Arbeiten, wo man möchte: Wie funktioniert das?

Die Zahl der Menschen, die von zuhause arbeiten, steigt in Deutschland. Trotzdem ist das Arbeitsmodell Home Office auch eine Streitfrage. Während einige Arbeitgeber darauf schwören, sind andere weniger begeistert. Selbst Arbeitnehmer sind sich uneins über das Für und Wider: Es steigert die Produktivität, reduziert Pendelstress und Streit unter Kollegen und steigert die Mitarbeiterzufriedenheit, argumentieren die Befürworter. Zu viel Ablenkung, zu wenig soziale Kontaktpunkte, entgegnen die Kritiker.

Wie gelingt die erfolgreiche Nicht-Büro-Arbeit also? Lasse Kroll, Mitgründer und Geschäftsführer des Remote-Work-Startups Cuckoo, das Firmen im Umgang mit Fernarbeit coacht, hat auf die wichtigsten Fragen geantwortet:

1. In meinem Unternehmen ist Heimarbeit nicht üblich. Ich kann mich mit der Vorstellung aber sehr gut anfreunden. Wie sag ich es dem Chef?

Noch vor der Führungskraft sollten Angestellte die Kollegen mit ins Boot holen, meint Kroll. „Wenn für eine einzelne Person keine Sonderregelungen geschaffen, sondern bestimmte Standards für alle eingeführt werden, trägt das zur Akzeptanz bei. Privilegien können zu Konflikten führen. Du hast dann als Heimarbeiter schnell das Gefühl, ein Aussätziger zu sein“, sagt er. Daher: Kollektive Bedürfnisse ausloten und, wenn möglich, Absprachen finden, die für alle gelten. 

2. Wie schaffe ich eine Arbeitsatmosphäre – auch ohne Arbeitszimmer?

„Du solltest sich zu allererst fragen: Was bin ich für ein Typ? Brauchst du eher andere Leute um dich herum?“, so Kroll, „Wenn ja, bietet es sich an, in einen Coworking Space, ein Café in der Nachbarschaft oder eine Bibliothek zu gehen.“ Wer komplette Ruhe brauche, sei zuhause gut aufgehoben. „Du brauchst nicht zwangsläufig ein Arbeitszimmer“, so der Gründer, „es kann schon ausreichen, täglich den Arbeitsort innerhalb der Wohnung zu wechseln. Dann verbringst du beispielsweise den Vormittag am Esstisch im Wohnzimmer, den Nachmittag am Stehtisch in der Küche – oder gehst doch noch einmal für ein paar Stunden in ein Café, das bequem zu erreichen ist.“ So ein Ortswechsel fördere die Konzentration. Die freie Arbeitsplatzwahl dürften Heimarbeiter also ruhig voll ausnutzen.

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Es gilt dasselbe wie im Büro: Am Arbeitsplatz sollte man sich wohlfühlen – auch wenn das nicht bedeutet, den Skype-Call in Jogginghose zu führen. Morgens also: „Auf jeden Fall gefrühstückt haben, sich ganz normal fertigmachen“, rät Kroll. 

3. Was sollte ich tun, wenn ich den Laptop um 18 Uhr wieder zuklappe?

Krolls klare Empfehlung: „Definitiv nochmal rausgehen, auch andere Leute treffen. Den vorherigen Ortswechsel in der Mitte des Tages kannst du auch mit einer Verabredung, Sport oder Spaziergang nach Feierabend kombinieren.“ 

4. Wie schütze ich mich vor dem Zeitfresser Ablenkung?

„Es hilft, sich Zeitfenster zu setzen“, so Kroll. Beispielsweise von 9 Uhr bis 11.30 Uhr komplett durcharbeiten, sich dann eine halbe Stunde nehmen, sich um etwas anderes kümmern. Wer sich doch mal verleiten lasse, sollte sich die Ablenkung bewusst machen und sagen: Ich verwende darauf jetzt höchstens fünf Minuten, um anschließend wieder in eine reine Arbeitsetappe zu starten. „Es braucht eine gewisse Zeit für die Umgewöhnung. Bis du die Reize kennst und ihnen begegnen kannst, dauert es etwas, insbesondere dann, wenn du vorher gewohnt warst, acht Stunden lang im Büro zu sitzen“, meint der Gründer. 

5. Wie viel Selbstdisziplin erfordert das Arbeiten zuhause?

Freiheit und Flexibilität sind schön und gut, sie bedeuten aber auch viel Eigenverantwortung. Kroll findet: „Wenn Präsenzzeiten wegfallen, erfordert das, sich öfter selbst zu hinterfragen: Was habe ich heute wie bearbeitet? Was kann ich besser machen, um meine Zeitplanung effizienter zu gestalten?“ Remote Worker müssten bereit sein, neue Dinge auszuprobieren und selbstständig Lösungen zu finden, etwa technische, für die Kommunikation mit dem Rest des Teams. Es gilt: Kreativ sein und nach dem Trial-and-Error-Prinzip arbeiten. Also Tricks finden, die helfen, den inneren Schweinehund zu überwinden. 

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6. Wie gehe ich mit Chefs und Kollegen um, die misstrauisch sind, dass ich mein Arbeitspensum auch einhalte?

Ist das ganze Team eingebunden, ist schon viel Skepsis vorweggenommen. Wenn es doch zu Problemen kommt, sollten sie nicht im stillen Kämmerlein nur mit Vorgesetzten besprochen, sondern offen diskutiert werden. „Teams sollten vorher gemeinsam Regeln erarbeiten. In einer Art Charta lässt sich Vieles festhalten: Wie und worüber kommunizieren wir miteinander? In welcher Frequenz? Wie sprechen wir uns in Mails oder in Chats an? Wie geben wir uns gegenseitig Feedback?“ Die größten Probleme entstünden, wenn das Modell nicht vernünftig vorbereitet worden sei, glaubt Kroll.

7. Was, wenn ich dauerhaft deutlich mehr arbeite – aus Angst, die anderen könnten denken, ich faulenze nur?

Hier hilft der Fokus auf Ergebnisse. Dazu sollten Remote-Arbeiter ein Gefühl für ihre Arbeitszeit bekommen, sich zum Beispiel montagmorgens in Listenform notieren, welche Aufgaben diese Woche anstehen und die Termine und Aufgaben auf einzelne Tage herunter brechen. „So bekommst du ein gutes Verständnis dafür, wie lange du arbeitest“, sagt Kroll und ergänzt: „Dieses Denken erfordert aber stetige Reflexion. Die Aufgaben können sich ändern, Routinen aufbrechen.“ Daher die wöchentliche Neustrukturierung der To-do-Liste. 

8. Was ist der größte Fehler, den Leute in Sachen Remote Work machen?

In manchen Fällen funktioniert das Modell nicht oder nur schleppend. Hier sieht Kroll vor allem zwei Gründe: keine Absprachen und schlechte Vorbereitung. „Trotz Abwesenheit sollte man versuchen, die Kollegen regelmäßig zu sehen, im Büro oder an einem neutralen Ort. Zum Beispiel, wenn es den Abschluss eines gemeinsamen Projekts zu feiern gibt. Es bietet sich an, so oft wie möglich Videokonferenzen zu nutzen.“

9. Können Remote Worker überhaupt in den traditionellen Büroalltag zurückfinden?

Einer US-Umfrage zufolge können sich 90 Prozent von 1.900 weltweit befragten Fernarbeitern nicht vorstellen, wieder permanent zurück ins Büro zu gehen. Einfach dürfte die Umstellung nicht sein. Auch Kroll, der vor der Gründung lange als Remote-Angestellter im Event- und Marketingbereich arbeitete, sagt: „Eine komplette Präsenzkultur im Unternehmen wäre für mich persönlich ein Ausschlusskriterium, auch wenn das Gehalt super ist. Das würde mich in meiner Lebensqualität und meiner Freiheit zu sehr einschränken.“ Fernarbeit ist also nicht zuletzt auch eine Glaubensfrage.

In einem Gründerszene-Webinar hat Bastian Barami kürzlich darüber gesprochen, mit welchen Geschäftsmodellen der Sprung ins digitale Nomadentum klappen kann:

Bild: Getty Images / Thanasis Zovoilis