Mit der Rechtsbranche assoziiert man Anzüge, Krawatten und Anwälte, die über Berge von Akten gebeugt sind – nicht aber die Schlagworte „digital“ oder „modern“. Die Münchner Gründerin Yacine Coco will das ändern. Auf ihrer Plattform TalentRocket buhlen Kanzleien online um talentierte Anwälte.

Seit der Gründung im Jahr 2012 ist das Startup auf 28 Mitarbeiter gewachsen und schreibt nach eigenen Angaben derzeit erstmals schwarze Zahlen. Geld verdient das Legaltech-Unternehmen über Kooperationen mit Arbeitgebern: Sie zahlen pauschale Jahresbeträge, um sich auf der Plattform präsentieren zu können. Vier Business Angels sowie die Tiburon Unternehmensaufbau GmbH sind in TalentRocket investiert. Im Herbst 2017 haben die Münchner ihren Wettbewerber Lawyered übernommen.  

Im Interview mit Gründerszene verrät Coco, warum sie niemals neidisch auf Anwälte mit 100.000-Euro-Gehältern ist, weshalb sie Bewerbungsschreiben für überholt hält und warum sie niedrige Anwältinnenquoten in Kanzleien nachvollziehen kann.  

Yacine, Deine Jobplattform richtet sich ausschließlich an Juristen. Warum hast Du Dich für eine so spitze Zielgruppe entschieden?

Juristische Berufe unterscheiden sich stark von allen anderen, daher kann man sie nicht auf normalen Jobplattformen abbilden. Ein Beispiel: In den meisten Studiengängen werden Noten nach dem Schulnotensystem vergeben, Juristen dagegen bekommen Punkte von null bis 18. Man arbeitet mit ganz anderen Datensätzen. Es musste also eine Plattform geben, die nur auf Juristen spezialisiert ist.

Wie genau hilft Deine Plattform bei der Jobsuche?

Der Nutzer legt sich ein Profil an, auf dem er seine Präferenzen angibt – zum Beispiel, dass er angehender Jurist ist und Presserecht in Berlin machen möchte. Dann findet er alle möglichen Arbeitgeber, bei denen das möglich ist. Der Clou: Auch jeder Arbeitgeber hat auf unserer Seite ein Profil. Dort findet man zum Beispiel Interviews mit potentiellen Kollegen oder Informationen über das Gehalt und die Urlaubstage.

Wieso sollte ein Arbeitgeber das alles öffentlich machen?

Die Kanzleien stehen in einem harten Wettbewerb. Alle suchen nach Bewerbern mit Top-Noten – die können aber nur 15 Prozent der Absolventen vorweisen. Insofern ist der „War for Talent“ sehr groß. Dazu kommt, dass die Millennials bei der Jobsuche sehr anspruchsvoll sind und einen Arbeitgeber wollen, der etwas zu bieten hat.

Einige Kanzleien werben mit Einstiegsgehältern von mehr als 100.000 Euro. Denkst Du manchmal, dass Du lieber Anwältin als Gründerin geworden wärst?

Das habe ich noch nicht eine Sekunde gedacht! Ich bin eher der Zahlentyp, Essays in der Uni zu schreiben, war mein größter Albtraum. Klar, man liest von den Gehältern und denkt „Wahnsinn!“, aber ich bin happy mit dem was ich mache. Auch, wenn ich nur einen Bruchteil dessen verdiene.

Wie haben Großkanzleien oder Konzerne reagiert, als Ihr als Startup auf sie zugekommen seid und behauptet habt, Ihr könntet ihnen beim Recruiting helfen?

Viele Kanzleien wussten selbst, dass der Markt angestaubt ist. Sie waren froh, bei einem jungen Projekt mitmachen zu können und uns Gründerinnen zu unterstützen. Natürlich war es bei vielen anderen Kanzleien am Anfang nicht ganz so eingängig. Beim Vertrieb konnten wir uns aber Zeit lassen – die Branche ist schließlich nicht besonders lebhaft.

Wie viele Jobs hast Du schon vermittelt?

Pro Woche wird über unsere Plattform eine mittlere dreistellige Zahl an Bewerbungen verschickt. Wir machen es dem User sehr einfach, sich für die Bewerbung zu entscheiden: Er lädt seine Unterlagen einmal hoch und kann sich dann mit einem Klick um Jobs bewerben.

Ist es denn nicht notwendig, die Bewerbungen auf die Arbeitgeber zuzuschneiden?

Als wir die One-Click-Bewerbung erstmals angeboten haben, hat der ein oder andere Arbeitgeber das durchaus kritisiert. Aber ehrlich gesagt sind Anschreiben heutzutage doch austauschbar. Auffallen kann man nur, wenn es besonders schlecht oder extraordinär gut ist – das sind drei Prozent aller Anschreiben. Unsere Kooperationspartner sehen das genauso.

Du digitalisierst zwar den Recruiting-Prozess in der Rechtsbranche, ansonsten gilt diese aber als konservativ und wenig agil. Ist das berechtigt?

Durch viele Gründungen im Bereich Legaltech und starke amerikanische Einflüsse erleben wir gerade eine Modernisierung der Branche. Es gibt sogar Kanzleien, die tatsächlich Entwickler anstellen und versuchen, technologisch an Fragestellungen heranzutreten. Viele große Mandanten erwarten von Anwälten aber nach wie vor Professionalität und ein entsprechendes Auftreten.

Haben Du und Dein Startup sich diesen Erwartungen angepasst?

Nein. Bei uns entscheidet nicht das Outfit, sondern das Köpfchen.

Du bist als Gründerin eine Seltenheit in der Startup-Szene. Wie sieht es mit der Frauenquote in der Rechtsbranche aus?

Die Unterschiede sind riesig – teilweise ist der Frauen- und Männeranteil ausgeglichen, in bestimmten Bereichen ist die Branche aber schon männerlastig. Ich kann das irgendwo nachvollziehen. Viele Anwälte arbeiten Tag und Nacht, an den Wochenenden und an Weihnachten. Wir haben in Deutschland nicht die besten Voraussetzungen dafür, einen solchen Job mit Familie zu verbinden. Es sind also die sozioökonomischen Aspekte, die zu einem niedrigeren Frauenanteil führen.

Derzeit gibt es TalentRocket nur in Deutschland. Wie weit sind Deine Pläne für die Expansion?

In den vergangenen Wochen haben wir uns angeschaut, wie wir die Ausweitung in die Schweiz und nach Österreich angehen könnten und wagen die ersten Schritte. Leider wird das doch komplexer als wir am Anfang dachten. (lacht)

Inwiefern?

Dort gibt es andere Ausbildungs- und Notensysteme als in Deutschland. Hier sind wir so gut, weil wir exakt auf den juristischen Beruf und die juristische Ausbildung in Deutschland angepasst sind. In Österreich und der Schweiz ist die Lage anders.

Man sagt, neun von zehn Startups scheitern. Dein Startup gibt es schon seit 2012. Was hast Du richtig gemacht?

In meinen Augen war sehr wichtig, dass ich nicht alleine gegründet habe. Es gibt Tage, an denen man denkt, es könne eigentlich gar nicht weitergehen. Meine Partnerin baut mich dann auf und sagt, „Hey, wir sind jetzt schon so weit gekommen, wir schaffen den Rest auch noch zusammen.“ Wichtig ist auch, eine hohe Frustrationstoleranz zu haben. Oft klappen Dinge nicht beim ersten Mal, davon darf man sich nicht unterkriegen lassen. Und man braucht sicherlich auch ein Quäntchen Glück.

Bild: TalentRocket