compensation Partner herausfanden, gibt es einen klaren Zusammenhang zwischen der Höhe des Gehalts und der Zahl der Überstunden. „Wer ein Bruttoeinkommen von mehr als 120.000 Euro bezieht, arbeitet pro Woche durchschnittlich 9,5 Stunden länger“, heißt es in dem „Arbeitszeitmonitor“, der WELT AM SONNTAG exklusiv vorliegt. Arbeitnehmer mit einem typischen Mittelschichteinkommen von 51.000 bis 60.000 Euro kommen im Durchschnitt auf 3,5 Stunden Zusatzarbeit pro Woche. Beschäftigte mit einem jährlichen Gehalt von weniger als 20.000 Euro sammeln wöchentlich 1,8 Überstunden an.

Wie Compensation Partner ermittelt hat, arbeitet mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland (54 Prozent) regelmäßig länger als vertraglich vereinbart – und längst nicht alle von ihnen erhalten einen Ausgleich dafür. Nach eigenen Angaben bekommen nur 38 Prozent der Beschäftigten ihre Zusatzarbeit vergütet.

Berater arbeiten besonders oft unbezahlt zu lange

Am seltensten ist ein Ausgleich für Überstunden in den Branchen Werbung und PR sowie in der Unternehmensberatung vorgesehen. Beschäftigte in diesem Sektor erbringen durchschnittlich 5,11 Stunden extra pro Woche, so viel wie in keiner anderen Branche – und drei Viertel der Berater bekommen keinen Ausgleich. Böger: „Die Unternehmensberatung ist geprägt von großer Arbeitsbelastung – jedoch auch von guten Karrierechancen und einem überdurchschnittlichen Einkommen, das Überstunden kompensieren soll.“

Die meisten Überstunden erbringen Beschäftigte in den östlichen Bundesländern sowie in Teilen von Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Sechs Zusatzstunden pro Woche sind hier normal. In den Regionen rund um Nürnberg, Würzburg und Teilen von Thüringen ist der Durchschnittswert am geringsten – hier sind es 5,4 Überstunden.

Ältere Arbeitnehmer machen mehr Überstunden

Noch eines ist aufschlussreich: Je älter Arbeitnehmer sind, desto verbreiteter ist Mehrarbeit. So leisten Beschäftigte unter 20 Jahren zwei Stunden pro Woche über das vertraglich Geforderte hinaus, bei 59-Jährigen sind es 3,7 Stunden.

Die Daten decken sich weitgehend mit einer Erhebung des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden. Die Experten dort fanden heraus, dass mehr als ein Drittel aller Chefs besonders lang im Büro bleibt. Den Statistikern zufolge ist jeder neunte Vollzeiterwerbstätige mehr als 48 Stunden pro Woche für seinen Job im Einsatz. Aus einer Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht hervor, dass sich vor allem Arbeitnehmer mit höheren Bildungsabschlüssen und größerer beruflicher Entscheidungsbefugnis eigentlich wünschen, weniger zu arbeiten. Häufig gelingt das nicht.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Die Welt.

Artikelbild: Morsa Images; Infografiken: Die Welt