Nicht jede gute Idee aus dem Labor schafft es als Startup-Produkt auf den Markt.

An Spitzenforschung mangelt es Deutschland nicht. Trotzdem sind erfolgreiche Ausgründungen aus der Wissenschaft hierzulande äußerst selten. Nach Erkenntnissen eines Teams der Technischen Universität München (TUM) machen sie nur 16 Prozent aller Unternehmensgründungen aus. Die Forschenden untersuchen in einer Langzeitstudie die Ursachen dafür, über drei Jahre hinweg begleiten sie Gründungsteams aus dem hauseigenen Startup-Inkubator und schauen sich vor allem deren interne psychologischen Prozesse an. Die Studie läuft noch bis 2021, doch nun gibt es erste Zwischenergebnisse, über die wir mit Holger Patzelt gesprochen haben, Professor für Unternehmertum und einer der Projektleiter.

Holger, wir haben in Deutschland zu wenige erfolgreiche Gründungen aus der Wissenschaft. Woran liegt das?

Die mentale Herangehensweise an Probleme ist in der Wissenschaft eine ganz andere als bei der Gründung. In der Wissenschaft bist du in der Regel ein 100-Prozent-Mensch. Es ist dir egal, wie viel Zeit du reinsteckst, bis du dein Problem gelöst hast. Als Gründerin oder Gründer bist du hingegen jemand, der ein limitiertes Zeit- oder auch sonstiges Ressourcenbudget hat und damit zu irgendeiner Lösung kommen muss. Wenn ich mich zum Beispiel für eine wissenschaftliche Karriere entschieden habe und sehr detailversessen bin, dann ist es schwierig, plötzlich umzuschwenken und ganz anders über Probleme nachzudenken, wenn es um eine Ausgründung geht.

Unterschiedliche Denkweisen also. Kann man nicht einfach Menschen aus beiden Lagern zusammenbringen, um erfolgreiche Teams zu bekommen?

Das funktioniert theoretisch, ist aber in der Praxis oft schwierig. Stellen wir uns vor: Ein Wissenschaftler hat mehrere Jahre, seine Doktorarbeit und vielleicht auch die Zeit danach, in die Entwicklung einer bestimmten Technologie gesteckt. Er hat vielleicht auch schon eine Vorstellung, welches Produkt dabei herauskommen könnte. Dann kommt jemand, der ein erfahrener Gründer ist oder einfach eher marktseitig orientiert, und sagt ihm: Nein, das klappt nicht, das muss alles ganz anders werden. Da ist der Konflikt schon vorprogrammiert. Es geht hier um sehr persönliche, emotionale Punkte – die auf beiden Seiten bemüht werden: Der eine wird als unflexibel aufgefasst, der andere als ignorant.

Wer muss sich hier wem annähern: Müssen diejenigen mit Gründungserfahrung wissenschaftlicher denken oder die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr wie Gründer?

Wenn die Gründung klappen soll, muss sich vor allem der Wissenschaftler verändern. Er muss damit leben können, dass er nicht mehr alles bis ins Detail erforschen kann. In der Regel hat man als Startup dafür nicht die Ressourcen und muss zu einer Lösung kommen. Gleichzeitig müssen die marktorientierten Leute aber auch Verständnis und Offenheit gegenüber der wissenschaftlichen Denkweise mitbringen. Der BWLer, der glaubt, dem Informatiker erklären zu müssen, wie die Welt funktioniert – das ist auch nicht der richtige Weg.

Ihr habt auch untersucht, wann Menschen aus der Wissenschaft zu Gründerinnen und Gründern werden. Was ist dafür ausschlaggebend?

Wissenschaftler gründen dann erfolgreich, wenn sie es schaffen, sich innerhalb von kurzer Zeit auf eine ganz neue Denklogik einzulassen. Diese Menschen sind sehr anpassungsfähig und hängen nicht so stark emotional an ihrer Idee, als dass sie sie nicht verändern könnten.

TUM-Professor Holger Patzelt

Ist das bei Studierenden und Forschenden aus bestimmten Fachgebieten eher gegeben als bei anderen?

Das kann ich nicht pauschal beantworten. Aber generell gilt: Je ausgefeilter eine Technologie ist, je mehr Jahre ich hineinstecken musste, um sie zu einem gewissen Zustand zu entwickeln, desto schwieriger ist es, sie wieder zu verändern. Die ständige Bereitschaft zum Pivot mag vielleicht in der App-Entwicklung gut funktionieren. Aber bei einer Technologie, die vielleicht zehn Jahre Forschungsarbeit eines ganzen Lehrstuhl-Teams beansprucht hat, geht das natürlich nicht so einfach. Da muss ich dann eher schauen, dass ich für das, was ich schon entwickelt habe, den richtigen Markt finde.

Was kann getan werden, um die Zahl der erfolgreichen Gründungen aus der Wissenschaft zu erhöhen?

Was an vielen Institutionen schon ganz vernünftig gemacht wird, ist die marktseitige Ausbildung: Wie findet man einen Markt? Wie spricht man mit Kunden? Wann sollte man pivoten? Was aber noch verbesserungswürdig ist – das haben wir auch hier bei uns im Inkubator gesehen –, ist das Coaching für die zwischenmenschlichen Dinge. Dass man sich mehr auch um Teamprozesse kümmert. Gerade junge, unerfahrene Gründer arbeiten oft unprofessionell zusammen und haben nicht das nötige Verständnis für die andere oder den anderen.

Setzt ihr diese Erkenntnis an eurer Hochschule schon um?

Wir sind auf dem Weg dahin. Diese Art Coaching ist sehr personalintensiv, weil sie mehr individuelle Betreuung erfordert und weniger standardisiert ist als zum Beispiel das Thema Product Market Fit. Aber auch bei uns fliegen immer noch mehr Teams auseinander, als uns lieb ist. Manchmal kann man es auch nicht reparieren, wenn die Leute einfach nicht zusammenpassen.

Sollte das dann nicht auch Teil der Ausbildung sein – dass es manchmal einfach nicht passt und Scheitern okay ist?

Durchaus. Man kann das den Leuten in der Ausbildung vermitteln, sie verstehen das auch. Aber unsere unmittelbare Erfahrung im TUM-Inkubator, ein Stockwerk unter unseren Büros, ist: Diese Prozesse sind oft so emotional, dass alles was man kognitiv vielleicht verstanden hat, einfach nicht trägt. Da geht es um Gefühle, das ist persönlich, da fliegen einfach die Fetzen. Einen echten Rosenkrieg kann man auch durch das beste Coaching nicht beenden oder verhindern. Und viele haben dann auch die Schnauze voll und wollen nach dem Scheitern erstmal nicht wieder gründen.

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Bilder: Getty Images / Patric Sandri (Titel), TUM