Niemand sollte sich wundern, wenn der Chef künftig vehement darauf drängt, die noch nicht genommenen Urlaubstage tatsächlich auch zu nehmen. Er muss dies machen, so hat es das Bundesarbeitsgerichts (BAG) in Erfurt entschieden. Arbeitgeber sind demnach verpflichtet, ihre Angestellten „klar und rechtzeitig“ auf nicht genommenen Urlaub hinzuweisen, wie der Vorsitzende Richter Heinrich Kiel sagte (Az.: 9 AZR 541/15). Dass der Urlaub einfach verfällt, wenn der Arbeitnehmer sich nicht rührt und keinen Antrag stellt, ist nicht möglich.

Die Entscheidung wirkt sich nicht nur auf die Urlaubspraxis der Zukunft aus, sondern möglicherweise auch noch auf die Ansprüche aus der Vergangenheit. „Arbeitnehmer können jetzt prüfen, ob sie vielleicht doch noch Anspruch auf Urlaub haben, von dem sie dachten, er sei verfallen“, sagte ein BAG-Sprecher nach der Urteilsverkündung. Allerdings ließen die Erfurter Richter offen, ob der Anspruch verjähren kann.

Damit endete ein jahrelanger juristischer Streit um den Verfall von nicht genommenen Urlaubstagen. Geklagt hatte ein Wissenschaftler, der 51 Tage Urlaub bezahlt haben möchte, den er bis zum Ende seines Arbeitsvertrages nicht mehr genommen hatte. Beklagte war die Max-Planck-Gesellschaft München, bei der der Wissenschaftler nach den Tarifregeln des Öffentlichen Dienstes angestellt war. Laut Max-Planck-Gesellschaft wurde der Wissenschaftler in einer E-Mail auf seine Urlaubsansprüche hingewiesen. Der Forscher dagegen bestritt, frühzeitig per Mail informiert worden zu sein.

Die Richter des Bundesarbeitsgerichts mussten die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) berücksichtigen. Dieser hatte sich im November mit dem Thema beschäftigt und dabei bereits Arbeitnehmern grundsätzlich den Rücken gestärkt (Az.: C-684/16). Jeder müsse durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt werden, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, entschieden die Luxemburger Richter.

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BAG-Richter Kiel unterstrich diesen Punkt nun noch einmal: „Der Urlaub soll genommen werden, und er soll genommen werden im Urlaubsjahr“, sagte er. Dies sei auch das Anliegen des Bundesurlaubsgesetzes. Demnach ist der Anspruch auf Jahresurlaub ein hohes Gut. Arbeitnehmer müssen über diesen Zeitraum der Entspannung und Freizeit nach Belieben verfügen können.

Wann ein Hinweis in Zukunft rechtzeitig kommt, dazu trafen die Bundesrichter noch keine Entscheidung. „Dieser Punkt wird die Rechtssprechung in Zukunft sicher noch beschäftigen“, sagte ein Gerichtssprecher.

„Die mündliche Form reicht nicht“

Arbeitsrechtler verwiesen in einer ersten Reaktion auf den Entscheid darauf, dass der Arbeitgeber dies nicht erst kurz vor Jahresende machen kann. „Der Hinweis muss in einem Zeitraum erfolgen, in dem es auch noch realistisch ist, den Urlaub zu nehmen, nicht erst im November oder Dezember“, sagte Isabelle Puhl, Arbeitsrechtlerin der Wirtschaftskanzlei Dentons. Im Idealfall müsse die Ansage vor klassischen Urlaubszeiträumen erfolgen, spätestens im Herbst. Sie empfiehlt Arbeitgebern, das Thema ernst zu nehmen und die gemachten Hinweise nachzuhalten. „Die mündliche Form allein reicht sicherlich nicht. Dann steht im Zweifelsfall Aussage gegen Aussage“, so Puhl.

Rechtzeitig und schriftlich, das sind auch für Cornelia Marquardt, Arbeitsrechtlerin der Kanzlei Norton Rose Fulbright, zwei wichtige Kriterien. „Ein entsprechender schriftlicher Hinweis sollte gegen Ende des dritten Quartals erfolgen und in der Personalakte dokumentiert werden“, sagte sie. Dabei sei ein einfacher Hinweis auf Resturlaub nicht genug. „Der Arbeitgeber muss jedem Mitarbeiter gesondert die genaue Anzahl der noch offenen Urlaubstage offenbaren und auf deren drohenden Verfall hinweisen, verbunden mit der Aufforderung, den Urlaub zu nehmen“, so Marquardt.

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Beantrage der Mitarbeiter dann immer noch keinen Urlaub, sei die sicherste Lösung, einen bestimmten Urlaubszeitraum bis Jahresende zuzuweisen. Und sie warnte: Nähmen die Arbeitgeber ihre Pflicht nicht ernst, könne es künftig teuer werden, wenn Mitarbeiter ausscheiden. „Denn dann muss der nicht genommene Resturlaub ausgezahlt werden“, sagte Marquardt.

Arbeitsrechtler sehen in dem BAG-Entscheid weitreichende Folgen für das deutsche Arbeitsrecht. „Bestehende Arbeitsverträge sollten nun auf die Regelungen zum Urlaubsantrag überprüft werden“, empfahl Marquardt an die Adresse der Arbeitgeber. Sie sollten eine konkrete Pflicht in die Arbeitsverträge aufnehmen, Urlaub rechtzeitig zu beantragen. Sie machte aber auch deutlich, dass das alleine nicht ausreichen werde, das Unternehmen vor Schadensersatzansprüchen zu schützen. Eine rechtzeitige, schriftliche Aufforderung dazu, den verbleibenden Urlaub bis Ende des Jahres zu nehmen, gehöre ab sofort in den Pflichtenkatalog jeder Personalabteilung.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Welt.de.

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